29/01/2008
29/01/2008

Tiefe Einblicke in das Innere des Gebäudes ohne seine Außenhaut. Die gesamte Länge der Hans-Resel-Gasse wurde weggefegt

Tiefe Einblicke in das Innere des Gebäudes ohne seine Außenhaut. Die gesamte Länge der Hans-Resel-Gasse wurde weggefegt

Fotos: Ute Angeringer-Mmadu

In der Mühlgasse fehlt der Fassade lediglich ein kleines Stück

Werden wir in Zukunft angesichts der prognostizierten Klimaveränderung Baunormen korrigieren müssen? Und wenn ja, wo liegt die Grenze des (Un)vorhersehbaren? Alles eine Frage der Sicherheit?

Stünde das „Rondo“ auf dem Gelände der ehemaligen Marienmühle in Graz, das von Architekt Markus Pernthaler geplant und vergangenen Herbst eröffnet wurde, aufgrund seiner zeitgemäßen städtebaulichen Konzeption nicht ohnehin im Zentrum der Aufmerksamkeit, und hätten nicht Fotos seiner "Verwüstung" durch „Paula“, den Orkan am vergangenen Sonntag, den Weg in die Medien gefunden, fiele die Veränderung des „Rondo“ gar nicht auf. „Paula“ hat das Gebäude seiner Außenhaut, einer vorgespannten transluzenten Membran, entledigt. In den Reihen der Schaulustigen und Amateurfotografen wurden tags darauf Stimmen laut, dass das Gebäude auch ohne Verkleidung nett anzusehen wäre und es tauchte gleichzeitig die Frage auf, wie denn dieser Schaden passieren konnte.

Die Grundlagen für die transluzente Membran sind zum Einen die den Berechnungen zugrunde liegenden maximalen Windgeschwindigkeiten (für Graz 100 km/h) und die Werte des eingesetzten Systems. Bei 100 km/h ergeben sich dabei 48 kg/m² Staudruck sowie 96 kg/m² Sogkraft
(Beaufschlagungsfaktor 2). Das System leistet nach Angaben der Industrie 170 kg/m² und somit ca. 175 % der einzuhaltenden Grenzwerte.
Bei steigenden Windgeschwindigkeiten erhöhen sich die auftretenden Belastungen exponentiell. So ergeben sich bei 150 km/h Windgeschwindigkeit ca. 200 kg/m² Sogkraft, die die maximale Belastbarkeit um ca. 30 kg überschreiten.

Für die Wiedererrichtung werden nicht nur eine Schwachstellenanalyse des vorgegebenen Systems, sondern auch eine drastische Erhöhung der zulässigen Windgeschwindigkeiten nötig sein. Grundsätzlich stellt sich dabei die Frage für anzunehmende Szenarien der zukünftigen meteorologischen Entwicklungen. Erschwert wird dabei die Festlegung von Richtwerten durch die Komplexität kleinräumlicher Windsituationen.

Konnte man bislang noch damit argumentieren, dass es sich bei derartigen Ereignissen um absolute Ausnahmen handle, Jahrhundertereignisse sozusagen und andere Vorhersagen als ungerechtfertigten Pessimismus abtun, so spricht mittlerweile vieles dafür, dass wir uns in naher Zukunft auf anhaltende klimatische Veränderungen einstellen werden müssen.
Die Frage nach den Grenzen, wie viel Sicherheiten kann, soll oder muss man bei einem Gebäude einplanen, kann wohl nie vollständig geklärt werden, ein Restrisiko wird bleiben. Natur ist eben unberechenbar. Und dennoch werden Erkenntnisse aus derlei Ereignissen und sich verändernden Gegebenheiten in den Architekturdiskurs einfließen müssen, wenn Architektur weiterhin zur sinnvollen Gestaltung unseres Lebensraumes dienen soll.

Abschließend sei noch angemerkt - man nennt das, so glaube ich, Treppenwitz der Geschichte -, dass genau dieses Projekt auf Gegebenheit wie Energieeffizienz und Emissionsreduktion ausgelegt ist: "Die Wohnbebauung umschließt schützend die erhaltene Parkanlage; vom Mühlgang durchflossen, bildet dieser Grünbereich eine Ruhezone mitten in der Stadt. Zu dieser Ruhezone hin öffnen sich die Wohnungen und Büros mit großen Verglasungen, Balkonen und Loggien. In der Parkanlage findet sich auch ein Pavillon, der zu den wenigen erhaltenen Bauwerken von Herbert Eichholzer zählt. Der Eichholzer Pavillon wird in Zusammenarbeit mit dem Denkmalamt renoviert. Dem System stehen mehrere Energiequellen zur Verfügung, die sich wechselseitig sinnvoll ergänzen; Abwärme aus dem weiterhin betriebenen Kleinkraftwerk, ein neun Meter tiefes Erdregister der ehemaligen Mühl-Speicher zur Luftkühlung und moderne Vakuum-Hochleistungs-Kollektoren. Eine Minimierung der PKW-Emissionen gelingt durch den Einsatz eines modernen Park-Automaten. Dabei wird das Auto in einer gläsernen Garage auf Paletten geparkt und in ein viergeschossiges Stapelsystem übernommen. So werden die Vorteile einer zentralen städtischen Wohn- und Büroanlage mit einem großzügigen Begrünungs- und Emissionsprogramm verbunden, bestehende Gartenanlagen sinnvoll genutzt und Akzente in Sachen Ökologie und Betriebskostenminimierung gesetzt." (Markus Pernthaler)

Verfasser/in:
Ute Angeringer-Mmadu, Bericht
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16. + 17.11.2023
 
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