19/11/2014

Mit der Frage Why Social Architecture befasste sich am 12. Nov. 2014 eine ExpertInnenrunde im Rahmen der Ausstellung Druot, Lacaton & Vassal – Tour Bois le Prêtre im HDA Graz

19/11/2014

Ausstellung 'Druot, Lacaton & Vassal – Tour Bois le Prêtre' im HDA Graz

©: Martin Röck

Frederic Druot

©: Martin Röck

Martina Spies

©: Martin Röck

Gernot Kupfer

©: Martin Röck

Gernot Kupfer, Martina Spies, Frederic Druot, Markus Bogensberger (v.l.n.r.)

©: Martin Röck

Fabian Wallmüller, Rainer Rosegger, Matthias Böck (v.r.n.l.)

©: Martin Röck

Warum die Frage why social architecture eigentlich eine gute Frage ist…

Sozial:
1. das (geregelte) Zusammenleben der Menschen in Staat und Gesellschaft betreffend; auf die menschliche Gemeinschaft bezogen, zu ihr gehörend
2. die Gesellschaft und besonders ihre ökonomische und politische Struktur betreffend
3. die Zugehörigkeit des Menschen zu einer der verschiedenen Gruppen innerhalb der Gesellschaft betreffend
4. dem Gemeinwohl, der Allgemeinheit dienend; die menschlichen Beziehungen in der Gemeinschaft regelnd und fördernd und den [wirtschaftlich] Schwächeren schützend
(Duden)

Sozial wird der Mensch, weil er sich selbst im andern sucht.
(Karl Kraus)

Why social Architecture scheint vorwiegend junges Publikum zu beschäftigen – geschätzt 80% Studierende besuchen am Abend des 12. November das Grazer HDA.

Frederic Druot führt zum thematischen Einstieg amüsant durch die aktuelle Ausstellung Druot, Lacaton & Vassal – Tour Bois le Prêtre und erklärt, warum man die (Sozial-)Wohnbauten der 60er Jahre nicht zerstören sollte, sondern wie man sie mit neuem Leben füllt – er verschweigt aber auch nicht die dabei entstehenden Schwierigkeiten. 

How to do Housing now?
Gerade die sozialen Wohnbauten aus den 50er und 60er Jahren sind vielerorts abbruchgefährdet…. Sei es, weil sie durch das Wachstum der Stadt in eine begehrtere Innenstadtlage „gerutscht“ sind und eine Gentrifizierung lukrativ erscheint, weil die radikale Architektur der Nachkriegszeit das derzeitige ästhetische Empfinden verletzt, weil die Bausubstanz der Nachkriegsjahre zu großen Sanierungsaufwand erfordert.
Aber der Anspruch von Druot, Lacaton & Vassal lautet: „It is a matter of never demolishing, substracting or replacing things, but always adding, transforming and utilizing them!“ Druot betont pointiert die Differenz zu städtebaulichem Vorgehen („Fuck the Urban Planners!“) – und verlangt, den Raum von den Innenräumen aus (mit den Augen der MieterInnen?) zu sehen, nicht vom Plan, nicht „von oben“ sozusagen – „Architecture for inside, not from outside“.

Am 1958 – 1961 erbauten Tour Bois le Prêtre in Paris (Architekt Raymond Lopez) wurde 2007 – 2010 die alte Fassade durch eine Glasfassade ersetzt. Die neue vorgesetzte Stahlkonstruktion mit Wintergärten bedient vordergründig weniger einen ästhetischen Anspruch oder bestimmten Stil, sondern gibt den Menschen das, was sie sich am meisten wünschen: mehr Lebensraum. Ein Mehr an Licht bei gleichzeitiger Energieeffizienz wird durch ein Wechselspiel von Solarcurtains und normalen Vorhängen erzeugt.
Das wichtigste Bild der Ausstellung ist für Druot der Rochadeplan, der die Reorganisation der Familien im Gebäude beschreibt:  Durch den engen Kontakt und viele Gespräche mit den im Tour Bois le Prêtre lebenden Menschen („Give Attention to every Case“) gelingt es, zu große/zu kleine Wohnungen zu verkleinern, zu teilen, zusammenzulegen und alle Einwohner (manche wohnen seit 1961 in diesem Haus), die bleiben wollten, können in eine passende Wohnung „umgesiedelt“ werden bzw. in ihrer angestammten, nunmehr sanierten verbleiben.
„Aufgrund des Leerstandes gibt es genug Kapazitäten, verwenden wir sie.“ („There is enough Capacity – use it!“).
Wintergärten benötigen 50% der Baukosten, der Rest setzt sich aus thermischer Sanierung, Umstrukturierung der Erdgeschoßzonen oder Umbau der Lifte zusammen. Die Miete bleibt gering und durch die behutsame, zugegeben zeitaufwendige Rochade bei laufendem Betrieb wird auch kein Einsetzen eines Verdrängungsprozesses riskiert.

