15/01/2018

Tiefgaragen in der Innenstadt – zeitgemäß oder kontraproduktiv?

Mehr Zeit für Graz thematisierte in seinem 53. Forum vom 22. November 2017 die Pläne für das SMART URBAN PARK System am Eisernen Tor in Graz.

15/01/2018
©: Mehr Zeit für Graz

Mehr Zeit für Graz thematisierte die Pläne für das SMART URBAN PARK System am Eisernen Tor. Dazu wurden zum 53. Forum vom 22.11.2017 unter dem Thema Tiefgaragen in der Innenstadt – zeitgemäß oder kontraproduktiv? vier Experten eingeladen, die in ihren Referaten Informationen und Argumente pro und kontra lieferten und die verschiedenen Seiten dieses Projekts beleuchteten.

SUP - SMART URBAN PARK System – mit diesem modernen Begriff wirbt seit Sommer 2017 ein Architekturbüro für ein autonomes Parksystem in innerstädtischen Ballungszentren. Ein erster Standort soll unter dem Brunnen am Eisernen Tor realisiert werden. Die Projektwerber versprechen die Gewinnung von autofreien Plätzen an der Oberfläche. Zahlreiche Gegenstimmen formieren sich – die Kritik reicht von Inkompatibilität mit dem Altstadt-Erhaltungsgesetz und dem vom Gemeinderat beschlossenen Mobilitätskonzept bis hin zu Einwänden wegen Verlust zahlreicher Alleebäume und wirtschaftlichen Bedenken: "Wer profitiert und wieviel muss der Steuerzahler beitragen?"
 
Zusammenfassung
 
1. Dipl. Ing. Martin Kroißenbrunner (Abteilungsleiter für Verkehrsplanung der Stadt Graz): „Mobilitätsstrategie der Stadt Graz“

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Die Stadt Graz hat sich selbst (Gemeinderatsbeschlüsse) die Verkehrspolitische Leitlinie 2020 und das Mobilitätskonzept 2020 verordnet, die genau wie auch frühere Grazer Verkehrskonzepte eine deutliche Reduktion des motorisierten Individualverkehrs zu Gunsten "sanfterer" Mobilitätsformen (ÖV, Rad, Fuß, multimodal) vorsehen. Ohne große Anstrengungen werden diese Ziele bis 2020 mehr als deutlich verfehlt werden, der Anteil des innerstädtischen KFZ-Verkehrs hat in den letzten Jahren sogar noch zugenommen. Neue Tiefgaragenplätze in der Innenstadt widersprechen den geltenden Beschlüssen.

2. Arch. Dipl. Ing. Thomas Pilz: „Städtebauliche Aspekte der sanften Mobilität”
Aus Sicht einer zeitgemäßen Stadtplanung ist die Errichtung von derartigen Tiefgaragen eine "Investition in die Vergangenheit". Beispiele aus anderen Stadtzentren zeigen, wie durch Einrichtung verkehrsberuhigter Zonen Bewohner, Fremdenverkehr, Handel, Hotellerie profitieren, also ein Allgemeinnutzen entsteht (im Gegensatz zum Einzelnutzen für einige Wenige). Von der Einrichtung der Innenstadt-Fußgängerzone vor mehr als 40 Jahren hat auch Graz profitiert – und es war nicht der Ruin der Innenstadtkaufleute, wie damals vorhergesagt. 
"Eine fortschrittliche Stadt ist nicht die, in der auch die Armen Auto fahren, sondern die, in der die Reichen die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen" (Enrique Penalosa, ehem. Bürgermeister von Bogota).

3. Dipl. Ing. Michael Schwarz (Leitung der Straßenplanung Werner Consult) und
 Dipl.Ing. Alexander Feuchter (Mitarbeiter Büro Strohecker): „Smart Urban Park-System Eisernes Tor“
Sie erklärten ausführlich die vorläufigen Projektpläne für eine vollautomatische Tiefgarage am Eisernen Tor und die damit verbundene Umgestaltung der Oberfläche inklusive Umgebung. Als besondere Vorteile des SUP (SMART URBAN PARK) - Projekts werden die Synergien mit aktuellen Entwicklungen wie autonomes Fahren, E-Mobility und Car-Sharing angegeben sowie u.a. geringere Emissionen, niedrigere Bau- und Betriebskosten, kürzere Bring- und Holzeiten im Vergleich mit konventionellen Tiefgaragen.

4. Mag. Viktor Larissegger (Regionalstellenleiter der WK, Graz): „Parken aus der Sicht der Wirtschaft“
Die Innenstadt hat 1.627 Unternehmen mit rund 12.000 Beschäftigten und macht € 400 Mio. Umsatz jährlich, 40 % der Kunden kommen aus dem Umland: gute Erreichbarkeit für Handel, Gewerbe und Kunden ist daher Grundvoraussetzung für ein Bestehen der Innenstadt gegenüber der Konkurrenz der großen Einkaufszentren, die nicht zuletzt mit ihrem Parkplatz- und Warenangebot locken. Außerdem hat die Steiermark ihren weltweiten Ruf als "Automotive" Standort zu verteidigen(?)

In der anschließenden Diskussion kamen aus dem interessierten und offensichtlich sachkundigen Publikum fast ausschließlich kritische bis ablehnende Stellungnahmen zu diesem Tiefgaragenprojekt:

  • Es gibt bereits genug Tiefgaragen in nächster Nähe des Stadtzentrums, die über mehr freie Kapazitäten verfügen, als durch eine neue Garage geschaffen werden. Daher: zuerst bessere Ausnutzung der vorhandenen Kapazitäten (Parkleitsystem! Preisgestaltung!).
  • Die in der Projektstudie gezeigten Attraktivierungen (Umwandlung von Verkehrsflächen in nutzbaren Öffentlichen Raum - "Boulevards"!) der bisher durch ruhenden und fließenden Verkehr stark beeinträchtigten Bereiche um das Eiserne Tor wird allgemein begrüßt, der Versuch, damit die Errichtung dieser Tiefgarage(n) zu begründen, aber einhellig abgelehnt.
  • Eine Reihe von Angaben der Projektwerber wurden angezweifelt (kurze Bauzeit, keine Beeinträchtigung des Straßenbahnverkehrs, Eignung des bisher nur bei VW als Lagersilo erprobten Konzepts für den realen Individualverkehr ...).
  • Dass die hinter dem Projekt stehenden Investoren nicht bekannt gegeben werden, stößt auf Unverständnis, zudem scheint die rechtliche Zulässigkeit eines derartigen Baus in der Altstadt fraglich.

Die Präsentationen der Referenten sind unter dem Link rechts abrufbar.

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