13/11/2013

LKH Leoben
Maßnahmen Außenanlagen:

_ Vorplatz, Hauptzugang Süd
_ Innenhöfe
_  Zufahrt, Grünanlagen Funktionstrakt Nord
_ Dachbegrünungen und -gestaltung
_ Naherholungsgebiet Annaberg.

Bauherr: Stmk. Krankenanstalten GmbH KAGes
Architektur: Enst Giselbrecht + Partner ZT GmbH
Landschaftsplanung: koala Landschaftsplanung
Fläche: rund 20.000 m2

Zur Autorin:
Sigrid Verhovsek studierte Architektur und Soziologie. Sie lebt in Graz.

13/11/2013

Die neue 'Magistrale' verbindet die Gebäude des LKH Leoben mit dem Annaberg.

Architektur: Ernst Giselbrecht + Partner©: Sigrid Verhovsek

Modell des neuen Gesamtkomplexes des LKH Leoben: waagrecht in Bildmitte die neue 'Magistrale', rechts der Annaberg

©: Ernst Giselbrecht + Partner

Außenanlagen: Spazierwege für PatientInnen am Annaberg

©: koala Landschaftsplanung

Ein Waldweg führt zu einer Lichtung mit alten Klosternmauern und einer Marienstatue in einer Grotte, die ursprünglich zu einer Kapuziner-Einsiedelei gehörte

©: Sigrid Verhovsek

Bäume sorgen für Feuchtigkeitsausgleich und Schatten

©: Sigrid Verhovsek

Ein Parksessel zur Entspannung für PatientInnen und BetreuerInnen

©: Sigrid Verhovsek

Entlang der Wege sind Kinder ebenso willkommen!

©: koala Landschaftsplanung

Der Spielbereich für Kinder

©: Sigrid Verhovsek

Tiefgarage mit farbigen Oberlichträumen, die sich auch nach außen abzeichnen

©: Sigrid Verhovsek

Raumressource mit heilenden Eigenschaften

Als Ende des 19. Jahrhunderts die Bauaufgabe Krankenhaus durch die medizinisch-technische Entwicklung und durch die fortschreitende Säkularisierung der Gesellschaft neu definiert wurde, standen der Körper, das Funktionieren der menschlichen Physis, im Mittelpunkt, und nicht Geist oder Seele, deren Heilung noch im Mittelalter vorrangig gewesen war. Das Verlangen nach Reinlichkeit und Durchlüftung als Voraussetzung für die Bekämpfung aller Arten von Infektionen initiierte Anfang des 20. Jhdt. das sogenannte Pavillonsystem: dezentrale Stationen in Einzelgebäuden, die Licht und Ventilation garantieren. Voraussetzung waren ein großes Grundstück auf „keimfreiem“ Boden, das im Sinne der Autarkie auch landwirtschaftlich genutzt werden konnte, und eine geschützte (sprich fabrikrauchfreie) Lage an der Peripherie bei gleichzeitig guter Anbindung an die Stadt.

Die neue offene Bauweise der Krankenhäuser diente zunächst der gleichmäßigen Zufuhr von Licht und Luft gemäß den hygienischen Standards und die einzelnen Baukörper hatten als „Organe“ eigene Aufgaben: die Isolation von Infekten oder die Trennung von Männern und Frauen, von chirurgischen und medizinischen PatientInnen, von Kranken und Verwaltung. Das auf Pavillons verteilte Krankenhaus entspricht dennoch weniger der damals propagierten Gartenstadt als der Funktionsweise eines menschlichen Kreislaufes. Die als Lungen fungierenden Grünflächen waren weniger „Gärten“ als vielmehr für die Aufnahme der Infrastruktur zuständig, die internen Straßen waren die Arterien, die den „Körper“ mit PatientInnen, BesucherInnen und Personal versorgten.

Ergänzt durch Trabanten- und netzartige Baustrukturen bildet das Pavillonsystem mit separierten Stationen noch immer das Grundprinzip der modernen Krankenhäuser; allerdings erweitert durch Ein- und Umbauten in Innen- oder Lichthöfen, vernetzt durch unterirdische Tunnels, Gangsysteme in Quergebäuden und durch überdachte oder eingehauste Stege, aufgestockt und ausgebaut für die ständig wachsende Zahl an PatientInnen, für neue Anforderungen und den Platzbedarf der Medizintechnik.

