24/02/2015

Studienfahrt im Rahmen einer Projektübung des Instituts für Wohnbau der TU Graz zu drei unterschiedlichen Baugruppenprojekten in Wien im Jänner 2015:

_ Wohnheim der Gemeinschaft B.R.O.T., Wien-Aspern, Baufeld D13, Architekt Kuzmich, 2015

_ Wohnprojekt Wien, Krakauer Straße 19, 1020 Wien, einszueins architektur, 2013

_ Sargfabrik, Goldschlagstraße 169, 1140 Wien, BKK-2 Architekten, 1996

24/02/2015

Blick vom Wohnheim der Gemeinschaft B.R.O.T. auf den Hannah-Arendt-Park

©: Elisabeth Anderl

Wohnheim der Gemeinschaft B.R.O.T., Wien-Aspern. Architektur: Architekt Kuzmich, 2015

©: Elisabeth Anderl

Ausblick aus dem Erschließungsbereich des Wohnheims der Gemeinschaft B.R.O.T., Wien-Aspern. Architektur: Architekt Kuzmich, 2015

©: Elisabeth Anderl

Wohnprojekt Wien', Krakauer Straße 19, 1020 Wien am Bednar-Park

©: Elisabeth Anderl

Auf der Dachterrasse des 'Wohnprojekts Wien', Blick auf den Bednar-Park

©: Elisabeth Anderl

Markus Zilker in der Gemeinschaftsküche des 'Wohnprojekts Wien'

©: Elisabeth Anderl

Greißlerei im 'Wohnprojekt Wien'

©: Elisabeth Anderl

Eräuterung zur Bebauung des ehem. Wiener Nordbahnhofsgeländes durch Felizitas Konecny

©: Elisabeth Anderl

Sargfabrik, Goldschlagstraße 169, 1140 Wien, BKK-2 Architekten, 1996

©: Karin Wallmüller

Sargfabrik, BKK-2 Architekten, 1996

©: Karin Wallmüller

Sargfabrik, BKK-2 Architekten, 1996

©: Karin Wallmüller

Im Jänner 2015 wurde im Rahmen einer Projektübung des Instituts für Wohnbau der Technischen Universität Graz eine Studienfahrt zu drei unterschiedlichen Baugruppenprojekten in Wien organisiert.

Ausgehend vom neuen Wiener Hauptbahnhof war es durch den Ausbau der U2 möglich, den neuen nordöstlichen Stadtteil Wiens innerhalb von dreißig Minuten zu erreichen. Eine Trabantenstadt, errichtet zwischen weitläufigen Agrarlandschaften und in der Nähe des Nationalparks Donau-Auen angesiedelt, deren Name Aspern – die Seestadt Wiens auf einen bescheidenen fünf Hektar großen, künstlich angelegten See zurückzuführen ist. Das große Wagnis an diesem Städtebauprojekt war, dass die Stadt Wien das insgesamt 240 Hektar große Areal zuerst infrastrukturell per U-Bahn erschlossen hatte und der Baustart der Projekte erst im Anschluss an deren Fertigstellung erfolgte.

Ein zwanzigminütiger Fußweg von der U-Bahn-Endstation Aspern führte auf überdimensionierten Straßen, die für den zukünftigen motorisierten Verkehr durch die Seestadt vorgesehen sind, zum ersten zu besichtigenden Baugruppen-Wohngebäude des Vereins B.R.O.T. auf dem Baufeld D13, dessen Planung und Realisierung durch das Architekturbüro Kuzmich erfolgte. Dieser Wohnbau ist ein Solist in einem Ensemble aus insgesamt fünf verschiedenartigen Gebäuden, die sich aufgrund der städtebaulichen Vorgabe seitens der Stadt Wien – der gründerzeitlichen Blockrand-Bebauungstypologie – um einen begrünten Innenhof gruppieren.

Die Leitidee des Entwurfs basiert darauf, dass die Gemeinschaft oberste Priorität hat. Demzufolge definiert sich das Herzstück des Wohngebäudes durch einen großzügig angelegten, jedoch wenig einladend wirkenden Erschließungskern und den im Dachgeschoß situierten Gemeinschaftsraum samt dazugehöriger Dachterrasse.
 Der Blick über die Stadt Wien ist ein Hochgenuss – ein Erlebnis für die visuelle Stadtwahrnehmung, der die vermeidbare Achillesferse – die technische Ausführung des Wohnbaus, der in einer zügigen abgewickelten Bauzeit von 1,5 Jahren errichtet wurde, – für Augenblicke vergessen lässt.
Diese Aussicht fokussiert den Blick allerdings viel mehr auf ein anderes Wohnbauprojekt, dessen Fassadengestaltung aus durchgängigen Holzfertigteil-Elementen aus der Reihe der umliegenden Projekte heraussticht. Diese Innovation im Wiener Wohnbau, geplant von querkraft architekten, erzeugt eine immense Anziehungskraft und lässt das Interesse aufkeimen, dieses Projekt detaillierter in Augenschein zu nehmen.

Resümierend wird in Aspern allerdings erst die Zeit zeigen, wie sich das Gesamtkonzept der neuen Seestadt Wiens entwickelt und durch deren zukünftige BewohnerInnen angenommen wird.

