23/04/2019

Triest: Neues vom Alten Hafen

Karin Tschavgova über die Zukunft des Porto Vecchio, die Kopfschütteln auslöst.

Der Artikel wurde erstmals am 06.04.2019 im Spectrum der Tageszeitung DiePresse veröffentlicht.

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Buchempfehlung – siehe auch Text im Downloadbereich unten.

Neva Gasparo
Senza far rumore
Viaggio in Porto Vecchio
2013, Verlag Lint Editoriale srl,
Trieste
ISBN 978-88-8190-301-6
288 Seiten, farbig illustriert
Format 29x25 cm
Texte von: Pietro Spirito, Luca Colomban, Marina Dragotto, Marta Moretti
Abschließend "Sette racconti"
von Fabio Pasian
30,00 Euro

23/04/2019

„Waiting land“ Porto Vecchio in Triest: eine kluge Erneuerung könnte ihn zum „Unique selling point“ machen. Bild: Neva Gasparo

Seit Jahrzehnten dämmert Triests Porto Vecchio vor sich hin. Nun ist eine Renaissance der einst bedeutenden Stadt in Sicht: Der Alte Hafen soll endlich transformiert und geöffnet werden – doch das Wie löst bei Fachleuten Kopfschütteln aus.

Liebhaber der mehr als 500 Jahre unter österreichisch-habsburgischer Herrschaft gestandenen Hafenstadt fragen sich seit langem, warum man das fast 50 Hektar große Areal des alten Hafens, den Porto Vecchio, so schändlich verkommen lässt. Seit dieser in den 1970ern weitgehend durch den nahe Muggia gelegenen Neuen Hafen ersetzt wurde, liegt der angeblich weltgrößte Komplex von Lagerhäusern, ein beeindruckend einheitlich gestaltetes Ensemble von vorwiegend vier- bis fünfgeschoßigen Speichern, brach. Seit fast zwanzig Jahren wurden immer wieder Entwicklungspläne erarbeitet, bislang vergeblich. Nicht eine der Ideen wurde von den wechselnden Bürgermeistern aufgenommen, um die Arbeit der Transformation und Erneuerung dieses attraktiven Stadtraums am Wasser mit einem ganzheitlichen, in die Zukunft gerichteten Blick zu beginnen. Bis heute nimmt sich die Natur, was ihr schutzlos preisgegeben wird, schreitet der Verfall des zentrumsnahen Geländes fort. Renoviert wurde von dem, was zwischen 1881 und 1909 gebaut worden war, nur das „Magazzino 26“ für Ausstellungen und Kulturveranstaltungen, dann das hydrodynamische Kraftwerk, das die Kräne mit Wasserdruck antrieb und ein Umspannwerk. Diese punktuellen Eingriffe zwischen halb verfallenen Bauten, die mit Stacheldraht umzäunt sind, weisen darauf hin, dass die Stadt kein umfassendes Entwicklungskonzept hat, obwohl 2017 in Rom Gelder als Anschubfinanzierung für die Infrastruktur lockergemacht werden konnten.
Seit kurzem liegt ein schematischer Plan vor, der den Eindruck festigt, dass den Verantwortlichen gar nicht bewusst ist, wie komplex die Aufgabe einer erfolgreichen urbanen Entwicklung des Porto Vecchio ist und wie umfassend und interdisziplinär sie angegangen werden muss. An der als Vorbild geeigneten Entwicklungsstrategie der Hafencity Hamburg könnte der Bürgermeister Maß nehmen, doch wie man hört, ist er mehreren Einladungen zu einer Erkundungsreise bisher nicht gefolgt. Stattdessen beauftragte man eine international tätige Agentur für Unternehmensberatung mit einem sündteurem Funktionskonzept, von dem auch nicht mehr gesprochen wird, und legt nun ein von der Stadtplanung selbst erstelltes Verkehrskonzept vor. Dieses sieht einen hypertrophen Kreisverkehr an der Via Miramare und einen Parkplatz am Ufer vor, von dem aus das Areal durch zwei Straßen erschlossen wird. In seiner Nähe soll ein Kongresszentrum entstehen und das Magazzino 26 zu einem Maritimen Museum umgebaut werden. Zwischen vielen Leerstellen an Speichern, für die noch keine Nutzung gefunden wurde, weist der Plan in Zentrumsnähe einige Bestandsbauten für Geschäfte aus, wohl in der Hoffnung, dass Investoren schon mit dieser lapidaren Information Schlange stehen werden. Das scheint so wenig gründlich und gut überlegt wie der Plan, den Fischmarkt weit ab vom Stadtzentrum einzurichten und die Mole 3 als Terminal für Kreuzfahrtschiffe auszubauen. Gerüchten zufolge soll Kempinski schon abgewunken haben, in ihrer Nähe ein Fünfsternehotel einzurichten.
