06/09/2018

Seit 2003 ist GAT online. Tausende von Artikeln haben sich im (virtuellen) Archiv angesammelt. Informatives, Kritisches und Unterhaltsames. In erster Linie Themen zur Architektur natürlich, aber vieles führt auch zu den Rändern und darüber hinaus zu anderen Disziplinen. GAT ist nicht nur von ArchitektInnen für ArchitektInnen gemacht.

Aus dem GAT-Fundus für die Sommerreprise 2018 geholt:

Kultur im Sternzeichen des Sparschweins

Der Zeit ihre Kunst. Der Kunst ihr Geld lautete der Titel einer Podiumsdiskussion über Kulturförderungen im Dezember 2011, zu der die Steirische Gesellschaft für Kulturpolitik eingeladen hatte.

Wenzel Mraček hat genau zugehört.

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06/09/2018

Geld verbrennen! Spontane, anonyme Installation im Foyer, Joanneumviertel, Graz

©: Wenzel Mraček

Zu einer Diskussion um den politischen Umgang mit Kulturförderung lud die Steirische Gesellschaft für Kulturpolitik unter dem Titel Der Zeit ihre Kunst. Der Kunst ihr Geld. Tenor: Kultur wird inzwischen von den zuständigen Politikern als Nebensache behandelt.
Ausgangspunkt der Debatte, leitete Moderator Michael Tschida ein, sollte die Oberflächlichkeit sein, mit der verschiedene Regierungen auf Stadt-, Landes- und Bundesebene Bildungs- und Kulturbudgets verringern. Den gleichzeitig gestellten Forderungen nach Innovation und geistiger Flexibilität werde dadurch die Basis entzogen. Zudem besteht die wahrnehmbare Tendenz, Events und zunehmend leichte Kost, ausgewiesen als Kunst und Kultur, durch die öffentliche Hand fördern zu lassen. Tschida zitierte aus einer Studie, die von Kulturministerin Claudia Schmied in Auftrag gegeben worden war. Auf die Frage, wo man in Krisenzeiten sparen sollte, antworteten 70 Prozent der Befragten mit Kultur.
Aus ihrem gesamten Budget fördert die Steiermark Kultur mit gerade 1,2 Prozent. Davon will man nun 25 Prozent einsparen, de facto um 25 Prozent weniger für Kultur ausgeben.
Zwar hatte man sich zur Podiumsdiskussion im Auditorium des neuen Joanneumviertels getroffen, dennoch sollte das UMJ nicht Thema der Veranstaltung sein. Wenn aber aufgrund der umfassenden Sparmaßnahmen von „Einschränkung teuer entwickelter Infrastrukturen“ die Rede war, darf man sich die aktuellen Öffnungszeiten des UMJ immerhin als Hintergrund denken. Das vielleicht größte Universalmuseum Europas hält die aufwändig adaptierte Alte Galerie von Jänner bis März geschlossen, ebenso Münzkabinett und Archäologiemuseum; das Schloss Eggenberg ist überhaupt nur in angemeldeten Führungen zu besichtigen; Schloss Stainz von November bis Februar geschlossen, ebenso Trautenfels; Volkskundemuseum geschlossen von Dezember bis Februar, ansonsten an drei Tagen geöffnet zwischen 16:00 und 20:00 Uhr; Künstlerhaus geschlossen, Zeughaus im Jänner und Februar geschlossen usw. Dazu Tschidas ironisches Bild: Man sollte vielleicht alle Kulturbauten als Kulissen ohne Inhalt stehen lassen; es genügte, wenn Touristen kommen, sehen und gehen.

