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Stadtgestaltung und Wohnprojekte in Eigeninitiative
Kristien Ring, Autorin und Herausgeberin von auf. einander. bauen (2007) und Kuratorin der gleichnamigen Ausstellung im DAZ - Deutsches Architektur Zentrum, hat mit Selfmade City eine umfassende Bestandsaufnahme aktueller Berliner Baugruppenprojekte und diverser Quartierentwicklungen erstellt und wissenschaftlich bearbeitet. Sie legt damit nicht nur eine spannende Lektüre vor, sondern eine Arbeit, die bei zukünftigen Projekten in der Stadt nicht mehr zu umgehen ist: Ein Aufruf zur Beteiligung der BürgerInnen als essentieller Bestandteil einer zukunftsweisenden Architektur- und Stadtentwicklungspolitik.
be Berlin
Berlin ist, wie Kristien Ring feststellt, die Stadt der Raumpioniere. In den letzten zwei Jahrzehnten ist hier unter dem Motto be Berlin eine architektonische Vielfalt und urbane Qualität entstanden, wie sonst nirgendwo. Allerdings: Um die Selbstbestimmung des eigenen Lebensumfeldes zu erhalten, sei es notwendig, Rahmenbedingungen für selbstbestimmtes räumliches Handeln abzusichern. Warum es sich lohnt, diese Voraussetzungen zu schaffen bzw. zu erhalten, hat Kristien Ring zum Ziel ihres Buches gemacht.
Warum nehmen Akteure ihre Projekte selbst in die Hand? Einerseits aus dem Mangel an bedarfsgerechten Angeboten am Markt, andererseits aus dem Bedürfnis nach Verwirklichung eigener Vorstellungen. Was dabei in Berlin speziell im Wohnbau an hochqualitativen Bauten entstanden ist, ist beispielhaft und großteils selbstinitiiert. Kristien Ring analysiert die realisierten Projekte hinsichtlich architektonischer und sozialer Qualitäten, die in die Zukunft hinein, also nachhaltig wirken. Sie hebt dabei vor allem jene Projekte heraus, die über das persönliche Wohnen hinaus übertragbare Lösungsansätze verfolgen, die der Gemeinschaft, der Nachbarschaft und dem urbanen Lebensumfeld dienen (können).
Analyse & Conclusio
Kristien Ring arbeitet in Selfmade City heraus, was die Besonderheit der Berliner Selfmade-Kultur ausmacht und welche positiven Wirkungen diese Projekte für die Stadt leisten. Andererseits aber auch, was die Stadt zu leisten hat, um Selfmade zukünftig abzusichern. Und nicht zuletzt, welche Potenziale in einer Kooperation von Selfmade und Stadt, von Politik, Verwaltung und Akteuren, stecken. Die Autorin beleuchtet in ihrem Buch 125 Berliner Selfmadeprojekte, davon 119 Wohnprojekte der letzten 10 bis 15 Jahre. Umfangreich recherchiert, werden sie in 9 Stadtgebieten erfasst und kartografiert, 51 von ihnen sind tiefergehend analysiert. Die Analyse beruht auf Qualitätskriterien, die den Mehrwert der Projekte beschreiben: Art und Anzahl der Gemeinschaftsflächen / Vorhandene hybride Nutzungskonzepte / Urbane und nachbarschaftliche Interaktion / Ökologie / Besondere Flexibilität der Grundrisse bzw. des Nutzungskonzeptes / Qualität der Architektur / Bezahlbarkeit bzw. Kostengünstigkeit (unter 2.000 €/m2).
So konnte anhand von Projekten dargestellt werden, dass Gemeinschaftsflächen nicht nur das soziale Miteinander, sondern auch die Interaktion mit der Nachbarschaft fördern (was wiederum für die Zukunft der Vergabe- und Förderpolitik eine Rolle spielen kann). Die Analyse zeigt auch, dass Baugruppen nicht - was ihnen teilweise unterstellt wird - zur Gentrifizierung beitragen, denn sie sind grundsätzlich an ihrem Umfeld und guter Nachbarschaft interessiert. Sie tragen eher zur Stabilisierung bei und schaffen nachweislich gesellschaftlichen Mehrwert.
Als eines der tiefergehend analysierten Beispiele, die auch für Österreich relevant sind, sei der Wohnbau aus vorgefertigten Holzbauteilen in der Görschstraße 48/49 genannt, der von der Arge Atelier PK, Roedig. Shop, Rozynski-Sturm und Harald Haertwig geplant wurde und wegen seiner ökologischen und sozialen Aspekte hevorzuheben ist (siehe Anhang 3XGRÜN und Bilderleiste).
Zukunftsperspektiven
Wichtig für die Zukunft sei, dass Modelle geschaffen werden, an denen auch Menschen mit geringen finanziellen Mitteln teilnehmen können und dass nicht nur über Privatinitiative, sondern auch durch die öffentliche Hand soziale Wohnräume geschaffen werden. „Aber: Nicht alles, was im Eigentum entsteht, läuft zwangsläufig auf Gentrifizierung hinaus, genauso wie nicht alles, was bezahlbar ist, auch qualitätsvoll und inklusiv ist. “ (10) Ebenso wichtig für die Zukunft sei, dass zur Sicherstellung bezahlbaren Wohnraums auch das Baurecht (verbunden mit stadtpolitischen Zielsetzungen) als Vergabeform von Grundstücken nicht nur von Stiftungen, sondern auch von der öffentlichen Hand eingesetzt wird. Gleichzeitig könnte durch die Mischfinanzierung von Projekten (z. B.: Eigentümer + öffentliche Hand + Bauträger) eine soziale Mischung der Bewohner erzielt werden: „Langfristig mietpreisgebundene Wohnungen können innerhalb von Baugruppen entstehen und in Selbstverwaltung von den Baugruppen organisiert werden. “ (10)
(1) Michael Müller, Senator für Stadtentwicklung und Umwelt, Berlin. Selfmade City, Vorwort S. 2
(2) Rolf Novy-Huy, Stiftung trias, Hattingen. Selfmade City, Intro S. 10
(3) Constance Cremer, Stadtbau GmbH Berlin. Selfmade City, Intro S. 11
(4) Matthew Griffin, Architekt und Mitglied der Initiative ,Stadt Neu Denken‘, Berlin. Selfmade City, Intro S. 11
(5) Florian Heilmeyer, Architekturjournalist und Kurator, Berlin. Selfmade City, Intro S. 12
(6) Nikolai von Rosen, Künstler und Kurator, Berlin. Selfmade City, Intro S. 12
(7) Jörgs Ebers, Architekt Berlin. Selfmade City, Intro S. 12
(8) Christian Schöningh, Architekt, Berlin. Selfmade City, Intro S. 13
(9) Kristien Ring, Selfmade City, S. 19
(10) Kristien Ring, Selfmade City, S. 220
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Infobox
Selfmade City. Berlin
Karin Wallmüller zum Buch über Stadtgestaltung und Wohnprojekte in Eigeninitiative
Herausgeberin
Kristien Ring, AA Projects
in Kooperation mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin.
Jovis Verlag
Deutsch/Englisch
21 x 27 cm,
224 Seiten mit zahlr. farb. Abb.
Euro 29,80
Erscheinungstermin:
Februar 2013
ISBN 978-3-86859-167-5
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