Auch die ehemaligen großzügigen Grünflächen zwischen den Baukörpern haben sich durch die wachsenden Erfordernisse der Infrastruktur innerhalb des Krankenhauses (Verbreiterung der Straßen und Zufahrtswege), durch aufwändige Pflege (eigene landwirtschaftliche Nutzung nicht mehr nötig/kostenintensiv) und durch Flächenreduktion (Wegfall der Höfe durch Zubauten, Verkauf der umliegenden Ländereien zur Kostenminimierung) immer mehr auf kleine (Rest-)Rasenflächen ohne Bepflanzung reduziert: „Parkplätze statt Parkräume“ lautete das Motto des Wirtschaftsbooms der Nachkriegszeit. Zurück blieb oftmals nur funktionslos gewordenes Abstandsgrün, dass statt mit Sitzbänken höchstens noch mit „Betreten-verboten-Schildern“ garniert war.

Während ausufernde Städte im Laufe des 20. Jahrhunderts die zunächst an der Peripherie liegenden Krankenhäuser wie einen Fremdkörper überwuchert und somit trotz andauernder Isolierung urbanisiert haben, gesellen sich zum wachsenden ökologischen Bewusstsein der 1970er- und 1980er-Jahre neue medizinische Erkenntnisse: Neben der vordergründigen Frage „Was macht krank?“ versucht man die salutogenetische Frage „Was macht/erhält gesund?“ zu beantworten, und eben diese Gesundheitspflege beschäftigt sich auch mit dem räumlichen Umfeld des Menschen.

Die im ersten Moment reichlich banal erscheinende Tatsache, dass der Blick durch das Fenster Einfluss auf die Heilung von Patienten haben könnte, wurde durch einen klinischen Test bewiesen und in der 1984 von Roger S. Ulrich veröffentlichten Studie „View through a window may influence recovery from surgery“ beschrieben: Frischoperierte PatientInnen, die durch ein Fenster auf einen Baum blickten, hatten wesentlich kürzere Rekonvaleszenzphasen, benötigten weniger schmerzstillende Medikamente, waren insgesamt positiver gestimmt und hatten sogar eine geringfügig niedrigere Rate an postoperativen Komplikationen als PatientInnen der Kontrollgruppe, deren Fenster nur den Blick auf eine monotone Ziegelwand ohne Öffnungen freigab. Weitere Untersuchungen belegen, dass bepflanzter Grünraum bei gesunden und kranken Menschen wesentlich zur Stressreduktion beiträgt: Allein bei der Betrachtung von Bäumen, Blättern, Wiesen und Blumen sinkt der Blutdruck, die Muskeln entspannen sich, die Atmung wird ruhiger.

Die wissenschaftliche Rechtfertigung von Parks und Gärten rund ums Spital in den letzten Jahrzehnten des 20. Jh. recycelt und untermauert damit die quer durch alle Zeitalter (mittelalterliche „paradiesische“ Kreuzganginnenhöfe) und Kulturen (Japan!) gepflegte Idee der therapeutischen Wirkung der Landschaft.
Natur kann nicht geplant werden; aber eine naturnahe, offene Umgebung für das Gebäude Krankenhaus mit einer dementsprechenden Vielzahl von Anforderungen muss in Zeiten der allgegenwärtigen Einsparungen genau und professionell erarbeitet werden.

Zunächst sind die komplexen Abläufe der Struktur Krankenhaus und die daraus folgenden infrastrukturellen Leistungen, die der umgebende Freiraum bieten muss, zu berücksichtigen. Dazu kommt die ästhetische Komponente, die eng mit dem Aufspüren des jeweiligen genius loci zusammenhängt, weiters sind bioklimatische Faktoren einzuberechnen. Pflegeintensive oder allergieauslösende Blumen und Sträucher sind ebenso wie plätscherndes Wasser kontraproduktiv. Schlussendlich besteht eine der kompliziertesten Aufgaben darin, die verschiedenen, sich überschneidenden und teilweise konträren Bedürfnisse diverser NutzerInnengruppen (PatientInnen aller Altersstufen mit verschiedenen Krankheitsbildern, BesucherInnen, Personal, Nachbarn) zu erfüllen.

Positives Beispiel: Der neue Park am LKH Leoben
Einen sehr verantwortungsvollen Umgang mit dieser überaus komplexen Aufgabe erkennt man am derzeit entstehenden Park, der als integraler Bestandteil des Zu- und Umbaus des LKH Leoben von der KAGes gemeinsam mit Architekt Ernst Giselbrecht und den Landschaftsarchitekten von koala, Robert Kutscha und Veronika Oberwalder, geplant und erarbeitet wurde.

