28/07/2022

Talking Heads #5
Wie geht es den Fischen in der Stadt?

In der fünften Diskussionsrunde der Reihe Talking Heads im Club Hybrid laden Heidi Pretterhofer und Michael Rieper ihre Gäste dazu ein, darüber zu debattieren, wie man den dringend notwendigen Artenschutz, der in letzter Konsequenz für unser aller Lebensqualität ausschlaggebend ist, nachhaltig gewährleisten kann.

28/07/2022

Joost Meuwissen - 21st century planning - 1999

©: Joost Meuwissen

Talking Heads - Wie geht es den Fischen in der Stadt

©: Thomas Kain

Mehr Biodiversität in der Stadt als am Land

©: Thomas Kain

Ein Plädoyer für die biophile Stadt

©: Thomas Kain

Verlust der Bodenfläche
Nicht nur für die Fische, sondern auch für viele andere Spezies in Österreich, gehen die Flächen zu ihrem Schutz sukzessive verloren. Im Land der Prospekte mit Bildern von bewaldeten Berghängen, die sich in klaren Seen spiegeln, gelten mittlerweile 40 % der etwa 70.000 Tier- und Pflanzenarten als gefährdet. Wir opfern den Boden zugunsten des Kapitals, das wir aus dem Bau von Immobilien und den damit verbundenen Begleitprojekten schöpfen. So werden in Österreich pro Minute (!) 80 m2 an Bodenfläche verbraucht. Pro Tag sind das 11,5 ha, die, laut Definition des Umweltbundesamtes, dauerhaft als „biologisch produktiver Boden“ verloren gehen. Die Steiermark ist mit 3,3 ha pro Tag sogar Spitzenreiterin unter den neun Bundesländern. Gemessen an der Einwohner*innenzahl benötigt eine Österreicher*in demnach doppelt so viel Fläche wie jemand aus Deutschland oder der Schweiz. (1)

Landflucht 2.0
Der Landschaftsarchitekt Thomas Proksch bezeichnet zu Beginn der fünften Talking Heads Runde im Club Hybrid, Österreich deshalb als „Europameister“ im Bodenverbrauch. Er zeigt in seinem Vortrag mit beschämender Deutlichkeit, dass wir im Zuge der menschengemachten Auswirkungen auf unsere Lebensumwelt derartigen Vorgängen entschieden entgegenwirken müssen. Dafür stünden uns die geeigneten Grundsatzkataloge zur Verfügung, es fehle aber an den „operativen Leitlinien“ für die Verwaltung. „Das Schutzgut Boden muss in unserer Gesellschaft einen Marktwert bekommen!“, sagt er. Dass dem nicht so ist, liegt vor allem an der Siedlungspolitik und der Unvollständigkeit der Raumordnungsgesetze. In Österreich fehlen wichtige, gesetzlich verankerte Instrumente wie die Bereitstellung gleichwertiger Ausgleichsflächen zum Schutz der Arten, für die gesorgt werden muss, sobald man Boden verbaut. In Deutschland ist das längst übliche Praxis. Thomas Proksch wünscht sich auch hierzulande eine restriktivere Planung, die auf entsprechenden Gesetzen basiert und deren Einhaltung verpflichtend ist. Wenn wir unsere Böden schützen, schaffen wir die Grundlage für den Artenschutz im Allgemeinen. Es wäre ein fataler Fehler unsere Abhängigkeit von diesen Ökosystemen zu unterschätzen. Denn in letzter Konsequenz hat ihre Intaktheit direkte Auswirkungen auf unsere eigene Lebensqualität.
Nach den Fischen gefragt, lautet Prokschs ernüchternde Antwort, dass es ihnen nicht gut gehe. Die angestammten Arten in städtischen Fließgewässern werden durch andere Fische verdrängt, die sich auf die geänderten Lebensbedingungen – zum Beispiel aufgrund von Infrastrukturprojekten wie dem Murkraftwerk – besser einstellen können. Ganz anders, nämlich zunehmend wohler, fühlen sich andere Tier- und Pflanzengattungen in unseren Städten. Die Ballungsräume entpuppen sich im Gegensatz zum Umland immer mehr als Lebensumgebungen mit erhöhter Artenvielfalt. Die ausgelaugten Böden der kommerziell genutzten Landwirtschaftsflächen und der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln reduzieren den Insektenbestand, der wiederum eine wichtige Nahrungsquelle für Vögel ist und diese vom Land in die Stadt flüchten lässt. „21st Century Planning is about Birds“, steht in einer Skizze des 2016 verstorbenen Architekten und Städtebauprofessors Joost Meuwissen geschrieben. Er hat laut der Onlineankündigung zu dieser Veranstaltung bereits Ende der 1990er-Jahre auf die Bedeutung der Vögel für die Stadtplanung des bevorstehenden 21. Jahrhunderts hingewiesen.

