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Essay
SCHWEIGEN FÜR EICHHOLZER

Mehrere Anläufe zu einer unmöglichen Aufgabe

„Nicht zu lügen ist zwar etwas leichter, als die Wahrheit zu sagen, aber immer noch verlogener, als nichts zu sagen. Man muss aber etwas sagen, es wird einem ständig abverlangt.“ Leo Trotzki, Kunst und Revolution 

Über Herbert Eichholzer zu sprechen, verbietet sich eigentlich. Viele fühlen sich immer berechtigt, über alles zu sprechen. Wer sicher im Pavillon sitzt, sollte nicht über Eichholzer referieren. Fünfzehn Minuten Schweigen für Eichholzer wäre der beste Beitrag.

Über Eichholzer dürften nur Tote sprechen. Oder zumindest Menschen, die ihr Leben im Widerstand aufs Spiel gesetzt haben. Die könnten dann von ihren Motiven sprechen. Und vielleicht nicht nur von den vordergründig politischen, denn die liegen auf der Hand. Sie müssten also über etwas sprechen, das ihnen selbst wahrscheinlich nicht bewusst ist. Auf ein Selbstopfer läuft Widerstand oft hinaus. In der Hoffnung, dass dieses Opfer nicht umsonst sein werde.

Ich habe mir oft vorgestellt, mit meinen Verwandten, die im Wider-stand waren, darüber zu sprechen. Die mit dem Leben davongekommene Tochter meines in Mauthausen verstorbenen, höchstwahrscheinlich getöteten Großonkels Johann Preiss, wollte sich dazu nicht äußern. Und wahrscheinlich hat sie recht gehabt. Jedes Wort wäre falsch, weil unangemessen gewesen. Es gibt keine Sprache dafür. Aber wie soll man dann darüber berichten? Denn berichten muss man, das ist klar. Schweigen wäre totschweigen, ein nochmaliges Töten der Opfer. Ein Schweigen wäre im Sinn der Täter. Das wollen die Täter doch immer, dass über ihre Taten geschwiegen wird. Einmal muss es genug sein, sagen sie, bevor noch etwas gesagt worden ist. Die Vergangenheit muss ruhen, wir sind ein gutes Grab für die Vergangenheit, in uns ist Platz für viel Vergangenheit, unsere Taten sind ja keine Taten, sondern Untaten, darum können wir für sie nicht zur Rechenschaft gezogen werden.

Darum also doch sprechen, im Bewusstsein der Fragwürdigkeit dieses Bemühens. Die Toten sind ja immer die besten Zeugen. Sie legen Zeugnis ab für ihr Leben, in Briefen, in Texten, im Offensichtlichen ihrer Handlungen.

Eichholzer hatte eine Stimme, die zu uns noch heute sprechen kann. Aber verstellt er seine Stimme in den Briefen nicht? Zu verstehen ist er ja nicht leicht. Wenn er in den Wald geht, nimmt er in Kauf, Bären zu begegnen. Mir scheint, er will es sogar. Er sucht die Gefahr oder nimmt sie nicht wahr. Und zuletzt ist er Kreaturen erlegen, deren Ge-fährlichkeit die von Bären weit übersteigt.

Man müsste sich ihn vielleicht in privaten Situationen vorstellen. Beim Spiel mit dem von ihm entworfenen Kinderspielzeug. Im Gespräch mit Freunden. Er würde dann im Ton seiner Briefe sprechen. Aber man möchte das nicht unbedingt simulieren, in der Manier histo-rischer Romane. Man käme sich wie ein Schwindler vor.

Ein Lebenslauf, den man liest, ist etwas anderes als ein Leben, das ge-lebt wird. Wir waren nicht dabei. Das ist, was Zeitzeugen den Spätgeborenen gerne vorwerfen, ihr wart ja nicht dabei, ihr habt es nicht erlebt, ihr habt keine Ahnung. Dabei haben gerade Zeitzeugen auch nur einen winzigen Fetzen vom großen Bild sehen können, den nehmen sie dann fürs Ganze. Und ihre Zeugenschaft ist so unverlässlich wie die Wahrnehmung.

Wie Eichholzers Leben verlaufen ist, wissen wir oder glauben es zu wissen, von seinem Ende her gedacht. Über allem, was er tut, schwebt dieses Ende. Wir können spekulieren, wie sein Leben verlaufen hätte können, wenn er bestimmte Schritte nicht gesetzt hätte, wenn er etwa nicht aus der Türkei nach Österreich, das damals gar nicht Österreich hieß, zurückgekehrt wäre. Man würde ihn dann heute nur als Architekten kennen. Es wäre ihm wohl im landläufigen Sinn besser ergangen. Aber niemand wird mehr verehrt als ein Held. Und dass man an ihn denken soll, hat er sich in einem seiner Briefe aus der Haft ge-wünscht. „Wenn einmal die Saat aufgegangen, wenn unser damaliges Wollen sichtbare Früchte tragen wird, wenn das Verständnis für unse-re Art auch da bei uns unten einmal anklingt, dann (…) denkt an Eu-ren Herbert.“ (Brief an Gustav von Scheiger, 6.12.1942, einen Monat vor seiner Hinrichtung.)

Verfasser / in:

Günter Eichberger

Datum:

Wed 30/10/2013

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Infobox

Symposium zu
Herbert Eichholzer

Ort: Institut für Kunst im öffentlichen Raum
Marienplatz 1, 8020 Graz
Mi. 30.10.2013
17.00h - 19.00h

Im Rahmen der Ausstellung
Pavillon – Hommage à Herbert Eichholzer
Ort: Rondo (Gartengelände),
Marienplatz 1, 8020 Graz
Dauer: bis 31.10.2013
Sa. 11.00-13.00 Uhr, Di. bis Fr. 15.00-17.00 Uhr

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