08/02/2023

Kommentar – Wo bleibt die klimaorientierte Stadtentwicklung?

Seit Oktober 2022 gibt es den Grundsatzbeschluss zur klimaorientierten Stadtentwicklung. Ämter werden darin aufgefordert, Entwicklungsziele für klimaorientierte Stadtentwicklung in Fachstrategien und Raumordnungsinstrumente aufzunehmen. Ein im Jänner aufgelegter Bebauungsplan ignoriert die Dringlichkeit des Handelns.

08/02/2023

Luftbild des Bebauungsplangebiets (laut Bebauungsplanunterlagen)

BBPL 16.33.0 Schoygasse/ Robert-Fuchs Strasse/ Grillweg/ Anton-Mell-Weg Entwurf 1:500_V1

Ausschnitt Fläwi, großräumig

Ausschnitt Fläwi, Schoygasse

Ausschnitt STEK 4.0

Im Oktober 2022 fasste der Gemeinderat einstimmig den Grundsatzbeschluss zur klimaorientierten Stadtentwicklung – GAT berichtete darüber.

Im Beschluss wird besonders die Dringlichkeit des Handelns betont: „Zu geringe Anstrengungen in den vergangenen Jahrzehnten haben nun den Zeit- und Handlungsdruck enorm verschärft.“

Zum Zielbereich Stadtentwicklung und Raumplanung wurde u.a. festgelegt: „Ein attraktives Angebot für die aktive Mobilität und die Ausstattung an lebenswerten öffentlichen Räumen mit ausreichend Grünräumen inkl. Baumstandorten sind ein selbstverständlicher Bestandteil einer interdisziplinären Strategie für eine zukunftsfähige Stadtentwicklung (…)“

Und: „Die Entwicklungsziele für eine klimaorientierte Stadtentwicklung sind in Fachstrategien und Raumordnungsinstrumente aufzunehmen.“

Die Bebauungsplanung ist ein solches Planungsinstrument. Hier würde eine konsequente Umsetzung der klimaorientierten Stadtentwicklung bedeuten, dass der öffentliche Straßenraum ab sofort immer und qualitätsvoll mitzuplanen ist. Bisher war dies nicht der Fall. Zudem sollten Bebauungspläne selbstverständlich auch im Einklang mit der angestrebten umgekehrten Verkehrspyramide (Fußgänger*innen vor Autofahrer*innen) und der Förderung des Zufußgehens sein.

Im Bereich der Bebauungsplanung liegt mit dem Entwurf zum Bebauungsplan 16.33. Schoygasse/Robert-Fuchs-Straße/Grillweg/Anton-Mell-Weg ein erstes Ergebnis nach diesem Beschluss vor. Es wäre aufgrund des enormen Handlungsdrucks vorauszusetzen, dass dabei bereits Entwicklungsziele für eine klimaorientierte Stadtentwicklung berücksichtigt werden.

An dieser Stelle folgt deshalb nach einer Beschreibung des Gebiets eine Überprüfung dessen, wie weit der ausgewählte Bebauungsplan die angesprochene Klimapolitik berücksichtigt:

Der Bebauungsplan 16.33 befasst sich mit dem südwestlichen Teil eines großräumigen, von Einfamilienhäusern dominierten Gebiets zwischen Kärntner Straße und Harter Straße. Das Gebiet war im FläWi 3.0 fast zur Gänze als Reines Wohngebiet (WR) mit einer Dichte von 0,3-0,4 gewidmet. Im Zuge der letzten Revision des Flächenwidmungsplans wurden 2018 Änderungen vorgenommen: Der Bereich zwischen Kärntner Straße und Johann-Fuchs-Gasse wurde als Kerngebiet/Gewerbegebiet mit maximaler Dichte 1,0 bzw. östlich angrenzend als Wohnen Allgemein mit max. 0,4 umgewidmet.
Der Bereich Schoygasse/Robert-Fuchs-Straße/Grillweg/Anton-Mell-Weg wurde ebenfalls von WR in Wohnen Allgemein, aber mit maximaler Dichte von 0,6 umgewidmet! Dies steht übrigens im Widerspruch zum Stadtentwicklungskonzept 4.0, wo dieser Bereich nach wie vor als Wohnen niedriger Dichte ausgewiesen ist. Widersprüche zwischen STEK und FläWi darf es nicht geben. Gemeinderat und Aufsichtsbehörde haben bei der Revision des Flächenwidmungsplans diese Diskrepanz offensichtlich übersehen.