Der Innsbrucker Architekt Peter Lorenz, der mit Triest seit vielen Jahren emotional verbunden ist und dort auch ein Zuhause hat, schüttelt angesichts so fahrlässigen Umgangs mit diesem noch schlafenden Juwel nur den Kopf. Er hat versucht, der Stadt mit der öffentlichen Präsentation eines selbstfinanzierten Ideenkonzepts klarzumachen, was getan werden muss, „bevor man den Stift in die Hand nimmt“.
Da wäre zuerst einmal herauszufinden, was Triest einmalig macht und sich dafür eignet, der „Unique Selling Point“ der Stadt für Investoren zu werden. Peter Lorenz und seine Partnerin Giulia Decorti führen das Meer, die Lebensqualität der Stadt im Allgemeinen, Gesundheit und Sport, die Wissenschaft und die Forschung an. Der umtriebige Hafendirektor Zeno d’Agostino, der kürzlich den bilateralen Vertrag mit China mitverhandelt hat, welcher vorsieht, dass sich die Chinesen am Hafenausbau und der Anbindung des Hafens an die neue Seidenstraße beteiligen, würde diesen Deal als Alleinstellungsmerkmal hinzufügen.
In anderen Städten weiß man längst, dass nur ein intensives Zusammenwirken einer interdisziplinär zusammengesetzten Gruppe von Fachleuten bis zu Kultur- und Sozialwissenschaftlern und die Bündelung von Ideen, Konzeption und Realisierung ein Projekt dieser Größenordnung gelingen lassen. Ein strategisch gut vorbereitetes und begleitetes Vorgehen könnte die zurzeit als historisch abgelegte internationale Bedeutung der Stadt und des Porto Vecchio erneut aufleben lassen. Daher muss große Urbanität angestrebt werden, muss ein Bewusstsein für die Besonderheit der Speicher, Kais und Hafenbecken erzeugt und eine Marke „Porto Vecchio“ geschaffen werden. Mit der Sanierung und Neubesiedelung der denkmalgeschützten Speicher allein wird das nicht möglich sein. Alle europäischen Projekte der Umwidmung historischer Industrie- und Hafenanlagen zeigen, dass es auch das Neue, Zeitgenössische braucht, um in einem spannungsvollen Dialog die Qualität des historischen Bestands ins Licht zu rücken.
Ideen und Projekte machen Geld, sagt Peter Lorenz, und verweist auf die Wertsteigerung durch umfassende Planung in der Hafencity Hamburg. Das Entwicklungsmanagement des derzeit größten europäischen Stadtentwicklungsprojekts hat es geschafft, den Löwenanteil der öffentlichen Investitionen in Straßen, Plätze, Parks, Promenaden und Kaimauern durch Grundstücks- und Objektverkäufe zu lukrieren.
Was den Hamburgern auch bewusst ist: Stadtentwicklung kann nicht ohne Einbeziehung der Bewohner, die sie mittragen müssen, gelingen. In Triest fordert die Bevölkerung schon lange die Öffnung des alten Hafens zur Stadt als Zusatzangebot für die Triestiner. Will man verhindern, dass nur Luxusimmobilien für Besucher, Firmensitze für internationale Unternehmen und Banken, Zweitwohnungen für ausländische Reiche oder Läden für Kreuzfahrtpassagiere, die bekannterweise kaum etwas beitragen zur Prosperität einer Stadt, errichtet werden, so muss man auch ein Angebot für Ortsansässige schaffen. Attraktiven öffentlichen Raum, Radwege und Laufstrecken, eine Sporthalle und ein Hafenschwimmbecken etwa – Investitionen, die zeitgemäßer und nachhaltiger sind als der Ausbau von zwei Straßen und einem Pier für schwimmende Monster mitten am Areal.
Die Liebhaber Triests, die ich kenne, leiden bei dieser Vorstellung der Stadt. Wer noch Hoffnung hat, dass der Porto Vecchio weder von den Chinesen aufgekauft wird wie schon große Teile Venedigs, noch billig internationalen Konzernen angedient wird, der denkt darüber nach, was man tun könnte, um die Entwicklung auf höherem, europäischem Niveau voranzutreiben. Die interessanteste Idee: Österreich, in dessen Besitz die Stadt von 1382 bis 1918 war und das unter Karl V. die Stadt groß gemacht hat, solle sich doch als Mutter Triests sehen und die Umwandlung des alten Freihafens als kulturelle Leistung, für die es sich einzusetzen lohnt – mit Überzeugungsarbeit und Fürsprache bei der Stadtpolitik wie auch bei der EU, die für ein Projekt in europäischer Dimension vermutlich auch Gelder zur Verfügung stellte.

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