21/02/2018

Vor der Haustür

Emil Gruber zu Spuren, dem aktuellen Fotobuch von Gerhard Roth

Buch
Martin Behr (Hg.)
Daniela Bartens (Hg.)
Gerhard Roth (Fotos)
Spuren
Aus den Fotografien von 2007 bis 2017
Residenz Verlag, Dez. 2017

Ausstellung
Gerhard Roth 
Spuren. Aus den Fotografien von 2007 bis 2017
19.01. bis 08.03.2018
im Literaturhaus Graz
Elisabethstraße 30, 8010 Graz
Mo-Do 16-19 Uhr, So 10-16 Uhr

21/02/2018

Aus 'Spuren' – dem aktuellen Fotobuch von Gerhard Roth

©: Gerhard Roth
©: Gerhard Roth
©: Gerhard Roth
©: Gerhard Roth
©: Gerhard Roth
©: Gerhard Roth
©: Gerhard Roth

Ansicht der von Martin Behr kuratierten Ausstellung im Literaturhaus Graz

©: Martin Behr

Ausstellungsansicht

©: Martin Behr

Gerhard Roth geht – sein ganzes Leben schon. Lange Zeit war es ein Inspektionsgang in der weiten Enge des Landes, ein Nach-Sehen nach dem Tun in den Hügellandschaften der Südsteiermark (und natürlich auch nach dem in der Welt weit entfernt davon).
Das Abseits der Städte war die Hauptreiseroute Roths, dort wo Leichtigkeit und Schwere im Miteinander von Ritus und Pflicht sich nie so richtig von einander loslösen können.
Das akribische Untersuchen der Feststellschrauben in der massiven und doch so filigranen Achse Mensch, Tier und Natur vor der eigenen Haustür sind die beweglichen Grenzsteine in den Bilderenzyklopädien des Gerhard Roth.

Der Spaziergang ist diese maßgeblichste aller Bewegungen, um sich mit Stillstand vertraut zu machen und das Gehen selbst gehen zu lassen. Geschwindigkeit verwehrt sich immer dem Detail. Erst die Langsamkeit öffnet die Tür zum Verborgenen, wiederbelebt Ignoriertes, rehabilitiert Entsorgtes. Macht das Vorhandene wieder vorhanden. Gehen als konkrete Allegorie ist nichts Schwärmerisches, Nostalgisches.
Der Spaziergang ist der gewissenlose Apparatus, ein bewusstes Manöver, das die eigenen inneren Wächter für das rechtzeitig wieder Wegschauen aktiviert, um so das Wesentliche, das Draußen unbeschadet, ohne jede Warnung, den Kopf entern zu lassen.

Spuren heißt das soeben bei Residenz erschienene Werk. Es ist das siebente Fotobuch von Roth und das erste, das ausschließlich aus digital aufgenommenem Material besteht.

Besonders in den letzten zehn Jahren begann Roth mehr und mehr seine Bildsprache zu einer Essenz des bisher Gewesenen zu verdichten. Er zieht seinen Aktionsradius enger, taucht in den Makrokosmos vor seiner Haustür ein.
Diese Routine wird zu einem Vehikel in einer Landschaft, in der alles immer neu bleibt. Es sind Entdeckungsreisen ins vertraute Unbekannte. Roth durchmisst nun weiße Flecken am Globus seiner unmittelbaren Umgebung.
Er ist ein willig alternder Peter Pan, der einen Platz in seinem sehr persönlichen, N-losen Immerland gefunden hat. Inmitten von Zeichen, die erst im Sammeln den großen Satz ergeben. 

2003 schreibt Roth in Orkus in seinem Kurzessay Die Stadt, dass er nicht nur Verfechter der Chaos-Theorie und ewiger Student der fraktalen Geometrie sei, sondern auch ein Bewunderer von Vergrößerungen der schönen Randdetails und beglückter Betrachter von Darstellungen der selbstähnlichen Struktur der Mandelbrotmenge.

Gerhard Roth zieht für seine Geometrie, für das Sichtbarmachen des Undurchsichtigen, an den Reglern seines Bildprogramms, rechnet sein Ausgangsmaterial um, bringt Farbe in das  Komplexe.

Das analog Natürliche formt sich zu künstlichen Mustern. Die Fressspuren der Borkenkäfer werden zur Roth’schen Mandelbrotmenge. Holzschwämme generieren einen Pythagoras-Baum. Aus die Spur eines Vogels im Lehm entsteht ein Newton-Fraktal.

Foto-Poeme nennt Roth das selbst.

Risse und Einschlüsse im Eis eines Weihers könnten frühe Aufnahmen von NASA-Satelliten sein. Schon Mond, Mars, Venus oder doch erst Pluto und Uranus? Ist das mehrfach Geschwungene da Roths Brille, eingefroren im Wasser? In der Südsteiermark treffen sich unendlich Kleines und unendlich Großes am Ende eines unendlich großen Kreises, mögen Bertrand Russel und Euklid im Mathematikolymp streiten so viel sie wollen.

Ein ganzes Jahr investierte Roth, nur um den Schattenwurf, den die Gewächse im eigenen Garten je nach Sonnenstand erzeugen, festzuhalten. Keine harte Konturen – weiche Übergänge zwischen Licht und Schatten dominieren in einem Farbspektrum aus Braun- und Gelbtönen.Martin Behr ist gemeinsam mit Daniela Bartens, die am Franz Nabl-Institut Graz den Vorlass von Roth betreut, Herausgeber des Buchs. Ihn erinnern die Licht- und Schattenstrukturen in den Aufnahmen Roths an die Fotogramme eines László Moholy-Nagy.

Auch der Mensch fehlt in Spuren nicht. Die Überreste in einem verlassenen Eisenbahnwagon zeugen von einem Leben, das hier einmal war. Kleidungsfetzen, Essensreste, Zeitungsfragmente und die genauso bizarren wie kärglichen Überreste einer weiblichen Sexpuppe bleiben diskret, geben keine Antworten preis.

Schrammen und Kratzer in den Stahlwannen, für das Ausfischen der Teiche im Herbst verwendet, erzeugen eine dreidimensionale Illusion. Der mechanisch schraffierte Hintergrund erweckt die vereinzelt liegengebliebenen Fische zu einem neuen Leben. Transportiert sie nach Wasser und Erde ins nächste Element. Lässt sie fliegen.

Gerhard Roths Fotografie zeigt das Einfache als mehrfaches Mysterium. Sie verharren nicht auf der Oberfläche der Bilder. Und natürlich geht es auch um Sinn und der Frage nach der Erkenntnis, was die Dinge da draußen zusammenhält.

"In der Fotografie gibt es keine Worte, nur Symmetrie und Emotion." (Larry Towell)

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