02/11/2016

Erzeugen hohe Dichten urbane (Lebens-) Qualitäten und Bereicherungen für den Stadtteil oder werden sie eher als Verschlechterung und vertane Chance erlebt?
Am Beispiel jüngst errichteter Wohnbauten im nördlichen Teil des Bezirks Graz-Gries.

02/11/2016

Bild 1: Neubau Idlhofgasse Nord

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Bild 2: Neubau Ungergasse

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Bild 3: Idlhofgasse, Straßenansicht

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Bild 4: Wohnanlage Niesenbergergasse

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Bild 5: Wohnanlage Niesenbergergasse, unterer Hof

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Bild 6: Wohnanlage Niesenbergergasse, Schluchtenstimmung

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Bild 7: Wohnanlage 'ANA lebt', Niesenbergergasse, Straßenansicht

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Bild 8: Wohnanlage 'ANA lebt', Kinderspielplatz umrahmt von Tiefgarage und Müllhäusern für 105 WE

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Bild 9: Wohnanlage 'ANA lebt', Maschendraht und selbstgebauter Sichtschutz

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Bild 10: Verdichting Elisabethingerg – Niesenbergergasse

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Erzeugen hohe Dichten urbane (Lebens-) Qualitäten und Bereicherungen für den Stadtteil oder werden sie eher als Verschlechterung und vertane Chance erlebt? Am Beispiel jüngst errichteter Wohnbauten im nördlichen Teil des Bezirks Graz-Gries.

