23/01/2005
23/01/2005

Geld
von Oliver Elser

Das Phänomen ist weit verbreitet. Publizität muss erkauft werden. Da zahlen Architekten fünfstellige Beträge, um in Architekturgalerien präsent zu sein oder engagieren Architekturfotografen (vierstellige Tagessätze), weil Zeitschriften und Zeitungen nicht bereit sind, selbst für die Fotos zu sorgen, aber auf professionelle Aufnahmen nicht verzichten wollen. Auch die Verlage bitten zur Kasse. Kaum eine Architektenmonografie wird nicht von den darin präsentierten Büros zu 100 Prozent selbst finanziert. Bei dem Buch, für das dieser Beitrag über GELD geschrieben wird, war der Verlag etwas entgegenkommender, da wurde das Geld gewissermaßen "virtuell" eingesammelt und erscheint bei den Autoren und Herausgebern als Soll auf dem Zeit-, nicht aber dem Bankkonto.

Also sind Architekten arme Schweine, Jungarchitekten, Journalisten und Künstler noch ärmer dran, wohingegen die Vervielfältiger in den Medien und Architekturvermittlungsinstitutionen fein raus sind und die Hand aufhalten können, wissend, dass sich immer einer finden wird, der zu zahlen bereit ist? Man könnte den Geldfluss aber auch als Kreislauf betrachten: Architekturbüros investieren einen Teil ihrer Gewinne in Bücher und Ausstellungen, werden dadurch bekannt, stoßen auf neue Bauherren, machen noch mehr Gewinn. Nebenbei fallen ein paar Krümel für das kulturelle Umfeld ab, kommen Kuratoren, Grafikern, Fotografen und nicht zuletzt Autoren zugute. Die wiederum hangeln sich von einem Auftrag zum nächsten, bis sie irgendwann ein so dickes Portfolio haben, dass sie selbst Bücher machen und wieder einer ganzen Reihe von Personen ein bescheidenes Zusatzeinkommen verschaffen. Die jüngeren Architekten in den bücherproduzierenden Großbüros, wahrscheinlich "freie Mitarbeiter" mit geringem Einkommen, profitieren eine Weile, spalten sich dann ab und werden selbst irgendwann ausstellen und publizieren.

Aber so naiv, sich das System aus Investition, Gewinn und Reinvestition als stetig wachsende Pyramide vorzustellen, sollte niemand sein und ist es wahrscheinlich auch nicht, obwohl er daran teilnimmt. Die Erfahrungen der jüngsten, noch anhaltenden Baukrise, haben einen neuen Architektentypus hervorgebracht und dieses Buch ist wahrscheinlich eine der ersten Publikationen, wo sich dieser zu Wort meldet.

Jeder der in diesem Buch Schreibenden ist sein eigener Mischkonzern und die Architektur nur eines unter mehreren Standbeinen. Über die anderen informiert das Autorenverzeichnis, das als "Metatext" genauso wichtig sein dürfte wie die Beiträge selbst. Geld haben wohl die wenigsten in der Tasche. Die Währung, in der hier investiert wird, heißt "kulturelles Kapital" und die Wertschöpfung, die man sich erhofft, kann mit dem schönen Begriff "Umwegrentabilität" beschrieben werden.

Was nun nicht heißen soll, alle daran Beteiligten wären nur deswegen bereit, für eine minimale Aufwandsentschädigung einen Beitrag zu leisten, weil sie ständig auf den wachsenden Berg kulturellen Kapitals schielen, der sich, nach langen Umwegen und Entbehrungen, doch irgendwann in bare Münze verwandeln soll. Innerhalb einer bestimmten Szene kommt man mit geringen materiellen Eigenmitteln zurecht, wird zu Vorträgen, Ausstellungen und Buchbeiträgen eingeladen, lernt Leute kennen, kann Projekte machen und vielleicht sogar davon leben. Für die meisten aber sind weitere Einnahmequellen die notwendige Voraussetzung, um "freie" Projekte betreiben zu können. Erbschaften und die Unterstützung durch die Eltern bis weit über das dreißigste Lebensjahr hinaus sind keine Seltenheit. Auch Universitätsassistentenstellen können zur Absicherung verwendet werden, um sich in Gebieten aufhalten zu können, die vorläufig nur den eigenen Interessen entgegenkommen und keinen direkten Gewinn versprechen.

Obwohl gegenwärtig eine Vielzahl von Architektengruppen oder -netzwerken aus dem Boden sprießt, die eher an Projekten arbeitet als an Gebäuden, ist die Situation doch nicht so neu, wie es vielleicht erscheinen mag. In Österreich etwa bräuchten sich die medial sehr präsenten Jungarchitekten nur umzusehen, um in der Szene, die von Peter Cook einst als "austrian phenomenon" bezeichnet wurde, ihre Vorläufer zu entdecken. Zwischen 1965 und 1975 gab es bereits ein ähnliches Aufblühen an der Peripherie der Architektur und es ist nur konsequent, dass diesem Phänomen in diesem Jahr eine große Ausstellung gewidmet wurde. Allerdings ist die Nähe der freien Projekte zur "richtigen" Architektur in Österreich heute viel größer als in den sechziger Jahren und wohl auch größer als bei ähnlichen Gruppierungen und Netzen in Deutschland. Dort sind die ökonomischen Rahmenbedingungen deutlich schlechter, was den in Österreich üblichen gleitenden Übergang von einem Pol zum anderen erschweren dürfte.