Zurück zum Thema. Kurt Flecker, vormals Landesrat für Kultur und aktiv als Präsident der Steirischen Gesellschaft für Kulturpolitik, zeigte sich „irritiert“, dass „offensichtlich die Politik zurzeit erkennt, dass Sparen etwas Populistisches an sich hat“. Sparen kommt gut an, die Medien applaudieren und die Abhängigkeit der Konsumenten von den entscheidenden (politischen) Kräften wird stärker, damit werden die Züge der Politik „etwas autoritärer“. Ein Klima wird erzeugt, das Bürger zu Bittstellern werden lässt. Die sich verbreitende Spareuphorie erzeugt „ein Biedermeier“, eine Stimmung, die demotiviert und Kreativität einschränkt.
Sehr ambivalent sieht Veronica Kaup-Hasler, Intendantin steirischer herbst, ihre Position. Finanziell zwar durchaus gut ausgestattet, wurde dennoch die Dauer des Festivals seit Beginn ihrer Intendanz zunehmend verkürzt und programmatisch verdichtet. Gegenüber zum Großteil öffentlicher Finanzierung wird verstärkt auf privates Sponsoring gesetzt. Als dringend notwendig erachtet sie aber, dass Politiker, „die öffentliche Hand“, erkennen, welchen Wert die Vielfalt lokaler kleiner und mittlerer Kulturinstitutionen als künstlerischer und intellektueller „Nährboden“ haben.
Auf Tschidas Frage an Philipp Blom, weltläufiger Kulturwissenschafter, Autor, Übersetzer und Journalist, ob „wir in Österreich ein g’schlampertes Verhältnis zwischen Geld und Kunst“ hätten, antwortet der: „Wie sollte ich dem jetzt widersprechen?“ Aber: Man stelle sich vor, in Wien stünde die Heinz-Fischer-Bibliothek als Bibliothek von Weltrang. „Amerik …“ bricht er ab und sagt, „französische Präsidenten machen so etwas in Serie“. Für französische Präsidenten (und, schon richtig, amerikanische errichten nach Demission nach ihnen benannte Bibliotheken) „gehört das als kulturelle Aspiration dazu – in Österreich gibt es das nicht“. Was Sarko – oder gar Merkozy – diesbezüglich vorhaben könnten, wurde nicht gefragt, sei mir hier aber als nicht ganz sachlicher Einwurf gestattet. Es blieb nicht so recht ausgeführt, wie Blom seinen Vergleich zu Österreich anlegen wollte. Natürlich, fährt Blom fort, gibt es in Österreich eine lebendige zeitgenössische Szene, die „Emphase“ aber liege sicherlich auf dem touristenträchtigeren traditionellen Sektor. Aber es geht auch schlimmer: In Großbritannien wurden alle Subventionen für geisteswissenschaftliche Universitäten gestrichen, „die gibt es nicht mehr, Geisteswissenschaften werden dort nicht mehr unterstützt“. Er sagte nicht, dass Österreich auf dem (besten) Weg ist, es GB gleich zu tun. Es fehle jedenfalls in Österreich an privatem Mäzenatentum. An dieser Stelle muss angemerkt sein, dass Mäzene und Sponsoren zwei verschiedenen Gattungen angehören, dass Sponsoren mit einer Art Werbefaktor rechnen und für größere Institutionen irgendwo immer noch zu finden sind. An Qualität interessierte Mäzene, die von vornherein nicht auf die Markttauglichkeit dieser Qualität hoffen können, dürften einer eher seltenen Spezies angehören.
Aber halt! Einer saß still und unauffällig im Publikum: Hellmut Czerny hat über Jahrzehnte nicht allein die Neue und die Alte Galerie des Landesmuseums mit immensen Werten beschenkt.
 Der siebente Grazer Kulturstadtrat im achten Jahr wurde gerade angelobt. „Wo bleibt die Kontinuität und wo der politische Wille in der Kulturpolitik“, war die Frage an Peter Weibel, der sich als ZKM-Direktor, Künstler, Kurator und Theoretiker wahrscheinlich keine große Sorgen um seine berufliche Zukunft machen muss; aber nicht nur meines Erachtens ist die wohl nicht zu ersetzende Position in der Neuen Galerie am UMJ bezeichnend für persönliche wie seine Leistung als Kurator betreffende Missachtung seitens des Landeskulturreferenten, Obmann des Wirtschaftsbundes, Doktor der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften Christian Buchmann, der ja – auch diesbezüglich – auf seinem Standpunkt beharrt, für die bekannten Kalamitäten nicht zuständig (gewesen) zu sein (mit schönen Grüßen).