Graz wächst und soll weiter wachsen, so will es die Politik. Daher braucht es mehr neuen Wohnraum. Dieser soll durch Verdichtung im innerstädtischen Bereich entstehen. Innere Verdichtung, bauliche Verdichtung oder Nachverdichtung stellen Strategien dar, um eine bauliche Entwicklung zu ermöglichen, ohne das Siedlungsgebiet weiter auszudehnen. Dafür gibt es auch weitgehende Akzeptanz. Verdichtung bedeutet auch Veränderungen der vorhandenen Maßstäbe und Bautypologien, je größer das Nachverdichtungspotenzial eines Gebiets ist, desto größer werden die Sprünge der Veränderungen und das sichtbare Ausmaß der Quantitätszunahme. Nachverdichtung ist eine komplexe Materie, wo vieles mitbedacht und mitgeplant werden muss, damit die Bevölkerung die Umgestaltung ihres Stadtviertels als Verbesserung und nicht als Verschlechterung wahrnehmen wird.
Die Nachverdichtung in Graz bedeutet derzeit das völlige Ausschöpfen der Dichten und zukünftig großräumige Dichteanhebungen bzw. auch Umwidmungen auf die nächst höhere Dichtekategorie (bereits im neuen Grazer Flächenwidmungsplan 4.0 vorgesehen). In Zukunft werden vor allem Teile der Bezirke Gries und Lend, die jetzt als Wohnen allgemein (WA mit max. Dichte von 1,4) ausgewiesen sind, in Gebiete mit Kerngebietsüberlagerung und maximalen Dichten von 2,0 bis 2,5 verändert. Dagegen gibt es einigen Widerstand in der Bevölkerung, die eine Verschlechterung der Lebensqualität befürchtet und diesen auch u.a. über Einwendungen zum neuen Flächenwidmungsplan kund tut. Ein Hauptkritikpunkt ist, dass keine der Verdichtung entsprechenden öffentlichen Freiflächen vorgesehen werden.
Im Gebiet Gries Nord sind die Auswirkungen von solchen Nachverdichtungen (teilweise Dichten über 2,5) bereits sichtbar. Großteils wurden die Gebäude auf der Grundlage von Bebauungsplänen errichtet, mit Ausnahme der Projekte in der Idlhofgasse / Ungergasse und Elisabethinergasse, wobei immer die Höchstdichten und manchmal sogar Dichteüberschreitungen genehmigt wurden. Zwei vor kurzem fertiggestellte Wohnbauten und ein in Bau befindliches Objekt, alle im Bereich Niesenbergergasse – Traungauergasse – Eggenberggürtel, entstanden bzw. entstehen am ehemaligen Areal des geplanten Einkaufszentrums ECE, welches nicht realisiert wurde (Siehe Bild 4). Hier ist Kerngebiet mit maximaler Dichte von 2,5 ausgewiesen. Beim Durchspazieren fallen neben engen Abständen und geringen Gehsteigbreiten, vor allem die nicht gelungenen "Außenräume“ auf. Es fehlen öffentliche Alleen oder Vorbereiche als Übergang zur Straße. Im Bereich des einzigen, neuen Baumstreifens von der Traungauergasse bis zum Gürtel, stehen diese Bäume wenig urban hinter einem Maschendrahtzaun! – Maschendrahtzäune sind hier übrigens sehr häufig zu sehen –, Müllräume oder Müllhäuser liegen direkt am Gehsteig. Das alles hätte über entsprechende Vorgaben in den Bebauungsplänen anders und besser geregelt werden können. Der Gehsteig nördlich der Niesenbergergasse im Bereich der Baustelle für ca. 160 neue WE am ehemaligen Leinerparkplatz misst gerade einmal 1,60 m. Im Bebauungsplan findet sich keine Abtretung für Gehsteigverbreiterung. Alleine bei diesen 3 Projekten entlang der Niesenbergergasse sind bereits 460 WE errichtet worden und werden nochmals 160 WE gebaut. Die Gehsteige sind für die damit einhergehende Frequenzsteigerung viel zu schmal.
Auch die siedlungsprivaten Freiräume sind wenig ansprechend und für Kinder und Jugendliche geeignete Spielräume sucht man vergeblich. In der Wohnanlage an der südlichen Seite der Niesenbergergasse wurden ca. 350 Wohnungen errichtet, aber kein Spielplatz. Verbleibende Freiflächen sind unattraktive Restflächen. Es zeigt sich auch  anschaulich die Problematik von EG-Wohnungen bei hohen Dichten. Die BewohnerInnen dieser EG- bzw. Souterrain-Wohnungen verbarrikadieren sich mit allen möglichen Behelfen um sich vor Einsichtigkeit zu schützen, oftmals sind die Jalousien geschlossen, die Privatgärten werden mit Zäunen – in Mode scheint derzeit der Jägerzaun zu sein, aus dem Baumarkt abgesteckt. Das alles macht eine unschöne Optik.
Die Gleichung „nur hohe Dichte = Urbanität“ ist mangels stadtplanerischer Vorgaben für die Gestaltung der Straßen- und Außenräume und auch mangels Engagement der Bauherren hier nicht aufgegangen. Auch wird mit der ausschließlichen Wohnnutzung dieser Objekte kein urbaner, lebendiger Stadtteil entstehen. Dafür braucht es auch Geschäfte in den Erdgeschoßen, Straßenräume, die zum Flanieren einladen und ergänzende öffentliche Freiräume für den Aufenthalt. Das Kerngebiet (teuerste Widmungskategorie fürs Stadtbudget) wurde in diesen Beispielen zweckentfremdet verbaut. Kerngebiete zeichnen sich durch hohe Nutzungsvielfalt aus, wobei die Wohnnutzung eher untergeordnet ist. Hier ist sie aber die allein vorherrschende Nutzung.
Anhand dieser Beispiele kann man also eher von einer vertanen Chance für die Stadt sprechen. Der differenzierte Umgang mit Baudichten, die den Gegebenheiten entsprechen, auf Straßenbreiten reagieren, die Ausstattung mit urbaner Hardware wie Parks, Bäume Plätze, Dienstleistungs- und Bildungseinrichtungen fand nicht statt (kein neuer Kindergarten, keine neu Schule für die vielen NeubewohnerInnen… lediglich ein Minipark mit ca 1.200 m2 wird in der Niesenbergergasse entstehen).
Damit verdichtetes Bauen in Zukunft in Graz besser gelingen kann, sollte die Kommune Bebauungspläne nicht nur im Anlassfall erstellen, wo es bereits oft nahezu fertige Konzepte der Investoren gibt, sondern Gestaltungskonzepte über zusammenhängende „Entwicklungsgebiete“ von unabhängigen PlanungsexpertInnen erstellen lassen. Städtebauliche Wettbewerbe, Testentwürfe, Studien mit interdisziplinären Teams wären Mittel zur Qualitätssicherung.
Zusatzinfo: in Gries Nord wurden vor kurzem und werden demnächst (In Bau, geplant) insgesamt ca. 1.500 Wohnungen errichtet, davon 20 Gemeindewohnungen.
"Die Stadt ist kein homogenes Gebilde, sie lebt durch die unterschiedlichen Raumerfahrungen, die sie uns Bürgerinnen und Bürgern bietet. Dazu gehört es, dass wir freie Flächen wie Parks, Plätze, großzügige Boulevards oder auch locker bebaute Bereiche erleben möchten. Genauso gerne suchen wir aber an anderer Stelle die pulsierende, stark belebte Stadt. Das geht nicht ohne Dichte. Dichte allein ist aber noch keine lebendige Stadt. Ohne die vielfältige Mischung unterschiedlicher Nutzungen und die richtige Verteilung auf verschiedenen Ebenen und in den Räumen ist Verdichtung eher Bedrohung statt Chance."(Thomas Rehn, stellvertretender Leiter der Bauaufsicht München)