„Biophile“ Städte und Gemeinden
Nach dem halbstündigen Input eröffnen Heidi Pretterhofer und Michael Rieper die Diskussionsrunde, die dieses Mal – zum Themenschwerpunkt passend – im überdachten Freibereich im Erdgeschoss des Clubs stattfindet. Hans Drexler (Architekt, DGJ Architektur) ist per Videokonferenz aus Deutschland zugeschaltet. Am Podium sitzen, neben Thomas Proksch, die ehemalige grüne Stadtpolitikerin Andrea Pavlovec-Meixner (Naturschutzbund Steiermark, Regionalstellenleiterin Graz), der Leiter des Stadtplanungsamtes Bernhard Inninger und Gernot Kupfer (Architekt, Vorsitzender des Stadtentwicklungs- und Stadtplanungsausschusses und Mitglied im Raumordnungsausschuss der Kammer der Ziviltechniker*innen für Steiermark und Kärnten sowie der Bundessektion der Kammer der Ziviltechniker*innen).
Der Aussage von Joost Meuwissen kann Andrea Pavlovec-Meixner viel abgewinnen. Sie ist generell eine Vertreter*in der Idee einer „biophilen“ Stadt. In Singapur, erzählt sie, gibt es einen grünen Korridor quer durch die Stadt. Dabei handelt es sich um einen 24 km langen Grünraum, der entlang einer ehemaligen Bahnstrecke verläuft und dem Artenschutz sowie der Erholung der 5,6 Millionen Einwohner*innen dient. In Graz sei der Umgang mit dem Schutz von Pflanzen und Tieren eher drastisch, erläutert sie am Beispiel der ehemaligen Hummelkaserne. Dort sind während der Abbrucharbeiten des Bestandes, wodurch Platz für neue Wohnbauten gemacht worden ist, Eulen aus ihren Nistplätzen vertrieben worden und haben sich in die Dachböden der benachbarten Einfamilienhaussiedlung gerettet. Trotz des Schocks, den die Tiere sicher erlitten haben, müssen an dieser Stelle alle Anwesenden lachen. Es ist lange her, dass das Einfamilienhaus in einer Architekturdebatte so positiv erwähnt wurde.
Eine restriktivere Rechtsgrundlage bei Umweltfragen wäre prinzipiell der richtige Ansatz, findet Hans Drexler. Dennoch sieht er Schwächen darin, diese Schutzansprüche durch Zwänge umzusetzen. Aufgrund der Angst davor, Wähler*innen zu verlieren, herrsche häufig politische Resilienz gegen entsprechende Gesetzesänderungen. Gernot Kupfer ist anderer Meinung. Die Bevölkerung sei ohne Weiteres belastbar, was diese Problemstellungen angehe. Nicht zuletzt weil die damit zusammenhängenden Themen – betreffend den Klimawandel und dessen Folgen – bei den Leuten angekommen seien. Die Generation Z würde durch ihre Forderungen auch die Generationen X und Y, samt den Boomer*innen zunehmend sensibilisieren. Den politischen Vertreter*innen aus diesen Elterngenerationen, zum Beispiel jenen in den Gemeinden, die oft als Sorgenkinder der Raumplanung gelten, würde er die Verantwortung bei Ortsentwicklungskonzepten und Flächenwidmungsplänen nicht zur Gänze entziehen – obwohl dies häufig von diversen Interessenvertretungen der Architekt*innen gefordert wird. Aus seiner Sicht seien die gesetzlichen Rahmenbedingungen der Schlüssel, um Verbesserungen herbeizuführen, und diese müssten signifikant geändert und verschärft werden. Thomas Proksch sieht das ähnlich. Wenn der zivilgesellschaftliche Druck aufgrund der augenscheinlichen Probleme so stark wird, dass man aus der Umsetzung geeigneter Gesetze politisches Kapital bei der nächsten Wahl schlagen kann, zeichnen sich für ihn sogar Chancen ab, Gesetze durchzubringen, die den Einfluss mächtiger – und vor allem Parteien fördernder – Lobbys zugunsten des Umweltschutzes einschränken würden. Warum es hierzulande so schwierig ist, diese Gesetze zu beschließen, um strenger durchgreifen zu können – man denke nur an die Abgaben für ungenutzte Baugrundstücke und leerstehende Gebäude – sieht Bernd Inninger unter anderem darin begründet, dass die Bundesverfassung in Österreich einem oder einer Besitzenden durch Eigentum in erster Linie Rechte zuschreibt. In Deutschland werden im Gegensatz dazu durch das Eigentum vor allem Verpflichtungen geltend.  

Wertedebatte
Im Sinne dieser Verantwortung gegenüber dem Boden als schützenswertes und gemeinschaftliches Gut müssten die Planungsinstanzen mit der Politik und der Gesellschaft eine „Wertedebatte“ führen, schlägt Gernot Kupfer vor. Die entscheidende Frage laute: „Wem gehört der Boden?“
Darüber wurde schon Anfang der 1970er-Jahre in der Bundesrepublik Deutschland in politisch breiten Debatten gesprochen. Für einen, der damals prominentesten Fürsprecher rund um ein neues Bodenrecht, den SPD Politiker Hans Jochen Vogel, ist „Grund und Boden keine handelbare Ware, sondern ein gemeinschaftliches Gut wie Wasser und Luft.“ (2)
Zurück in Österreich, 50 Jahre nach der Diskussion rund um das Bodenrecht in Deutschland, wandert die Ausstellung „Boden für Alle“, die von Karoline Mayer und Katharina Ritter kuratiert wurde, vom Az W ausgehend, durch das Land und wird auch von zahlreichen Gemeinden angefragt. Das Bewusstsein für einen sensibleren Umgang mit unserer Umwelt, respektive den Böden, und sei es vorrangig aus dem egoistischen Ziel, die eigene Haut zu retten, scheint langsam aber doch in der breiten Bevölkerung anzukommen. Denn eines ist gewiss: Sobald es den Vögeln (und Fischen) nicht mehr gut geht, ist das ein alarmierendes Zeichen, dass es für uns in absehbarer Zeit auch ungemütlich wird.

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Quellen:
(1)    Krenn, Daniela: Gebaut wird da, wo die Bevölkerung nicht wächst, in: KATAPULT Nr. 25, Mai-Juni 2022, Greifswald
(2)    Hertweck, Florian: Hans Jochen Vogels Projekt eines neuen Eigentumsrechts des städtischen Bodens, in: ARCH+ Nr. 231, Berlin, 2018

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