Der Grund für die momentane Vitalität speziell der jüngeren Architektenszene ist nicht allein die schiere Notwendigkeit, neue Arbeitsfelder zu erschließen, um so auf unterschiedlich langen Umwegen an Geld heranzukommen. Nie zuvor war die Hard- und Software so einfach und günstig zu bekommen, die die Voraussetzung ist, um an Wettbewerben mit professionellen Darstellungstechniken teilzunehmen oder sich auch ungefragt mit Gegenentwürfen zur Realität zu Wort zu melden. Kostspielige Büroräume anzumieten ist nicht mehr nötig, der Austausch von Daten erfolgt über schnelle Internetverbindungen. Sich in Netzwerken zu organisieren, ist keine Modeerscheinung, sondern folgt dem Stand der Technik.

In der technischen Entwicklung liegen noch ganz andere Potenziale, den Beruf des Architekten zu erweitern und neue Geldquellen zu erschließen. Aber es ist selten davon die Rede, zumindest nicht in den Kreisen, die in Veröffentlichungen wie dieser zu Wort kommen. Oder bei Veranstaltungsreihen, wie etwa der, die vor einigen Monaten an der Hamburger Kunsthochschule stattfand, zu der neun Personen mit "ungewöhnlichen Architektenbiografien" eingeladen waren: Ein Organisator von Architekturführungen, ein Location Scout, ein Filmemacher, mehrere Journalisten sowie einige Jungarchitekten mit der schon obligatorischen breiten Palette an Projekten im Grenzbereich von Kunst und Architektur. Was fehlte, war jemand, der beispielsweise über die Zukunft des Facility Managements referiert hätte. Denn mit der Computerisierung aller Lebensbereiche wird selbst die gebaute Architektur zu einer Ansammlung von Datenbankinformationen. Jedes Haus setzt sich aus einer Vielzahl von Teilen zusammen, deren Datenschlüssel der Architekt auf seinem Rechner versammelt, verwaltet und dazu nutzen kann, auch nach der Fertigstellung quasi "Support" in allen Fragen anzubieten. Hier, im digitalen Baumanagement, liegen die eigentlichen Goldadern verborgen, doch dieses Thema schmeckt nach unmittelbarem Verwertungsinteresse, ist kein bisschen gesellschaftskritisch und daher zur Ansammlung "kulturellen Kapitals" denkbar schlecht geeignet. Obwohl es doch verlockend sein müsste: Die ganze Ausschreibung beispielsweise, also das Abfragen von Angeboten, erledigt die Software und der Architekt kann sich aufs Entwerfen und Theoretisieren zurückziehen.

Ein anderer Bereich, in dem Geld zu wittern ist, wird bereits seit einiger Zeit bearbeitet: Das so schwer zu definierende Feld des "Consulting". Angezogen von den üppigen Werbe- und Beraterbudgets vieler Firmen versuchen Architekten, einen Teil dieses Kuchens auf ihre Seite zu ziehen und nicht mehr Gebäude, sondern "Markenphilosophien" zu verkaufen. Neu ist das keineswegs. Peter Behrens war wohl der erste Architekt, der für seinen Auftraggeber, die AEG in Berlin, ab 1907 als Architekt, Produktdesigner und Grafiker arbeitete und so ganz maßgeblich daran beteiligt war, der AEG ein Bild von sich selbst aufzuprägen. Ein Beispiel neueren Datums ist die enge Verbindung des Architekturbüros Henn mit dem Volkswagen-Konzern, die das Design der "Autostadt" in Wolfsburg und der "Gläsernen Manufaktur" in Dresden hervorbrachte. Nur ist dies auch ein Beispiel, warum Architekten sich hüten sollten, den Einfluss von Gebäuden als Marketinginstrument und sich selbst als Consultants zu überschätzen. Letztlich zählen für den Konzern die Verkaufszahlen der Autos und das Unternehmen kann mit einer Werbekampagne viel schneller auf veränderte Rahmenbedingungen reagieren, als mit dem bis auf weiteres unendlich viel langsameren Medium der Architektur. Ob sich daran in Zukunft etwas ändern wird, müsste unter Z wie Zeit dargestellt werden. Die Kurzformel kennt aber ohnehin jeder: Auch Zeit ist Geld.
Dieser Text ist die etwas gekürzte Version eines Beitrags, der für das im Folgenden vorgestellte Buch "Von A bis Z – 26 Essays zu Grundbegriffen der Architektur" entstanden ist.

Von A bis Z – 26 Essays zu Grundbegriffen der Architektur
Mario Hohmann u. Stefan Rettich (Hrsg.)
Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2004
ISBN 3-88375-852-3

„Vieles bleibt, wie es ist, manches verändert sich. Das gilt für den
Fußball wie für die Zeichen und die Bedeutung der Wörter – nur scheinbar
nicht für die Architektur.“
Die Herausgeber entwickeln aus dieser These das Buchprojekt >A bis ZetZum Autor:
Oliver Elser ist Architekturkritiker, Ausstellungsmacher und Archivar.
Er schreibt für den STANDARD, die FAZ und ist Österreich-Korrespondent
der Architekturzeitschrift A10.
Webseite: www.architekturtexte.at

Verfasser/in:
ausgewählt von Karin Tschavgova
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