Anschließend an eine kurze Pause werden von HDA-Geschäftsführer Markus Bogensberger drei Vorträge angekündigt, deren Grundfragen sein sollen:

  • Wodurch wurden die geladenen drei Architekten, Frederic Druot, Martina Spies, Gernot Kupfer zur Beschäftigung mit sozialer Architektur motiviert?
  • Wodurch sind sie mit der Thematik in Berührung gekommen (wobei von Spies später eine interessante Antwort kommt: bin mit dem Motorrad hingefahren….)
  • Wie gestalten sich die persönlichen finanziellen Hintergründe, sprich: wie kann man sich dieses Engagement leisten und wer finanziert und oder wer beauftragt diese Projekte? 

Die erste Frage, die an diesem Abend somit offen bleibt, ist damit nicht nur WHY Social Architecture, sondern WAS ist überhaupt soziale Architektur? Anders gefragt: Ist ein Penthouse mit einem m2-Preis von 11.000 Euro per se a-soziale Architektur? Aber hat nicht sogar Grete Schütte-Lihotzky gesagt: Das Wort sozial bedeutet im deutschen Sprachraum grundlegend alles Gesellschaftliche, erst mehr oder weniger umgangssprachlich erweitert auf gemeinnützig, wenn nicht sogar barmherzig….
Wenn man nun in Gefolge von Benjamin, Simmel, Halbwachs und Lefebvre Bourdieus Theorie des sozialen Raums heranzieht, formt die in ihm existierende Gesellschaft den Raum ebenso sehr, wie sie von ihm geformt wird. Die soziale Konstruktion des Raumes bedingt mithin ebenso die räumliche Konstitution des Sozialen. Architektur als raumschaffende „Disziplin“ ist somit per se sozial – die Frage lautet, in welche Richtung man sich engagiert bzw. ob man als Architekt die Herausforderung annimmt, abseits von Hochglanzmagazinarchitektur ein Arbeitsfeld zu wählen, das sich durch bewusstes Wahrnehmen tatsächlich bestehender sozialer Bedingungen auf eine stärkere Verbindung zwischen Ethik und Ästhetik zubewegt und soziale Verantwortung übernimmt.
Über diesen gedanklichen „Umweg“ lässt sich auch die gefährliche Spaltung der Gesellschaft in Reiche, die sich ohnedies nicht kümmern, und Arme, denen geholfen werden muss, aufheben:

„Wir sind nun mal zur Gemeinschaft geboren.
Unsere gesellschaftliche Verbindung ist einem Steingebäude ähnlich, das einstürzen würde, wenn die Steine einander nicht wechselseitig stützten.“

Lucius Annaeus Seneca 

Wäre es demzufolge nicht unmissverständlicher, von sozial engagierter Architektur zu sprechen – oder in einem größeren (globalen?) Zusammenhang von nachhaltigen Aspekten des Bauens? Nachhaltigkeit enthält ja gleichberechtigt neben der ökonomischen und der ökologischen ebenso die soziale Dimension.
Dazu passt durchaus das im ersten Vortrag geschilderte Verständnis Frederic Druots von weder sozialer, noch sozial engagierter, sondern von guter Architektur: Arbeite mit Reich und Arm auf dieselbe Art: pay attention… Erste Voraussetzung ist zu sehen, was und wer ist schon vorhanden im betreffenden Raum: „What & Who is already there?”
Architektur setzt sich zusammen aus der richtigen Mischung aus Komposition, Präzision, Mobilität, Einfachheit und Ökonomie, Technik, und das Ganze wird verpackt in: „Spend less to do more!“
Druots Leitsätze für die anwesenden Studierenden lauten weiters: Keine Bäume schneiden („Never cut trees“), Lasst Luft („Give Air“), Glaub nie mehr als die Hälfte („Don’t believe more than 50%“), schau auf deine Partner („Take care of your Partners“ – was bei genauerem Nachdenken zwei Interpretationen offenlässt) und über allem: Hab Freude an dem, was du tust („Enjoy what you are doing“).

