23/01/2019

Umnutzung historischer Bausubstanz.

Zwei Beispiele:

Haus K
yes architecture – Marion Wicher
Pistorf, Steiermark
2007

Jagdhaus
Gangoly & Kristiner Architekten
Weststeiermark
2018

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Der Artikel von Eva Guttmann wurde erstmals im ISG Magazin Ausgabe 04/2018 veröffentlicht und dankenswerterweise dem Portal GAT zur Zweitveröffentlichung überlassen.

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23/01/2019

Haus K, Pistorf, Steiermark, 2007

©: Croce & Wir Architekturfotografie

Jagdhaus, Weststeiermark, 2018

©: Alexander Gebetsroither
©: ISG - Internationales Städteforum Graz

Historische Bausubstanz und zeitgenössische Architektur: Zwei Beispiele, die auf gleichermaßen kluge wie diskrete Art die Potenziale von Umnutzung zeigen.

Die Vielfalt an anonymer Baukultur, die die Steiermark zu bieten hat ist ebenso beeindruckend wie die Landschaft, die sie hervorgebracht hat. Je nach klimatischen Bedingungen, Topografie, Höhenlage, Bodenbeschaffenheit etc. haben sich unterschiedliche Formen an bäuerlichen bzw. landwirtschaftlichen Bauten entwickelt. Sie alle eint Zweckmäßigkeit, Handwerkskunst, die Angemessenheit von Material und Größe sowie Dauerhaftigkeit und die Einheit mit der Landschaft.

Eine in der Süd- und Weststeiermark weit verbreitete Form dieser autochthonen Architektur ist das Presshaus oder Kellerstöckl, das meist aus einem teilweise ins Erdreich eingegrabenen steinernen Sockelgeschoß und einem Obergeschoß aus Holz besteht. So ein Presshaus, bei dem lediglich das neu gedecktes Dach noch dafür sorgte, dass das desolate Holzgeschoß nicht völlig verfiel, wurde von der Grazer Architektin Marion Wicher zu einem Wohnatelier (plus Keller) umgebaut, das dem Bauherrn trotz der beschränkten Grundfläche von 40 m2 Raum für alle Bedürfnisse bietet.
Das Haus steht knapp an einer kurvigen Straße, so dass vorbeifahrende LKW regelmäßig die Dachkante touchierten. Darauf reagierte die Architektin, indem sie den oberen, ohnehin schon beschädigten Teil abtragen ließ und dieselbe Kubatur, jedoch um zwei Meter am bestehenden Sockel nach hinten „geschoben“, neu errichtete. Wieder ist Holz das prägende Material, jedoch diesmal in einer zeitgenössischen Formensprache, wobei die zweischalige Fassade aus Lärchenholzlatten von den südsteirischen „Woazstriezeltrocknern“ abgeleitet wurde – ein solcher befindet sich gleich neben dem Kellerstöckl.
Diese Transformation unter Berücksichtigung der vorhandenen Charakteristik setzt sich im Inneren des Hauses fort. Das Sockelgeschoß wird, nahezu unverändert, als Weinkeller genutzt. Im Obergeschoß ist eine Einraumwohnung entstanden – das Volumen ist also nach wie vor bis unters Dach geöffnet, lediglich eine Sanitäreinheit wurde eingeschoben. Um trotz der geringen Fläche einen großzügigen, gut proportionierten Raum zu schaffen, befinden sich alle dienenden Funktionen in einem Schrankmöbel an der südostseitigen Giebelwand, nur der Herd ist direkt in den Arbeitstisch integriert. Durch eine Holz-Stahlkonstruktion konnte auf Stützen oder Zugbänder verzichtet werden, Fenster und Eingang liegen hinter der Fassadenstruktur verborgen. Die nordwestliche Giebelwand jedoch ist vollständig verglast – hier wurde das Prinzip eines mehr oder weniger fensterlosen Nutzgebäudes gebrochen und dem neuen Zweck Rechnung getragen.

Mit einer vergleichbaren Ausgangssituation war das Büro Gangoly & Kristiner Architekten bei einem Haus in der Weststeiermark konfrontiert. Das Jagdhaus, in dieser Form aus dem Jahr 1756, sollte zu einem Wohnhaus für eine Familie mit zwei Kindern umgebaut werden, wodurch auch mehr Flächenbedarf gegeben war. Die Struktur des zweigeschoßigen Bestandes lässt darauf schließen, dass das Gebäude im Kern ursprünglich ebenfalls ein Presshaus war. Es handelt sich also um eine mehrfache Umnutzung, wobei auch hier die Charakteristik des Hauses erhalten blieb und die Veränderungen auf den ersten Blick kaum wahrnehmbar sind – ein Zugang, der nicht zuletzt mit dem Bewusstsein der Bauherren für Langlebigkeit und Bestand zu tun hat.
Der Eingriff besteht im Wesentlichen aus einer Verlängerung des Hauses um etwa sieben Meter nach Norden. Dadurch konnte im Erdgeschoß im Anschluss an die große zweigeschoßige Halle mit Galerie ein wohnlicher Salon eingerichtet werden. Darüber befinden sich zwei Kinderzimmer mit jeweils einem Bad als nördlichste Schicht. Als atmosphärische Besonderheit haben sie keine gewöhnlichen, horizontalen Zimmerdecken, sondern grob verputzte Tonnenfragmente, die einen speziellen, fast verspielten Eindruck hervorrufen. Die übrige Grundrissstruktur wurde weitgehend beibehalten und lediglich an manchen Stellen geklärt bzw. hinsichtlich sinnvollerer und großzügigerer räumlicher Abfolgen adaptiert. Außerdem wurden im ältesten Teil des Hauses zusätzliche Fenster eingebaut.
Auch von außen sind die Veränderungen zurückhaltend, dennoch handelt es sich, wie beim Haus K, um präzise architektonische Eingriffe mit deutlichen Auswirkungen für die neue Nutzung. Das stärkste Element in diesem Zusammenhang betrifft die Längswände des Zubaus, die nach gut der Hälfte um einen Meter nach außen knicken. Daraus ergeben sich eine räumliche Verdichtung im Salon und in den Kinderzimmern, eine neue Giebelproportion und eine leichte visuelle Irritation in der Außenansicht. Letztere sorgt auch dafür, dass die zeitgemäße Umsetzung der Fenster- und Türöffnungen sowie des kleinen Erkers im Salon vom massiven Mauerwerk inhaltlich „getragen“ wird und der nicht-historisierende Zugang der Architekten eindeutig ablesbar ist.

Beide Beispiele zeigen, dass wertvoller historischer Bestand mit zeitgenössischen architektonischen Maßnahmen einer Transformation unterzogen werden kann, die wichtig ist, um charakteristische regionale Baukultur zu erhalten und weiterzuentwickeln. Sie zeigen auch, dass es nicht die großen Gesten sind, mit denen gearbeitet werden muss, um Bauwerke, die aufgrund veränderter Lebens- und Arbeitsumstände nicht mehr entsprechend genutzt werden, neuer Verwendung zuzuführen. Und sie zeigen, dass eine lebendige, qualitätsvolle Baukultur Möglichkeiten für die Zukunft eröffnet, die jenseits von Verfall oder Konservierung liegen.

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