Die Ausgangssituation für das Gebäude selbst war im wahrsten Sinne des Wortes „eng“: Das LKH Leoben liegt eingezwängt zwischen dem relativ steilen Abhang des Annabergs und der eintönigen, grauen Lärmschutzwand der Bahn; die den Sichtkontakt zur Stadt vom neuen Glasportal aus auf einen Blick auf die Dächer beschränkt. Aufgrund dieses begrenzten Platzbudgets war es notwendig, quasi in Fortführung schönster obersteirischer Bergbautradition, durch Abgraben des Annabergs erst Raum für neue Baukörper zu schaffen. Statisch gelöst wurde dies durch bis über 12 m hohe, durch Stahlanker gehaltene Stützmauern, die im Laufe der Zeit durch Bepflanzung zu grünen Wänden mutieren werden.

Vom Osteingang kommend, verbindet eine neu gezogene Magistrale konsequent alte und neue Baukörper miteinander und ermöglicht durch ihre Geradlinigkeit, durch immer wieder wechselnde Lichteinfälle und spannende Ausblicke eine ausgezeichnete Orientierung innerhalb des Gebäudes. Auch der Südeingang mit Rettungseinfahrt und Tiefgarage dockt rechtwinkelig an diese „Leitlinie“ an. Im vierten Geschoss wandelt sich die Magistrale zu einem offenen Laubengang, der zunächst über das begrünte Dach des Neubaus und dann als Brücke über den bis zu 12 m tiefen Einschnitt im Annaberg zur neu gewonnenen Parklandschaft führt.

Die sensible Kombination der erwähnten vielfältigen Anforderungen an diesen speziellen Grünraum verbindet bei klarer Gliederung barrierefreie Spazierwege mit Sitzmöglichkeiten als Orte der sozialen Begegnung, Spiel- und Sportplätze, die auch zu Therapiezwecken für alle Altersstufen genutzt werden können, und eine ruhige, aufs Wesentliche reduzierte Waldandacht, einen intimen Rückzugsort. Die einzelnen Zonen sind je nach ihrem Aktivitätspotenzial durch Felder aus verschiedenfarbigen Blumen und Kräutern gekennzeichnet; auch die ansonsten zurückhaltende, schlichte Möblierung aus weich fließenden Hochdrucklaminaten und rostfreiem Stahl übernimmt die auf Lehren der Farbheilkunde basierende Thematik und unterstützt die jeweilige therapeutische Wirkung.

Besonders beeindruckend an diesem Projekt ist, dass es keine ersichtlichen Schnittstellen zwischen Freiraumplanung und „harter“ Architektur gibt, die Übergänge verlaufen nahtlos oder greifen logisch ineinander und belegen die harmonische Zusammenarbeit zwischen koala und Architekt Giselbrecht, der die Freiraumplaner bereits in den Wettbewerbsentwurf integriert hat. Dieses Gesamtkonzept wurde so auch vonseiten der Planungsabteilung der KAGes aufgegriffen, unterstützt und konsequent verfolgt. Durch diese Vorgehensweise entsteht zusätzlicher Qualitätsraum als wertvolle Ressource, betonen Robert Kutscha und Veronika Oberwalder von koala:
„Die Bemühungen des planenden Architekten und die Bereitschaft der KAGes, den bislang kaum erschlossenen Annaberg in das Gesamtkonzept zu integrieren, schufen unerwartete Möglichkeiten, z.B. bislang unerfüllte/unerfüllbare Personalwünsche wie einen vielfältigen Bewegungsraum für Sporttherapie gemeinsam zu erarbeiten. Weiters galt es, den wertvollen Baumbestand sowie die äußerst schwierige Topographie mit den Wünschen nach einer barrierefreien Wegführung und Gestaltung in Einklang zu bringen. Hinzu kamen infrastrukturelle Sachzwänge wie Absturzsicherungen, Zufahrt für einen dreiachsigen LKW und die Berücksichtigung von Bedenken aus der Nachbarschaft. Die Erfüllung dieser – bisweilen durchaus auch widersprüchlichen und konkurrierenden – Bedürfnisse erfordert vom Planer, sich gelegentlich selbst zurückzunehmen: Ästhetische und landschaftsarchitektonische Vorstellungen sind im Planungsprozess stets zu hinterfragen und mit der Nutzbarkeit abzugleichen. Die Karawane der Planer zieht weiter – zurück bleiben PatientInnen und deren Angehörige, TherapeutInnen, ÄrztInnen, die die Funktions- und Gebrauchstüchtigkeit, die Harmonie der Freiräume Tag für Tag aufs Neue einer Prüfung unterziehen.“

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