Nachhaltigkeit als existentielle Seinsbestimmung

Etwas ernüchtert von den in Aspern gewonnenen Eindrücken steigt die Neugierde auf das 2013 beendete und erst kürzlich mit dem österreichischen Staatspreis für Architektur und Nachhaltigkeit ausgezeichnete Wohnprojekt Wien an der Krakauer Straße. Das geförderte Wohnheim wurde in Mitbestimmung aller Beteiligten vom Büro einszueins architektur geplant, deren InhaberInnen, DI Markus Zilker und DI Katherina Bayer, selbst im Haus wohnen und arbeiten.
Durch seine Holzfassade wirkt das achtgeschoßige, freistehende Gebäude im Gegensatz zu den glatten Putzoberflächen der umliegenden neuen Gebäude erfrischend anders. Die unregelmäßig angeordneten, teilweise über Eck verlaufenden Balkone, verweisen direkt auf die individuell gestalteten Wohnungsgrundrisse der BewohnerInnen und verleihen dem Wohnbau eine persönliche Note.

Das Treffen mit Architekt Zilker, der mit enthusiastischen Worten das auf soziokratischer Basis beruhende Projekt erläutert, macht eines schnell deutlich: Nachhaltigkeit bleibt nicht bei der technischen Infrastruktur, ressourcenschonenden Materialien oder Carsharing- und Fahrrad-Mobilität stehen, sondern ist existentieller Lebensinhalt, wie auch der von der Baugruppe gegründete Verein für nachhaltiges Leben durch seine Vision vermitteln möchte: Wie einst die 10 Gebote in Rahmen gefasst, zieren die Leitlinien die Wand gegenüber dem Esstisch. Der hohe Stellenwert von Gemeinschaft bedingt eine Vielfalt an Räumen für kollektive Betätigungen, insbesondere die Gemeinschaftsküche mit direktem Blick zum Kinderraum oder die Ruhezone für Mußestunden auf dem Dach.
Nachvollziehbarerweise sind die Wohnungen heiß begehrt, aber nach dem Motto hard to enter, easy to leave muss dafür erst ein zweistufiges Vorstellungsgespräch absolviert werden.

Aktueller denn je, die Sargfabrik

Konzeptuell ist das Wohnprojekt Wien ein Folgeprojekt der 1996 von den BKK-2 Architekten fertiggestellten Sargfabrik, die dadurch aktueller denn je ist. Sie ist zudem weit über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt, nicht nur durch ihr vielfältiges Kulturprogramm, das einen wesentlichen Bestandteil der mannigfaltigen Betätigungsfelder des gemeinnützigen Vereins für Integrative Lebensgestaltung (VIL) ausmacht. Gemäß der obersten Prämisse Gemeinschaft vor Individualität, unterstützte der Verein die Etablierung diverser kollektiver Einrichtungen. Nach außen spiegelt sich die Botschaft, Wohnen anders zu denken und zu leben, augenfällig durch die leuchtend orange Fassade wider. Persönliche Bedürfnisse kommen aber auch nicht zu kurz und finden ihren architektonischen Niederschlag in der Gestaltungsfreiheit der Grundrisse, ermöglicht durch die Verwendung einer beliebig addierbaren zweigeschoßigen Einheit, die für unkonventionelle Interpretationen genügend Spielraum ließ.

Die aus mehreren Gebäuden mit zwei gegeneinander abgewinkelten Eingängen bestehende Anlage berücksichtigt aber nicht nur die Nutzungswünsche, sondern auch den historischen Kontext. Der erste Plan, den ehemaligen Fabriksbau umzubauen, wurde zugunsten eines Neubaus verworfen. Ganz aufgegeben wurde aber die ursprüngliche Raumstruktur nicht, sondern die Raumhöhe an die Höhe der Produktionshalle, deren Decke anfänglich erhalten werden sollte, angepasst. Die knappe Raumhöhe von 2,26m in den Annexräumen, die zum Ausgleich an einen hohen Luftraum im Wohnbereich anschließen, ist also kein Statement der Architekten, sondern eine Reminiszenz, wie auch der alte Schornstein, der zwischen den Baukörpern gegen Himmel ragt.
Etwas neu zu denken, bedingt eine gewisse Offenheit. Ob diese Art der Offenheit in einer Architektur ablesbar ist, die durch raumhohe Glasfronten Einsicht in die Privatsphäre erlaubt oder sich darin manifestiert, dass die BewohnerInnen die Laubengänge im Sommer als Balkone nutzen, sei dahingestellt.

Wünschenswert wäre jedenfalls, dass Projekte wie die Sargfabrik oder das Wohnprojekt Wien einen generellen Umdenkungsprozess in der österreichischen Wohnbaukultur anstoßen und nicht nur einige wenige Nachfolgerprojekte finden.
Dazu sind allerdings Akteure erforderlich, die sich nicht scheuen, den Aufwand der langjährigen Planung auf sich zu nehmen, um eine durchgängige hohe Wohn- und Lebensqualität zu schaffen.

Damit letzten Endes nicht bloß standardisierte, regel- und richtlinienkonforme Architektur entsteht.

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