12/03/2014

Is There (Anti-)Neoliberal Architecture?
Ana Jeinić, Anselm Wagner (Hg.)
Berlin: jovis Verlag, 2013
Englisch, 160 Seiten
ISBN 978-3-86859-217-7
Euro 24,80

Mit Beiträgen von Ole Fischer, Maria S. Giudici, Rixt Hoekstra, Tahl Kaminer, Ana Llorente, Olaf Pfeifer, Andreas Rumpfhuber, Ana Jeinić, Oliver Ziegenhardt und Gideon Boie

3. Band der Reihe
architektur + analyse, die am Institut für Architekturtheorie, Kunst- und Kulturwissen-schaften (akk) der TU Graz herausgegeben wird

12/03/2014

Buchcover

©: JOVIS Verlag GmbH

Die Formulierung des Titels als Frage ist im Fall des kürzlich erschienenen Buches Is There (Anti-)Neoliberal Architecture? keine Koketterie, sondern ehrlich gemeint. Die HerausgeberInnen behaupten angenehmerweise nicht, bereits im Besitz jeglicher Wahrheit zu sein, sondern stellten diese Frage an die TeilnehmerInnen eines gleichnamigen Symposiums, das Ende 2011 am Institut für Architekturtheorie, Kunst- und Kulturwissenschaften (akk) der TU Graz stattfand und aus dem die vorliegende Publikation hervorging.
Eines vorweg: Die Frage wird in den elf Beiträgen des Bandes nicht eindeutig geklärt. Die HerausgeberInnen Ana Jeinić und Anselm Wagner schreiben dazu in ihrer Einleitung im Sinne Wittgenstein’scher Familienähnlichkeit „there is no neoliberal architecture, but there are neoliberal architectures.“ LeserInnen, die sich einen einfach abzuhandelnden Kriterienkatalog für neoliberale Architektur erhoffen, werden dementsprechend enttäuscht. Denn, um mit Fred Sinowatz zu sprechen, es ist alles sehr kompliziert. Obwohl die Architekturproduktion seit Jahrzehnten eng mit der neoliberalen Gesellschaft verwoben ist, kann neoliberale Architektur im Allgemeinen nicht so einfach an ihrer Form identifiziert werden.

Das Buch ist in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil wird dem zunehmenden Einfluss des Neoliberalismus auf die Architektur nachgespürt, der zwischen den 1930er Jahren, wo mit der sukzessiven Unterwerfung aller Lebensbereiche unter die Gesetze des Marktes die Geburtsstunde des Neoliberalismus verortet werden kann, und seinem Höhepunkt in den 1990er Jahren stattfand. Im zweiten Teil wird nach den (potenziellen) Utopien einer neoliberalen Gesellschaft gefragt und werden mögliche Wege der Kritik thematisiert. Der dritte Teil vermittelt anhand spezifischer Phänomene, Projekte und Diskurse ein differenziertes Bild der Architektur in einer Welt, in der die neoliberale Ideologie von ihren Protagonisten (und das sind wir bis zu einem gewissen Grad fast alle) als alternativenlos und etwas quasi Natürliches verstanden wird.

Mehrere rote Fäden ziehen sich dabei in Form bestimmter Projekte und Protagonisten durch die Texte. Während sich gefühlt jeder zweite Autor auf David Harvey oder Henri Lefebvre bezieht, werden mehrfach Archizooms No-Stop-City, Cedric Prices Fun Palace und Hans Holleins ironisches Mobile Office als (unfreiwillige) Vorläuferprojekte einer neoliberalen Architektur genannt. Überhaupt scheinen die kritischen Gegenmodelle und Anti-Projekte der späten 1960er und frühen 1970er Jahre die Wegbereiter der später im Mainstream fortgeführten Entwicklung zu sein. Schon als logische Konsequenz erscheint einem bei der Lektüre, dass die damaligen Speerspitzen der kritischen Architektur heute als Stararchitekten Signature-Buildings als Werkzeuge des Stadtmarketings entwerfen.

Ole W. Fischer identifiziert in seinem Text die (architektonische) Postmoderne – so sie hinter ihrer Ironie und scheinbaren Oberflächlichkeit ein verstecktes politisches Projekt ist – als die kulturelle Repräsentation des Neoliberalismus. Lesenswert ist auch Andreas Rumpfhubers Diskussion des neoliberalen Paradigmas am Beispiel des Wandels der Büroarchitektur und der Arbeit an sich (über die sich ja der Neoliberalismus als Gegenkonzept zum fordistischen Wirtschaftsmodell konstituiert hat). Anhand der Bürolandschaft Buch+Ton von Eberhard und Wolfgang Schnelle und Herman Hertzbergers Centraal Beheer zeichnet er die Wandlung der Arbeitswelt zu einer scheinbar selbstbestimmten und fast hierarchielosen postfordistischen Gesellschaft der räumlich und zeitlich flexibilisierten Arbeit. Jedoch ist es nicht die Freizeit, die in die Arbeitswelt eindringt, sondern die Arbeit, die sich aller anderen Lebensbereiche bemächtigt.

Um Utopien, Utopienlosigkeit und utopische Projekte geht es im zweiten Teil, der aus Rixt Hoekstras Überlegungen zu Möglichkeiten einer architektonischen Kritik an der affirmativen, mehrheitsfähigen und an Performance anstatt Idealen orientierten Konsensarchitektur des Neoliberalismus und einer ersten „Single-Auskoppelung“ (© Michael Zinganel) des Dissertationsprojekts von Ana Jeinić besteht. Sie fragt nach entwerferischen Alternativen, die die Architektur dem immanent Prozesshaften und Projektlosen des Neoliberalismus entgegensetzen kann. Wobei der Neoliberalismus durchaus über Utopien verfügt, die jedoch nicht einen Endzustand, sondern einen Prozess beschreiben. Etwa die heute allgegenwärtige Sustainability, die weniger von einem Ideal als vielmehr vom Zurechtkommen mit einer problematischen Situation handelt. Die Autorinnen sind sich einig, dass Reflexion, Kritik und jedes „Anti“ in einer alles vereinnahmenden, inklusiven Kultur wie dem Neoliberalismus nicht mehr wie davor funktionieren kann.

An die schwere Frage nach einer anti-neoliberalen Architektur wagt sich auch Gideon Boie, der neoliberale und anti-neoliberale Architektur im Kleinen, konkret anhand Umbauten kleiner Einfamilien-Stadthäuser in Antwerpen, betrachtet. Als wesentlich streicht er die Umkehrung des Systems der Privatisierung von Gewinnen und Vergesellschaftung von Investitionen heraus. Die Eigentümer sollen nicht nur von der Qualität des öffentlichen Raums und der Atmosphäre des Quartiers profitieren, sondern selbst etwas dazu beitragen. Dieser, die Lebensqualität aller Bewohner erhöhende Ansatz verändert das System von innen ohne affirmativ zu sein.

Trotz der Bemühungen der AutorInnen, sich auf das architektonische Objekt zu konzentrieren, wird die augenscheinlich unvermeidbare, enge Verknüpfung mit dem städtebaulichen Maßstab und den Produktionsbedingungen, unter denen Architektur entsteht, immer wieder deutlich. Darüber hinaus gibt Is There (Anti-)Neoliberal Architecture? einen Einblick in die gesellschaftliche Dimension des Neoliberalismus. Das englischsprachige Buch erscheint als 3. Band der (bald fünfteiligen) Reihe architektur + analyse, die am IAKK herausgegeben wird. Und der auf der eben erst begonnenen Suche nach einer anti-neoliberalen Architektur durchaus weitere folgen könnten.

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