05/06/2019

Urbane Sattel-Feste

Fahr Rad!
Die Rückeroberung der Stadt

Wanderausstellung des DAM
(Deutsches Architekturmuseum
Frankfurt am Main),
adaptiert für das HDA Graz

bis 14. August 2019
10:00 – 18:00 Uhr
im HDA Graz

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Rezension von
Emil Gruber

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05/06/2019

Olafur Eliasson, Cirkelbroen, 2015 | Christianshavns Kanal, Copenhagen, 2015 | Photographer: Anders Sune Berg | Courtesy of A gift from Nordea-fonden to the city of Copenhagen – © 2015 Olafur Eliasson

Radschnellweg Ruhr RS1, Niederlfeldsee in Essen, Brücke: Ahlbrecht Baukunst, Essen – © Opterix, Johannes Kassenberg

Ector Hoogstad Architecten: Fahrradparkhaus am Bahnhof, Utrecht/Niederlande, 2017 – © Ector Hoogstad Architecten – Petra Appelhof

Ausstellungeröffnung mit Arch. Univ.-Prof. Aglaée Degros vom Institut für Städtebau der Technischen Universität Graz, Markus Bogensberger, GF des HDA Graz, Stefanie Lampe vom Deutschen Architekturmuseum DAM (v.l. n. r.). Foto: Emil Gruber

Ausstellungansicht im HDA Graz, Erdgeschoß Foto: Emil Gruber

Ausstellungansicht im HDA Graz, 2. Stock. Foto: Emil Gruber

Während der Ausstellungeröffnung im HDA Graz: im Abgang zum WC lauerndes Lastenrad. Foto: Emil Gruber

"Städte lassen sich nicht auf einzelne Aspekte und deren Bewältigung durch einzelne Disziplinen reduzieren. 
Das Stadtbild entsteht aus der bewussten Anordnung und Gestaltung städtischer Bauwerke und bedarf eines auf dauerhafte Schönheit bedachten Städtebaus. Die Vernachlässigung des überkommenen Stadtbildes in der Stadtplanung, die durch die Trennung der unterschiedlichen Planungsbereiche verursacht wird, verhindert die Entwicklung umfassend qualitätvoller Lebensorte. Stadtstraßen sind vielfältige und wohlgestaltete Aufenthaltsräume, die neben den verschiedenen Arten des Verkehrs auch dem Einkaufen, dem Spazieren, dem sozialen Kontakt, der politischen Manifestation und dem Vergnügen dienen. Monofunktionale Autoschneisen zerstören die Stadt."

(Zitat aus: 10 Grundsätze zur Stadtbaukunst heute, Deutsches Institut für Stadtbaukunst, 2010)

Angeblich fand am 12. Juni 1817 die erste Tour auf einer „Fahrmaschine ohne Pferd“ statt. Um 1850 erhielten die bisherigen Laufräder erste Tretkurbelzubauten. Wieder dreißig Jahre später machte ein Kettenantrieb das Veloziped zu dem, was wir heute als Fahrrad kennen. Wenn danach der umtriebige Erfindergeist nicht Ideen aus der Fahrradentwicklung zur Konstruktion von Automobilen weiterverwendet hätte, wären wir heute zwar alle langsamer, aber nach wie vor beweglicher im urbanen Raum. Autos im Herzen der Städte haben ihre Zeit wieder hinter sich. In Zentren, die mit Gebäuden und Straßen befüllt sind, die weit vor einem motorisierten Verkehrsaufkommen, geplant und gebaut wurden, braucht es im verbliebenen öffentlichen Raum wieder das motorisierte Nichts. Viel hat sich in den letzten Jahrzenten in Richtung „sanfter Verkehr“ entwickelt. Eine auf möglichst autofreie Innenstadt abgestimmte Verkehrs- und Städteplanung hat auch in Graz noch viel Luft nach oben. (Und damit sind nicht Gondeln und Seilbahnen gemeint).

