24/11/2010

Was bleibt von der Grazer Schule?
Symposium, das dem viel zitierten Label „Grazer Schule“ auf den Grund gehen will.

Termin
12./13.11.2010

Veranstalter
Institut für Architekturtheorie, Kunst- und Kulturwissenschaften, TU Graz

„Die Grazer Schule ist ein Fake.“ (Manfred Wolff-Plottegg)

24/11/2010

Anselm Wagner, Kunsthistoriker und Kunstkritiker, Professor am Institut für Architekturtheorie, Kunst- und Kulturwissenschaften (IAKK) der TU Graz, Veranstalter des Symposiums "Was bleibt von der Grazer Schule". Das Bild im Hintergrund zeigt das Studentenheim am Hafnerriegel in Graz.

Eilfried Huth, Architekt und e. Professor an der Hochschule der Künste Berlin

Konrad Frey, Architekt

Volker Giencke, Architekt und Universitätsprofessor an der Architekturfakultät der Uni Innsbruck

Eugen Gross, Architekt und Autor

Anselm Wagner im Gespräch mit Peter Blundell-Jones, Bettina Götz, Karin Tschavgova und Wolfdieter Dreibholz

Peter Blundell-Jones, Architekt, Architekturpublizist, Professor für Architektur an der Universität Sheffield. U. a. Autor von "Dialogues in Time - New Graz Architecture"

Karin Tschavgova, Architekturpublizistin und -vermittlerin

Manfred Wolff-Plottegg, Architekt und Universitätsprofessor an der TU Wien

Interessierte Studierende und Univ.-AssistentInnen im gut gefüllten HS II. Fotos: IAKK

Folder zum Symposiums "Was bleibt von der Grazer Schule", das am 12./13.11.2010 vom Institut für Architekturtheorie, Kunst- und Kulturwissenschaften der TU Graz veranstaltet wurde.

„Die Grazer Schule ist ein Fake.“ Dieser provokante Ausspruch kommt von einem Vertreter der Grazer Schule, der keiner gewesen sein will, eine typisch österreichische Eigenart, wie Manfred Wolff-Plottegg, Professor für Architektur und Entwerfen an der TU Wien, selbstironisch meint. Der Blick von außen ist ein der Grazer Schule immanentes Phänomen, wurde doch selbst die Bezeichnung von einem Außenstehenden, dem Wiener Architekturkritiker Friedrich Achleitner , 1981 erstmals verwendet. Heute ist das bauliche Erbe der Grazer Schule in Gefahr leichtfertig zerstört zu werden; man denke an die Zu-Tode-Sanierung von Eilfried Huths Forschungszentrum in Leoben oder die Baumarkt-Glashäuser vor Klaus Kadas Institut für Pflanzenphysiologie der Universität Graz. Und die Zukunft eines Initialbaus der Grazer Schule, dem Studentenheim am Hafnerriegel der Werkgruppe Graz, liegt in den Händen eines Investors. Diese Situation sollte, auch über die Grazer Schule hinaus, Anlass sein, über den Umgang mit Gebäuden der 60er-Jahre – Stichwort Denkmalschutz – grundlegend nachzudenken.

Dem viel zitierten Label „Grazer Schule“ auf den Grund zu gehen und zu ergründen, wie diese in das Heute wirkt, war Ziel des zweitägigen Symposiums „Was bleibt von der Grazer Schule“, das vom Institut für Architekturtheorie, Kunst- und Kulturwissenschaften der TU Graz veranstaltet wurde. „Die Bedeutung der Vergangenheit wird immer aus der Perspektive der jeweiligen Gegenwart heraus konstruiert“, stellte Anselm Wagner, Professor am IAKK, schon zu Beginn fest. So kristallisierten sich neben der Suche nach der Essenz der Grazer Schule zwei Aspekte heraus, die im gegenwärtigen Architekturdiskurs von besonderem Interesse sind: die Rolle der Zeichensäle als konstituierender und (bildungs-)politischer Faktor damals und heute sowie der Ansatz des strukturalen Denkens, insbesondere in Verbindung mit der Frage nach Utopien. Diese beiden Themen werden Schwerpunkte des zweiten und dritten Teils der Serie zur Grazer Schule auf gat.st sein.

