20/09/2022

Schau Doch! 23

Paradigmen-Wechsel mit Großangriff auf das Bauerbe?

Die Kolumne Schau doch! von Peter Laukhardt erscheint jeden dritten Dienstag im Monat auf GAT.

20/09/2022

Bild 1 Johann-Fux-Gasse 24

©: Peter Laukhardt

Bild 2 Körösistraße 60

©: Peter Laukhardt

Bild 3 Körösistraße 60 (das inzwischen gelöschte Projektbild, Chronos Wohnbau Gruppe, heruntergeladen 8.9.2022)

Bild 4 Bebauungsplan-Zonierung lt. Flächenwidmung-Deckplan 1

Bild 5 Algersdorfer Straße, Gartenansicht

©: Peter Laukhardt

Bild 6 Ziegelstraße 7 mit Nussbaum und Atlas-Zeder

©: Peter Laukhardt

Bild 7 Altbauten auf der grünen Seite der Andritzer Reichsstraße

©: Peter Laukhardt

Bild 8 Eggenberger Allee 64, „Marien-Villa"

©: Peter Laukhardt

Bild 9: Ausschnitt aus BBPl. 14.25.0 Eggenberger Allee

Bild 10 Eggenberger Allee 72 „Villa Hänsel &Gretl“, 70, 68 „Kernstock-Hof“

©: Peter Laukhardt

Bild 11 Ausschnitt aus BBPl. 14.25.0 Herbersteinstraße

Bild 12 Villen Herbersteinstraße 12 und 16

©: Peter Laukhardt

Meine vorletzte Kolumne Nr. 21 hat die Frage beinhaltet, welches von drei Beispielen als das Objekt „Gerettet Nr. 100“ geehrt werden sollte. Dieser Titel ging an die Restaurierung der Villa Johann-Fux-Gasse 24 (Bild 1).

Jetzt kommt leider wieder einmal die unvermeidliche „kalte Dusche“, denn ich möchte bereits geschehene, bevorstehende bzw. zu befürchtende Abbrüche behandeln und zu einem letzten Blick darauf einladen.

Lobenswertes Programm vs. Realität

Nach der engagierten Vorhabenliste für die „grüne“ Stadtplanung (Schlagwort: Paradigmen-Wechsel), die Vizebürgermeisterin Mag. Judith Schwentner am 7.9.2022 der Presse vorstellte, war kein großes Aufatmen in Graz zu bemerken. Die Grazerinnen und Grazer sind es schon müde, auf schöne Ankündigungen zu hören, denn zu oft wurden sie schwer enttäuscht. Ein für mich wichtiger Satz der Liste lautet: „Bestmögliche Schonung des erhaltenswerten Bestandes“.

Schon einen Tag danach wandte sich Hanno Wisiak, KPÖ-Bezirksvorsteher von Geidorf, enttäuscht an die Öffentlichkeit, denn wieder war ein historischer Bau dem Erdboden gleichgemacht worden: das ehemalige Haus eines Feilenhauers aus dem Jahre 1740 in der Körösistraße 60 (Bild 2), einer der letzten historischen Altbauten in diesem Stadtteil. „Gebaut für die Ewigkeit. Bis jetzt ..." stand zynisch auf dem Plakat der Abbruch-Firma.

Dem Vernehmen nach wurde eine von Anwohnern eingebrachte Beschwerde zum Baubescheid vom Landesverwaltungsgericht zurückgewiesen. Das Rendering (Bild 3) lässt kaum glauben, dass ein fünfgeschossiges Gebäude die maximale Baudichte von 2,0 nicht überschreitet, aber die vielen offenen Balkone und Gänge machen es anscheinend wirklich möglich.

Vom kleinen Grund bleibt freilich kaum etwas für Grünflächen übrig. Da aus unerklärlichen Gründen das Areal von der Bebauungsplan-Pflicht ausgenommen war (Bild 4), konnte hier auch keine Korrektur angebracht werden.