Die Ausstellung Fahr Rad! Ist eine Wanderausstellung des Deutschen Architekturmuseums DAM in Frankfurt am Main, kuratiert von Annette Becker, Stefanie Lampe und Lessano Negussie. Sie zeigt nun auch im Grazer Haus der Architektur Rad-Schläge aus aller Welt und ist ein tretsicheres Manifest, wie wir der Natur, der Stadt und uns es leiser, olfaktorisch erfreulicher und atmungsaktiver machen können und Räume zurückgewinnen.
Das niederländische Groningen hat schon 1977 Pionierarbeit geleistet, als man sich zum Ziel setzte, das Zentrum autofrei zu machen. Mittlerweile ist das beinahe vollständig gelungen. Mit einem 60-prozentigen Radanteil im Verkehrsaufkommen trägt die Stadt das gelbe Trikot in Europa. Recht nahe kommt ihr mittlerweile Kopenhagen. Der nordische Anspruch ist kein geringer: Fahrradfreundlichste Stadt der Welt. Dafür wurde nicht nur das Radwegnetz massiv ausgebaut, sondern auch besonders viel Wert auf das Design der Verkehrsflächen gelegt. Eine gelungene und funktionierende Infrastruktur sieht die schwedische Hauptstadt als Basis für Akzeptanz und Erfolg. Ein harter Konkurrent um den Titel erwächst mittlerweile im Nachbarland. Oslo hat es überhaupt als erste Stadt geschafft, das Stadtzentrum völlig für den Individualverkehr zu sperren. Barcelona geht noch eine Pedalumdrehung weiter. Für jeden Einwohner soll in den nächsten Jahren ein zusätzlicher Quadratmeter Grünfläche geschaffen werde. Um dieses hehre Ziel bei 1,6 Millionen Einwohnern zu schaffen, wurden Landschafts- und Verkehrsplaner mit entsprechend großzügigen Mitteln ausgestattet. Die Reduktion von Straßenflächen ist neben dem Ausbau des Radnetzes eine vorrangige Maßnahme. Deutschland hat erkannt, dass nicht nur Autobahnen und ICE Bahntrassen mit dem Begriff Geschwindigkeit verbunden werden können. Der erste Radschnellweg wird im Ruhrgebiet gerade entwickelt. Er ist völlig vom sonstigen Verkehr abgekoppelt und weist eine durchschnittliche Breite von vier Metern auf. 13 der auf rund 100 Kilometer geplanten Strecke sind mittlerweile gebaut.
Vor noch fünfzehn Jahren wäre Fahrradfreundlichkeit und amerikanische Großstadt ein Widerspruch in sich selbst gewesen. In kurzer Zeit ist es in New York gelungen, ein bestens frequentiertes Radwegesystem, unter anderem auf stillgelegten Bahntrassen, zu errichten. Ein intelligentes Beschilderungssystem erleichtert auch Ortsfremden die Orientierung. Pflanzen und viel Farbe machen das Umfeld der Radler und Radlerinnen optisch erfreulich.
Neben einem ausgeklügelten Wegenetz braucht es für die Attraktivität des Rades mittlerweile aber mehr. Ausreichend große Fahrradparkhäuser liegen im Trend. Wohnobjekte, in denen man mit den Einkäufen am Lastenrad direkt ins eigene Zuhause fahren kann, werden gebaut.

Fürs HDA wurde die Ausstellung individuell erweitert. Neben einer Timeline, die die Entwicklung der Verkehrsplanung in Graz und die Auswirkungen aufs Radfahren zeigen, dachten auch Studierende am Institut für Städtebau an der TU über das Heute nach. Die erste Radfahrverordnung trat übrigens bereits 1887 in Graz in Kraft. Sie legte fest, dass auf allen Straßen, in denen zwei Fuhrwerke nebeneinander fahren konnten, das Radfahren erlaubt war. Ausgenommen waren Mur- und Sporgasse.
Der erste von einer Autostraße getrennte Radweg wurde 1938 gebaut und verlief über zwei Kilometer in Andritz Weinzödl entlang der Ostseite der B 67. 1979 kam es zum großen Umdenken unter dem früh verstorbenen Verkehrsstadtrat Erich Edegger und es begannen nach und nach Radwege in der Stadt zu entstehen. Eines ähnlich großen Innovationsschubs bedürfte es heute wieder. Graz hätte viele vorhandene Qualitäten, gerade die Kompaktheit der Stadt kommt dem Fahrrad sehr entgegen. Dies manifestiert sich auch in den Planungsvorschlägen der Studierenden in der Ausstellung. Die meisten Wege per Auto werden noch immer zwischen Arbeit und Wohnung zurückgelegt. Um einen Wechsel aufs Rad zu forcieren, bedarf es einer intelligenten Verkehrslösung, die Innenstadt und Außenbezirke noch besser verbindet als bisher. Köpfe mit Ideen dazu gäbe es in Graz genug. Was zu Radstadt Graz 2.0 (noch) fehlt ist eine Stadtregierung mit Mut zum Neuen, wie seinerzeit in den 1980ern.

PS: Platzbedarf des ruhenden Verkehrs: Fahrrad 1,2 m2 / KFZ durchschnittlich: 12 m2
PPS: City of Cycling – Dieser Titel fehlt Graz übrigens noch.

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