Der zeitliche Fokus lag damit eindeutig in den 60er-Jahren, der prägenden Zeit der Zeichensaal-Revolution, obwohl es die 80er waren, in denen die Grazer Schule ihre größte Bekanntheit erreichte und aus denen heraus Achleitner das Skulpturale, fast aggressiv Expressive, als das prägende Charakteristikum der Grazer Schule identifizierte. Das biomorphe Design blieb in den Diskussionen hingegen nahezu unerwähnt, was aber wohl auch am kurzfristigen Ausfall von Peter Cook lag.

Zwischen allen Teilnehmern des Symposiums herrschte Übereinstimmung, dass es den Architekten der Grazer Schule nie um Form oder gar die Schaffung eines Stils gegangen war, sondern gesellschaftliche Überlegungen im Vordergrund standen. Von Generationen von Architekten wurde so gut wie jede architektonische Strömung abgedeckt, die es damals in Österreich gab. Volker Giencke sieht es dabei als Vorteil, dass die Grazer nicht, wie der „bemerkenswerte Wiener Einzelkämpfer Hans Hollein“, dem übermächtigen Erbe von Adolf Loos, Josef Hoffmann und Otto Wagner gegenüberstanden. So konnten sie über das Bauen hinaus denken, zwischen Architektur und Gebäuden unterscheiden. Denn diese waren laut Konrad Frey nur notwendiges Mittel zur Verwirklichung der Aufgaben der Architektur, ergaben sich aus Struktur, Funktion und Nutzung und wurden „nur dann gebaut, wenn es nicht zu vermeiden war.“

Der urbane Kontext stand im Mittelpunkt. Strukturen erzeugten, möglichst wenig festschreibend, Bauplätze für zukünftige Ausbauten, sind sich auch Eugen Gross und Eilfried Huth einig. Peter Blundell Jones, Autor von „Dialogues in Time – New Graz Architecture“, dem wichtigsten Buch über die Grazer Schule, sieht im urbanen Gefüge von Graz, genauer gesagt in dessen Irregularität, einen wichtigen Faktor im Entstehen der Architektur, die mit Interaktion und Addition auf diese Situation reagierte.

Eine Brücke in die Gegenwart schlägt Bettina Götz (ARTEC), die die maßgebliche Prägung des Wiener Wohnbaus bis heute durch die richtungsweisenden, wenn auch konträren Ansätze der zeitweiligen Büropartner Helmut Richter und Heidulf Gerngroß betont. Karin Tschavgova und Wolfdieter Dreibholz wiederum beleuchten den geförderten Wohnbau des „Modells Steiermark“, der in den 80er-Jahren viel beachtete Innovationen hervorbrachte, dann aber nach einem politischen Wechsel schlagartig wieder in der Mittelmäßigkeit verschwand.

Eine für alle Seiten fruchtbare Besonderheit in Graz war die starke Verflechtung der Architekten mit Bildenden Künstlern, Literaten, Musikern und sogar Medizinern im Forum Stadtpark und international im Rahmen der Trigon-Ausstellungen, die einen intensiven Austausch mit italienischen und (damals) jugoslawischen Künstlern und Architekten ermöglichten. Heute würden es findige PR-Leute wohl einen kreativen Think Tank nennen. Dass dieser tatsächlich Bemerkenswertes hervorbrachte, macht Wolff-Plottegg mit der Frage deutlich, welche heutigen Studentenarbeiten wohl nach 30 Jahren noch ausgestellt und diskutiert würden. Die von damals werden es.
Abschließend beschwor er mit einer polemischen Kritik an der Strategie des „Schönsaufens“ der (eigenen) Architektur, der „immanenten Struktur der Selbstüberschätzung“ und der „fehlenden Fähigkeit zur Theoriebildung“ in der Grazer Schule eine Diskussion unter den Teilnehmern herauf, die mit teils energischen Zwischenrufen und gegenseitigen Provokationen einen kleinen Einblick bot, wie es vor 50 Jahren in den Zeichensälen zugegangen sein könnte. Nur durch die Luft fliegende Weingläser und zerstörte Modelle musste man sich noch dazu denken.

VORSCHAU:
Am Donnerstag, dem 02.12. lesen Sie auf www.gat.st Teil 2 des Berichts mit dem Titel "Ein Zeichensaal ist sicher nicht der sortierte Neufert-Arbeitsplatz" (Zitat: Gabu Heindl) und am Donnerstag, dem 09.12. Teil 3 "Utopien statt Stilismen". Autor ist jeweils wieder Martin Grabner.

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