25/05/2020

Westwärts

Kann ein Lock-down kultiviert beendet werden?

.

Ein Reisebericht von Emil Gruber

25/05/2020

Steiermark, Ennstal, die Grimmingbrücke-Baustelle

©: Emil Gruber

Irgendwo in Salzburg

©: Emil Gruber

Irgendwo in Salzburg

©: Emil Gruber

Irgendwo in Tirol

©: Emil Gruber

Irgendwo in Tirol

©: Emil Gruber

Vorarlberg, der Fallbach-Fall bei Dalaas

©: Emil Gruber

Ja, im Freien, mit ausufernder Bewegung und mit gehörigem Abstand. Mit einem, der sich wirklich auszahlt. Spitz den Rüssel, kleiner Baby-Elefant. Die Entfernung Graz – Bregenz verlangt nach vierhunderttausend deiner Artgenossinnen und -genossen, eng hintereinander aufgestellt. Nach zwei Monaten Kreisen um sich selbst, die Chance zur Ausweitung des schon sehr beschaulichen Mobilitätsverhaltens. Kurz, eine echte Herausforderung für den sehr liebgewonnen Feind Bequemlichkeit. Kofferpacken, Kühlschrank leeren, Wohnungsschlüssel zum Hausmeister. Vor der Tür, umweltsündig, ein Auto als Fluchthilfe aus dem persönlichen Bunker. Kapitän Kirk würde jetzt sagen:
„Volle Fahrt, Warp 1, Scotty ".

Die unverhandelbaren Tageszutaten des Abenteuers: Dauerregen, schlechte Sicht und Kälteeinbruch. Die Berge gepudert und im Nebel. Wenig Konkurrenz auf allen Spuren der Autobahn. Die Sehenswürdigkeiten und -unwürdigkeiten entlang der Strecke von Graz bis Stainach verwischen sich in der Windschutzscheibe. Bei Schloss Trautenfels gibt es Zuwachs für breite Meinungsbildung. An der Grimmingbrücke wird seit Herbst 2019 gebaut. Am Ende soll sie rund 240 Meter lang sein. Was denkt wohl der Wachtelkönig im hohen Gras daneben? 2003 hat er noch ein Autobahnprojekt im Ennstal weggebalzt. 

Die Ischgl der Steiermark, ziehen vorbei. Haus im Ennstal und, hinter einer durchgehenden Schau-, besser Schallschutzmauer, Schladming. Ehemals idyllische Orte der Jugend, als ein glücklicher Gschrapp, noch, von glücklichen Hendln eingekreist, am staubigen Boden sitzen durfte und irgendetwas Undefinierbares in den Jungmund stecken konnte. Gelassenheit war bei Eltern eine Allerweltstugend. Auf erste frühkindliche Durchseuchungsversuche folgten nie spätere Quarantänemaßnahmen wie Spielverbot im Freien.

Vor der Tauernautobahnabzweigung bei Radstadt wartet fremdes Land. Die ungleich schnellere Route in Richtung Deutsches Eck würde abrupt an der Staatsgrenze enden. Der österreichische Kreuzweg ins heilige Land Tirol führt quer durch das Salzburger Innergebirg. Der Regen, der in der Obersteiermark nachgelassen hat, wird wieder stärker. In den beschlagenen Scheiben spiegeln sich wieder nur Fragmente des Außen. Das rettet den Blick auf der Fahrt durch die Dörfer vor mancher ausufernder Architektur, Solarzellenmonstern und anderen unerbittlichen Vor-, Zu- oder Nachbauten.

Pause an einer Tankstelle. Die Maske wird heute erstmals ausgepackt. Sie ist aus einem Stoff, auf dem prähistorische, längst ausgestorbene Tiere aufgedruckt sind. Memento mori macht manchmal mutig, heißt es in der Kunst. Das Benzin ist auch im Pongau unter 1.
Ob Dieselpreis oder Reproduktionszahl des Bösen, alles senkt sich in diesen Tagen. Die spärliche Frischwarenauswahl in der Vitrine des Shops ist nur für noch Mutigere appetitanregend. In sich kollabierte Semmeln mit antagonistischem Belag: der Digitalkäse zum Erdmittelpunkt hin gekrümmt, das Wurstblatt mit verdorrten Rändern gegen Himmel weisend. Dazwischen doppeltot, ein fahles Salatblatt. Wurscht; eine Packung Dragee-Keksi wird der Magenschutz vor so einer traurigen Trinität. Unklar bleibt: Die Maskenpflicht am WC. Nur im Stehen oder auch im Sitzen?

Der Pinzgau. Wir fahren durch Lend, wir fahren durch Gries. Nach St. Leonhard wäre es aber über achtzig Kilometer in die falsche Richtung. Die Irritation endet schnell.

Zell, das Ischgl für die betuchten Araber: öde und leer. Am See ist das fürs Füße-Vertreten leidlich in Ordnung. Völlig beiläufig später Kitzbühel, das Ischgl für alles, was prominent sein muss.

Die Inntalautobahn. Sanfter Verkehr am Holy Trail; auf der linken Spur heulen ausgehungerte Pferdestärken nur selten auf. Knapp vor dem Arlbergtunnel, eine Baustelle und eine Autobahnableitung. Die alte Bundesstraße sollte landschaftlich schön sein. Die himmlische Gießkanne verhindert den Blick auf Berge, Wiesen und Aue. Ein paar Einheimische sehen mögliches Aquaplaning als Gottesurteil und überholen in festem Glauben, dort wo es eng und unübersichtlich wird.

Dann endlich der Arlberg, die Kulturscheidewand mit eingebautem Tunnelblick. Nach 14 Kilometer Röhrenverstärkung wieder ans Licht. Vorarlberg. Der Regen hat aufgehört. Als Belohnung für die horizontale Ausdauer klare Sicht auf den Fallbach-Fall bei Dalaas. 520 Meter vertikales ungebremstes Wasser. Die Dämmerung setzt langsam ein.

Nach 7 Stunden 42 Minuten und 606 Kilometern, Einparken nach dem Rüssel des letzten Babyelefanten: Bregenz. Über uns am Himmel verschwindet ein heller Punkt hinter dem Pfänder, die ISS zieht ihre Schleife um die Erde.

Ob oben oder unten: in Bewegung sein zu können, ist immer ein Plus.

Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+