Ein Posting in kleinezeitung.at soll hier nicht unerwähnt bleiben: „In der Grüne Gasse 17 / GH Wildmoser sieht man, was man aus einem alten Haus, das jeder als Schandfleck bezeichnet hatte, machen kann – samt herrlichem Grünbestand rundherum, der erhalten wurde. Das ist Revitalisierung und Stadtplanung mit Gespür und Stil, so schafft man Begegnungsräume und erhält den unverwechselbaren Charakter einer Stadt […]“.

Aber das ist einer der vielen aktuellen Zerstörungsfälle, wie auch der soeben erfolgte Abriss der Villa Algersdorfer Straße 67 (Bild 5), ebenso wie der bevorstehende Abbruch des hübschen Landhauses in der Ziegelstraße 7 (Bild 6), das drei Wohnhäusern mit zusammen 23 Wohnungen und einer Tiefgarage für 33 Autos (!) weichen soll, wofür auch noch ein schöner Garten mit altem Nussbaum und einer für Graz einzigartige Atlas-Zeder geopfert werden müsste. Folgen für das Kleinklima – nebensächlich?

Bebauungspläne als Schutzinstrument?

Noch düsterere Aussichten für das Grazer Bauerbe bieten drei von der Stadtplanung jüngst aufgelegte Bebauungspläne. So für eine ganze Reihe von Biedermeier-Gärten im Uni-Viertel; der BBPl. 03.25.0 sieht nicht weniger als 17 zahnartige, bis 20 m hohe Einbauten in dem größten begrünten Innenhof von Graz vor; weiters für gediegene, in grüne Gärten eingebettete Altbauten (Bild 7) im Zentrum von Andritz (BBPl. 12.25.0), und schließlich für 10 größtenteils sehr schöne Villen in der Altstadt-Schutzzone Eggenberg (BBPl. 14.36.0 Eggenberger Allee, Herbersteinstraße und Grasbergerstraße).

Generell kritisiere ich an den genannten Bebauungsplänen, dass sie aufgrund einzelner Bauabsichten ganze Viertel oder Blöcke umgestalten wollen. Das scheint mir nicht nur unnötige Energieverschwendung in der Stadtplanung, sondern auch eine kontraproduktive Entwicklung, die zerstört, statt zu bewahren.

Diese Bebauungspläne basieren leider auch nicht auf städtebaulichen Konzepten; über die „konzeptlose“ Entwicklung der Karlauer Straße wurde auf dieser Plattform kürzlich ausführlich berichtet. Man plant einfach eine Seite einer Straßenflucht, ohne auf die Straße und die andere Seite Rücksicht zu nehmen (Eggenberger Allee, Andritz).
 
Ganz inakzeptabel ist, dass die von den Bebauungsplänen betroffenen Grundstücksbesitzer in die Erstellung der Pläne nicht eingebunden werden. Auch scheint es ziemlich sinnlos, parzellenübergreifend zu planen, wenn klar ist, dass die Besitzer von 2/3 des Areals unter keinen Umständen gewillt sind, ihren gepflegten Besitz zu opfern.

Bedenklich ist die Tatsache, dass den Eigentümern von Villen-Objekten, die in ihrer jetzigen Form erhaltenswert sind, nicht immer bewusst wird, dass sie bei jeder gewünschten Änderung dann an den neuen Bebauungsplan geknebelt sind; in vielen Fällen hieße das: abreißen und neu bauen!

Man könnte fast den Eindruck von „Trojanischen Pferden“ haben, die der neuen Koalition von der Vorgänger-Regierung zurückgelassen wurde; manch lange Bearbeitungszeit scheint das zu bestätigen. Die Begründungen dazu sind merkwürdig: „Altlasten“, „Termindruck seitens des Landes“ und „Schutz der Charakteristik“. Der Appell der Zuständigen „es sind nur Entwürfe, macht Einwendungen!“, „so wird der Plan eh nicht beschlossen werden“ etc. stoßen auf ungläubiges Staunen. Waren die Planersteller nicht imstande, die Problemseiten der Entwürfe selbst zu reparieren? Oder ist vielleicht der Druck der Investoren noch immer zu stark?