Weibel also: Ungefähr zitiert er Wittgenstein mit „die Verhexung des Verstandes durch den Gebrauch der Worte“ [sic., „Die Philosophie ist ein Kampf gegen die Verhexung unsres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache“; aber gerade darum geht es ja, wenn Philosophie Geisteswissenschaft ist und Kunst als „angewandte Philosophie“ verstanden werden kann, siehe oben zu den Geisteswissenschaften]. Das Wort Sparen fährt Weibel fort, ist der „größte Beitrag zur Verblödung der Menschheit“. Jeden Tag nämlich liest man in der Zeitung, dass die Märkte mit Geld geflutet werden [Anm.: Im Zeichen des Sparschweins neun Millionen Euro vom Land Steiermark an das Projekt Spielberg]. Es gibt also Geld und die Frage bleibt, wohin geht dieses Geld. Der Konsum, so die Haltung etlicher Ökonomen, muss vorangetrieben werden, damit es zum Wachstum kommt. Wieso, fragt Weibel, wird der Markt überflutet, nicht aber die Kultur? Das „Verhexen“ zeichnet sich in Wortfindungen (Metaphern, Euphemismen, Verschleierungen) wie Schutzschirm, Fallschirm oder Hebel ab, mit denen Währungen, Geld, Banken und Staaten betriebsfähig erhalten werden sollen, „eine märchenhafte Rhetorik“.
Warum nicht in ähnlicher Weise Geld in die Kultur fließt wie in die Wirtschaft, wundert sich auch Tschida anhand von Auszügen aus einer weiteren Studie. Demnach ist in Deutschland, nach Maschinenbau und Autoindustrie, die „Kreativwirtschaft“ die drittgrößte Branche. Ob nach Umsätzen oder damit und darin Beschäftigten bemessen erfahren wir zwar nicht, sei’s drum.
Dass Politiker „die Kultur“ nicht brauchen, sehe er schon ein, sagt Weibel, wenn etwa der steirische Landeshauptmann „nie etwas mit Kultur zu tun“ gehabt habe, ist er dennoch LH geworden. Die Haltung müsste etwa so verdeutlicht werden: Wenn ich keine Kultur gebraucht habe um LH zu werden, brauchen’s die anderen auch nicht.
Flecker setzt nach: Es wäre durchaus da und dort ein Glücksfall, wenn Kulturmenschen an die Spitze von Gebietskörperschaften treten würden [in Venedig war das über einige Jahre der Fall]. Es herrscht derzeit nicht gerade eine Inflation an Politikern, auf die man stolz sein kann. An Philipp Blom gerichtet: Das größte Mäzenatentum sei in Graz von Land und Stadt „gespielt worden“, indem sie den Mäzen gefördert haben, ihm eine Halle [List] gebaut haben, um diese dann teuer anzumieten. Der Vertrag läuft „Gott sei Dank“ im nächsten Jahr aus und man spart sich hoffentlich das Geld. Gegen die Halle selbst sei ja nichts zu sagen, die Herstellung sei das Problem. Flecker bringt auf den Punkt, dass „wir viele Kulturpolitiker haben, denen man nicht anmerkt, dass ihnen an den Belangen ihrer Ressorts auch nur irgendetwas liegt“. Diese „identifizieren sich nicht, und wollen nichts weiterbringen“. Er würde sich genieren, sagt Flecker, in der Steiermark einem Veranstalter, einer Initiative „zu sagen, sorg’ dich um Mäzene, wir haben das Geld nicht“.
Einmal noch wirft Blom ein, dass es andere Modelle als staatliche Kulturförderung gibt, nämlich die private. Privaten Förderern müssten, wie in den USA, eben Möglichkeiten wie Absetzbarkeit etc. eingerichtet werden.
Um nun abzukürzen: Darauf ging eine Sprecherin aus dem Publikum ein. Es sei nämlich gerade Auftrag der Öffentlichkeit, des Staates, Kultur und Kunst zu fördern, weil unter anderem nur so Entwicklungen möglich gemacht werden, denen demnächst weder Markt noch – aufgrund sich erst entwickelnden Verständnisses [wiederum Geisteswissenschaften] – private Unterstützung in Aussicht stehen. Kurz, das Prinzip entspricht oder entspräche den Bedingungen für Grundlagenforschung in den Naturwissenschaften.
Immer wieder auch die Rede von „abwesender Kulturpolitik“, was einerseits übertragen für die diskutierte Situation stand und konkret für die Tatsache, dass, seiner Natur gemäß, der Landesrat für Kultur nicht im Publikum zu sehen war, auch nicht der neue Grazer Stadtrat. Nachdem auch ich nicht persönlich eingeladen war, dessen ungeachtet eine öffentliche Veranstaltung zu einem mein Metier betreffendes Thema besucht habe, bleibt mein Eindruck, dass diese Abwesenheit auch einem gehörigen Quantum Arroganz geschuldet ist. Man bleibt gehalten, die „Minister“ (der lateinischen Wurzel bitte selbst nachzugehen) zu bitten, ihnen Teppich und Podium einzurichten, vielleicht dann … In meiner Erinnerung war das schon einmal anders.
 Schließlich Weibels Appell: „Schützt und fördert die Talente in der Steiermark!“

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