Laukhardt

könnte man die Idlhofgasse wieder rückbenennen. Der Name verwies auf die am Ende der Gasse- in der Nähe des "Lazaretts" - im Pestjahr 1680 errichteten hölzernen Keuschen, in denen die Kranken festgehalten wurden. Diese Behausungen blieben aber auch danach bestehen und wurden nun von Menschen der ärmsten Bevölkerungsschichten bezogen. Aber es gab hier auch andere Bewohner, denn nach dem endgültigen Ende der osmanischen Bedrohung von Graz entschlossen sich viele Adelige, aber auch vornehme Bürger, in die Vorstädte zu ziehen, die – zumindest im Sommer – weitaus bessere Lebensbedingungen boten, als die Enge der ummauerten, licht- und grünarmen Innenstadt. Kleinere Ansitze mit Obst- und Ziergärten entstanden. Man nannte sie – für uns heute etwas verwirrend – oft „Garten“. Seitzerhof, Idlhof, Prankerhof Zollnergarten sind längst verschwunden, vom Ansitz Wintersgrün steht noch ein Stück auf Nr. 11. Was die Bomben des Weltkriegs verschonten, beseitigen die von Profitmaximierung angetriebenen Investoren und die ihnen willfährige Stadtregierung.

Sa. 12/11/2016 11:38 Permalink
feyferlik

stadtplanung was ist das ? danke für das aufspüren solcher geplanten und nicht passierten unzulänglichkeiten. an allen ecken wird evaluiert und kontrolliert und begutachtet und dann das, was läuft in unseren köpfen falsch ?

Mi. 02/11/2016 3:34 Permalink
Anonymous

nun ja, wenn der bürgermeister nagl vor ein paar Jahren weisheiten kundtut wie , "er träumt von einer stadt mit 600.000 einwohner", oder eine stadt ist nur dann schön, wenn möglichst viele kräne herumstehen" (häh??)dann fragt man sich natürlich schon, warum da nicht bei den grazern die alarmglocken schrillen, und man diesen wachstums- und kranneurotiker nicht einfach abwählt. die Bauwirtschaft ist nunmal die gierigste und unersättlichte und hat uns ein paar grausliche betonburgen beschehrt, und sich selbst rekordgewinne. wohnbau ermöglicht die höchsten gewinne in kürzester zeit. Ist eigentlich kein geheimnis
und deshalb brauchen wir zuzug um jeden preis
bei den nächsten wahlen hätten wir die möglichkeit diesen spuk zu beenden. 3 amtszeiten nagl plus gierige baufreunde sind mehr als eine stadt verkraften kann.
bitte keine 4.

Fr. 23/12/2016 4:49 Permalink
Anonymous

Beim Projekt in der Niesenbergergasse hätte man ein Hofgebäude einsparen sollen und dafür den Riegel entlang der Straße höher bauen sollen, beim Wohnhaus am Eck zum Eggenbergergürtel sind die Erdgeschoßwohnungen nicht ideal aber Geschäftsflächen wären ein Fehler gewesen, stehen abseits der Innenstadt eh genug leer.
Perfekt ist es sicher nicht was in den letzten 10-15 Jahren gebaut wurde, aber doch ein großer Fortschritt im Vergleich zu den städtebaulich katastrophalen 1980-90er Jahren wo man Graz im verdichteten Flachbau zubetoniert hat
Wenn man diese langen 20 Jahre in die Höhe statt in die Breite gebaut hätte wäre Graz viel grüner...
Tollen Projekte wie Reininghaus, Green City, Campus Eggenberg usw., sind für die stark wachsende Großstadt Graz ideal und ein nachhaltiger Umgang mit der finiten Resource Boden.

Mo. 07/11/2016 2:27 Permalink
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