Im Übrigen stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit dieser kleinteiligen Umwidmung. Warum gibt es nun Bebauungspflicht in einem kleinen, gänzlich bebauten Einfamilienhausgebiet?
Die Änderungen der Baulandkategorie bedingen zur Sicherstellung einer geordneten Siedlungsentwicklung Bebauungsplanpflicht für die betroffenen Grundstücke.

Der gegenständliche Bebauungsplan wurde aufgrund der Anfrage von BK Immo Vorsorgeprojekt Schoygasse 7a im Anlassfall erstellt. Meine Interpretation der Situation: Aufgrund der Erhöhung der Maximaldichte von 0,4 auf 0,6 sind die Grundstücke plötzlich für Bauträgerprojekte interessant. Auffällig ist, dass beim Gebiet im Anschluss an das mit 1,0 max. Dichte gewidmete Kerngebiet/Gewerbegebiet die Maximaldichte nur 0,4 beträgt und in der Schoygasse selbst aber 0,6. Das ergibt städtebaulich wenig Sinn.

Wurde die Sicherstellung der geforderten geordneten Siedlungsentwicklung durch den Bebauungsplan erreicht?

Hier gibt es ein klares Nein als Antwort. Die Verdichtung von 0,4 auf 0,6, bedingt dichtere Verbauung, mehr Bewohner*innen, mehr Autos und mehr Frequenz auf den die Grundstücke erschließenden Straßen. Drei von vier Straßen haben jedoch keinen Gehsteig, was einer geordneten Siedlungsentwicklung widerspricht! Bei diesen Straßen wären Abtretungen bezüglich der Errichtung von Gehwegen zumindest auf einer Seite der Straße erforderlich gewesen. Lediglich im Bereich des Grillweges wird ein halber Meter zur Verbreiterung des Gehsteiges als Abtretungsfläche festgelegt.

Mit der Wahlmöglichkeit für offene, gekuppelte oder geschlossene Verbauung entlang des Grillwegs wird eher Chaos als Ordnung entstehen, da diese Entscheidung den Grundeigentümer*innen bzw. Projektentwickler*innen überlassen wird. Somit sind Konflikte vorprogrammiert.
 

Welche klimaorientierten Festlegungen wurden getroffen?

Begrenzung der möglichen Unterbauung von Grundstücken:
Es wurden erstmals Grenzlinien für die mögliche Unterbauung mit Tiefgaragen im Planwerk dargestellt (leider mit Ausnahme für Rampen). Bisher wurden nur Grenzlinien für oberirdische Gebäude dargestellt und im Verordnungstext Ausnahmen für deren Geltungsbereich definiert. Tiefgaragenrampen und deren Einhausungen waren ausgenommen und durften die Baugrenzlinien überschreiten. In letzter Zeit wurde aber immer öfter verordnet, dass die festgelegten Baugrenzlinien explizit nicht für Tiefgaragen gelten. Damit konnte das gesamte Grundstück mit einer Tiefgarage unterbaut werden, was im Falle des Bebauungsplans 05.33 Josef-Huber-Gasse - Idlhofgasse zur Folge hatte, dass sogar Bäume am Nachbargrund im Zuge der Aushubarbeiten für die Tiefgarage gefällt werden mussten. Entsprechender Kommentar MINUS Kein Faschingsscherz – Die Stadt Graz schädigt sich selbst ist ebenfalls auf www.gat.st zu lesen.