Als zweites berichtet Martina Spies über Dharavi, ein Slum oder eine Gemeinde innerhalb Mumbais an den Grenzen eines gutbürgerlichen Bezirkes.
Verschiedene Berufsgruppen (Müllsammler, Besenmacher, …) haben sich ihren Lebensraum innerhalb dieser Stadt auf jeweils spezifische Art und sozusagen in Co-Produktion oder zumindest Co-Existenz angeeignet. Alles ist dabei auf kleinstem Nenner zusammengefasst; Wohnen und Arbeiten findet auf engstem Raum statt, die Lösungen erscheinen flexibel und kreativ, das Design resultiert aus Beruf und Lebensweise der Menschen, Wegeführung und Strukturen wurden aus den Dörfern mit- oder übernommen.
Martina Spies sieht im Laufe ihrer Tätigkeit vor Ort keine Notwendigkeit für eine „aufgepfropfte“ Architektur  nach westlicher Tradition. Was ihr auffällt, ist, dass die Kinder auf sich allein gestellt sind (was nicht unbedingt negativ sein muss?), aber dass vor allem Mädchen kaum (geschützten?) Spiel-Raum innerhalb der öffentlichen Räume einnehmen, während die Jungs die Straßen dominieren.
Ihr Projekt Anukruti versucht, diese Räume herzustellen: Stadtblumen (joyful little seeds), sind zeltartige mobile Kinderspielplätze in verschiedene Größen, klein mit Sitzflächen und Bücherregalen, mittelgroß mit Schaukel, groß mit Platz für eine ganze Schulklasse…Gebaut wird aus Müll/Recyclingmaterial, das teuerste sind die Farben. Wichtiger Aspekt ist die Mithilfe der Gemeinschaft, auch deshalb, weil „fremdeingebrachte“ Spielgeräte sonst schnell verschwinden, da sie innerhalb der prekären Sozietät einen zu großen, zu verführerischen Wert darstellen. Die eigentliche Schwierigkeit sieht Spies im Umgang mit der Obrigkeit, mit Verwaltung und Polizei – weniger aufgrund gesetzlicher Vorgaben oder Standards (vgl. in diesem Zusammenhang ÖNORM B 2607?), sondern aufgrund der herrschenden Korruption.
Finanziert werden diese Stadtblumen durch Spenden und eine Art indischer Variante der tagwerk-Taschen – Sozialromantik-Kritiker wären an dieser Stelle vielleicht versucht zu fragen, ob bitte Taschen nur noch kurz die Welt retten können?

Das letzte Input des Abends kommt von Gernot Kupfer, der über das Fullscale-Projekt Mojo erzählt. Mojo (i.e. Talisman, Glücksbringer) ist eine 2008 gegründete NPO mit dem ursprünglichen Ziel, im Rahmen von Lehrveranstaltungen mit Architektur- und Bauwesen-Studierenden Schulprojekte in Afrika (Fokus Südafrika, Tanzania) zu realisieren. Ausgangspunkt war die Errichtung des Kindergartens Weilers Farm in Johannesburg, mittlerweile wurden an weiteren Standorten Wohneinheiten, Klassenräume, Werkstätten oder Verwaltungs- und Infrastrukturgebäude errichtet. Die Projekte müssen selbst erarbeitet werden, nicht nur die Finanzierung muss gesichert, sondern eigentlich auch die „Bauherrenschaft“ und letztendlich ein „Betreiber“ müssen gefunden werden.
Intendiert ist einerseits die praxisnahe Ausbildung der Studierenden, aber auch die anwesende Bevölkerung darf lernen. Vorwiegend „ungeschulte“ lokale Arbeitskräfte werden zu den Bauarbeiten herangezogen – interessante These der Umkehrung, dass man von der Bevölkerung vor Ort ihre traditionellen Bauweisen lernen sollte?

In der anschließenden Diskussion mit Fabian Wallmüller (Architektur ohne Grenzen), Matthias Böck (Ingenieure ohne Grenzen) und Rainer Rosegger (Soziologe, Agentur SCAN), die leider aufgrund des Sitzplatzmangels am Podium (oder einer eigenartigen Choreographie) mit dem Rücken zum Publikum verbleiben, werden die konträren Positionen der drei Hauptprotagonisten des Abends kaum hinterfragt, geschweige denn aufgelöst. Einzige Gemeinsamkeit scheint das Fehlen einer kaufkräftigen Klientel zu sein.
Zudem vermisst man ob der Thematik einen Vertreter/ eine Vertreterin, die in Österreich, wo die Wohnbauförderung mittlerweile in hohem Maße der Eigentumsbildung des Mittelstands dient, für eine sozial engagierte Architektur steht: 
Das Wiener Büro gaupenraub +/- (Alexander Hagner, Ulrike Schartner) war zu diesem Zeitpunkt bereits für den Österreichischen Bauherrenpreis nominiert (und hat ihn inzwischen gewonnen!), bei „Häuser schaun“ (HDA 2013) besuchte man die Caritas Männernotschlafstelle des Architekturbüros Wratschko in Graz, im Rahmen des Impulstages temporär wohnen_prekär (i_w, TU Graz) berichtete unter anderen Uli Tischler (tmp architekten) von den spezifischen Anforderungen einer Architektur wie des Frauenhauses in Kapfenberg…
Es gibt sie noch, die guten Menschen?
Bei einem Thema, bei dem Politik (im besten Sinne als Verantwortung für eine integrierte Gesellschaft) und Bauwesen so stark verschränkt sind, hätte auch eine Einladung zu einem Statement von Stadträtin Elke Kahr (immerhin zuständig für sozialen Wohnbau in Graz), zur Klärung der Frage: Why social Architecture beitragen können.

Eine Art Antwort enthält vielleicht eine abschließende Stellungnahme von Rainer Rossegger: „durch den ständigen Lernprozess hilft diese Art der Arbeit vielleicht mehr uns selbst…“

Johng39

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Mi. 15/04/2015 2:31 Permalink

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