28/10/2016

Von Isolde zu La Traviata (der vom Weg Abgekommenen) und zurück.

Opernkritik von
Wilhelm Hengstler

La Traviata ist nur mehr am 29.10 und am 1.11.2016 zu sehen.

Tristan und Isolde wird noch am 4.11., 20.11. und 25.11.2016 aufgeführt.

28/10/2016
©: Opernhaus Graz

Keine Angst, das wird keine Opernkritik sein, nur das Kompliment für eine kluge Programmierung und eine Empfehlung wieder mal dieses Haus von Fellner und Helmer am Opernring in Graz zu besuchen.
Schon die zeitlich eng benachbarte Präsentation der zwei 1813 (guter Jahrgang!) geborenen und dabei so unterschiedlichen Komponisten Giuseppe Verdi und Richard Wagner verdient Interesse; ein Interesse das sich fortsetzt mit der Auswahl der Opern La Traviata von Verdi und Wagners Tristan und Isolde, beides Stücke über Frauen, besser Frauenmythen, entsprechen einander sozusagen invers. Verdis Geschichte über eine tuberkulöse Lebedame, die vom stockbürgerlichen Vater ihres jugendlichen Geliebten ausgebremst und an ihrer tiefen Liebeserfahrung (oder doch Tuberkulose?) stirbt, sorgte seinerzeit für einen Skandal. Wagners Oper galt als musikalisches Gift. Auch Isolde stirbt an ihrer Liebe, nur hat Wagner sich statt eines bürgerlichen Ambientes für eine mittelalterlich-hierarchische Gesellschaft mit ihren unlösbaren Loyalitätskonflikten entschieden. Die größere Wendigkeit des Bürgertums gegenüber dem Adel lässt sich vielleicht daran ablesen, dass Tristan noch vor Isolde an seiner Liebessehnsucht stirbt, während Violetta Valerys geliebter Student bei aller Traurigkeit weiter leben und vermutlich Karriere machen wird. Dagegen ist die Gestalt der Isolde – trotz des zaubrischen Liebestranks, den der Mythos aufbietet – die modernere, aktivere Figur. Statt wie Traviata zu verdämmern, bäumt sich Isolde, mal rächend, mal liebend, gegen ihr Schicksal  auf.
Auch die beiden Inszenierungen sind unterschiedlicher kaum denkbar. Die Wiederaufnahme von Konwitschnys Traviata wird dem Realismus Verdis in einer äußerst reduzierten, dabei präzisen Inszenierung gerecht. Vor nicht mehr als hintereinander gehängten roten Vorhängen, singt sich La Traviata bis zum letzten Vorhang ihrem Ende entgegen, das schlichte immer gleiche Farbgepränge unterstreicht Verdis glühende Musik. Konwitschnys Szeneneinfälle kommen sozial und psychologisch fundiert, dabei aber immer wie nebenher. Etwa wenn sich die kleine Tochter (vergeblich und stumm) mit der Kurtisane gegen ihren Vater verbündet, oder der Hausarzt leicht bedudelt die Todkranke ein letztes Mal besucht.
Regie und Ausstattung (Verena Stoiber und Sophia Schneider) für Tristan und Isolde sind dagegen Beispiele in der lange Reihe moderner Operninszenierungen, die den alten Wein (der auch gut sein kann) in nicht ganz neuen Schläuchen kredenzen. Diesmal geht es um das prinzipiell Archetypische bei Wagner. Architektonisch zeigte sich dieses Archetypische an einem Betonkasten, der mal als Schiff, als Wald oder als Festung herhalten muss, aber hauptsächlich an den israelischen Pavillon auf der Biennale erinnert. Bei den Kostümen gilt als archetypisch ein Nachthemd, in dem Isolde meist ziemlich schlampenmäßig agiert, und ihre Dienerin tritt prinzipiell im Outfit einer Physiotherapeutin auf. Die Herren tragen dementsprechend die üblichen, gelegentlich mit Langschwertern aufgemotzten Gegenwartsanzüge. Irgendwie archetypisch gibt es jede Menge Hasen: Tristan bringt Isolde einen auf hoher (?) See, die Mannen von König Marke begrüßen die Braut mit hochgehaltenen Hasen, und der Liebesrausch von Tristan und Isolde besteht darin, dass sie Meister Lampe auf offener Bühne am Spieß braten. Jetzt ist der Hase ein mit viel Bedeutungen aufgeladenes Tier; er steht für Fruchtbarkeit, für die gejagte Kreatur, auch für Feigheit und für mannbare Mädchen. Den Juden gilt er als unrein, die Christen sehen ihn ambivalent. Natürlich kann man sich für eine Inszenierung jedweden Materials oder Zeichens bedienen, riskiert aber bei allzu viel Archetypik eine gewisse, schöne Beliebigkeit.
Musikalisch sind beide Aufführungen sehr zufriedenstellend, Anna Princeva als Traviata sogar mehr als nur überzeugend. In Tristan und Isolde glaubt man dem Grazer Orchester die machtvolle Süße von Wagners Gift-Musik nicht immer, aber Gun-Brit Barkman singt ihre schwierige Titelpartie ungemein konzentriert:
Zu sehen (unbedingt) ist La Traviata leider nur mehr am 29.10 und am 1.11, Tristan und Isolde noch am 4., 20. und 25. 11. 2016.

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