Festlegung des Hellbezugswertes von Fassaden:
Damit wird eine zu dunkle oder zu helle Farbgebung verhindert.

Welche klimaorientierte Festlegungen fehlen?

Der öffentliche Straßenraum wurde (wieder) nicht mitgeplant.
Das ist kritisch anzumerken, da drei Straßen, die das Bebauungsplangebiet umgeben, keine Gehsteige aufweisen, die Grundstücke aber um einiges dichter verbaut werden können, was eine höhere Frequenz von Autos, aber auch von Fußgeher*innen bedeuten wird!

Es werden keine durchgehenden Baumreihen im öffentlichen Raum vorgesehen.
Bäume sind im Bebauungsplan nur auf privaten Flächen vorgesehen. Da die Baumsetzungen nur im Rahmen von Bauvorhaben realisiert werden können, wird das Ziel einer klimarelevanten, kühlenden Baumreihe erst am St. Nimmerleinstag erreicht werden können. Im Sinne der klimaorientierten Stadtentwicklung sollte ein mindestens 4m breiter Streifen für Gehsteige und Baumreihen in Form einer Abtretung vorgesehen werden. Denn nur so kann das Schwammstadtsystem umgesetzt und eine nachhaltige Qualität der Bäume sichergestellt werden.

Berücksichtigung und Förderung aktiver Mobilität fehlen.
Das Erreichen von Nahversorgern und öffentlichen Verkehrsangeboten ist durch das Fehlen von Gehsteigen weder sicher und noch komfortabel möglich. Zufußgehen wird nicht gefördert.

Tiefgaragenpflicht für 90 % der Grundstücke fördert den motorisierten Verkehr und hat mit klimagerechter Stadtentwicklung wenig zu tun.
Der Bebauungsplan schreibt für Grundstücke mit mehr als 800 m² die Errichtung einer Tiefgarage vor. Nur 2 Grundstücke von 18 sind kleiner als 800 m². Für das Gebiet bedeutet dies, dass es in Zukunft dort von Tiefgarageneinfahrten nur so wimmelt. Besonders am Grillweg, einer stark befahrenen Ost-Westverbindung, würden acht Tiefgaragenzufahrten negative Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit haben und insbesondere Fußgänger*innen benachteiligen.

Resümee:
„Klimaorientierte Stadtentwicklung“ in der Bebauungsplanung sollte ganz anders aussehen. Vor allem sollte Schluss damit sein, fragwürdige Investorenwünsche abzusichern, ohne die Interessen der Allgemeinheit ausreichend sicherzustellen. Eine autogerechte Stadt war gestern!

Der Entwurf zum Bebauungsplan 16.33 hat so gut wie gar nichts mit klimaorientierter und zukunftsfähiger Stadtplanung zu tun.
Als Entschuldigung könnte vom Gemeinderat, der die Auflage Ende Dezember ermöglicht hatte, angeführt werden, dass dieser Bebauungsplanentwurf noch in der vorigen Gemeinderatsperiode begonnen wurde und schon lange seitens Stadtplanung daran gearbeitet wurde.

Mit dem Grundsatzbeschluss zur klimaorientierten Stadtentwicklung hat sich der Gemeinderat selbst die Verantwortung übertragen, alle Planungen der Stadt auf die Übereinstimmung mit der klimaorientierten Stadtentwicklung künftig eingehend zu überprüfen.

Und das ist in diesem Fall (noch) nicht geschehen. Der Plan ist im Entwurfsstadium und kann also noch geändert bzw. verbessert werden. Einwendungen seitens der Grazer Bevölkerung sind bis 9. März möglich. Eine Neuauflage wäre ein gangbarer Weg, um so viele Aspekte der klimaorientierten Stadtentwicklung wie möglich in den Bebauungsplan und die laufende Planung einzubringen.

Der Start der klimaorientierten Stadtentwicklung muss sofort beginnen. Weitere Verzögerungen kann sich die Stadt nicht mehr leisten.

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