Wie waren doch die Worte des Leiters der Stadtplanung in Schwentners Aussendung?: „[Der Bebauungsplan] ist ein Schutzinstrument, das für unterschiedliche Zielsetzungen eingesetzt werden kann, zB. für das O r t s b i l d, den G r ü n r a u m, erhaltenswerte B ä u m e, zur V e r h i n d e r u n g  v o n  B o d e n v e r s i e g e l u n g  und Zersiedelung, etc.[…] Der Erstellungsprozess erfolgt unter B e t e i l i g u n g der Bürger:innen“.

Eggenberger Allee – Pläne bedrohen Welterbe- und Altstadt-Schutzzone

Der BBPlan: 14.36.0 Herbersteinstraße – Eggenberger Allee – Stadtportal der Landeshauptstadt Graz gehört zu der Reihe von Planwerken, die derzeit die Gemüter erhitzen. Am 19.9.2022 fand dazu bereits eine Info-Veranstaltung statt. Es gab zwei Anlässe:

1) Bauinteresse Eggenberger Allee 64 und 64 a: Hier steht die prachtvolle, gepflegte „Marien-Villa“ mit hölzerner Veranda, erbaut um 1900 (Bild 8) und zwei kleine Nebengebäude. Das konkrete Bauinteresse ist nicht bekannt – es kam offiziell von den Eigentümern der Objekte nur das Ersuchen um Erstellung eines Bebauungsplanes.

Es handelt sich bei der Eggenberger Allee um eine Welterbe-Pufferzone und eine Altstadt-Schutzzone, mit der äußerst behutsam umzugehen wäre! Das bescheinigen auch die Auszüge aus dem „Management-Plan“ und aus der Stellungnahme der ASVK: […] die Bebauung der beiden Straßen bildet mit ihren vor- und gründerzeitlichen Gebäuden in Schutzzone IV/5 Eggenberg ein für diesen Bereich der Stadt charakteristisches und nach § 4 GAEG 2008 schutzwürdiges Ensemble!

Das Räumliche Leitbild (RLB) hat hier aber schon im Konzept versagt, unsere Forderung nach Ausweisung von „Villenviertel“ wurden abgelehnt, obwohl das hier eindeutig gegeben ist (Bild 10)!

Aktuell sind im Planungsgebiet aber verordnet:
RLB: „Wohnanlagen und verdichteter Flachbau“;
Fläwi: Allgemeines Wohngebiet,
Dichte: 0,3 – 0,6, also viel zu hoch!

Das RLB 1.0 an sich ist aber – trotz mancher Berücksichtigung von Einwendungen, auch meinerseits – schon grundsätzlich eine schwache Sache geworden. Auch in Villenvierteln kann man nämlich erhaltenswerte Substanz abreißen und dafür gehörig hinklotzen (siehe Hilmteichstraße 19), weil die Dichten zu hoch angesetzt sind. Man sollte für diese Viertel keine allgemeinen Maximal-Werte festlegen, sondern müsste sie nach dem Bestand ausrichten (wie es die Stellungnahme der ASVK für diesen BBPl. betont); meist wäre 0,4 richtig.

Der Text im Erläuterungsbereich S. 27 räumt deshalb auch ein: … Um die Fortführung des Gebietscharakters und eine bestmögliche Ergänzung im Neubaufall zu erhalten, werden die Festlegungen im Verordnungstext abgestimmt auf den Bereichstyp „Villenviertel und offene Bebauung mäßiger Höhe“ getroffen. Das ist eine positive Wendung, aber auch die nachträgliche Bestätigung der seinerzeitigen Kritik, dass man im RLB auf Villenviertel-Ausweisung verzichtet hat und „Wohnanlagen und verdichteter Flachbau“ gewählt hat.

Die Planverfasserin sagt weiters: „Ziel des Bebauungsplanes ist der Erhalt der wertvollen Gebäudesubstanz …“. Warum wird dann fast bei jedem erhaltenswerten Objekt an Lage und Kubatur herumgekritzelt? Der Grund: Die Platanen-Allee soll unter Naturschutz gestellt werden, weshalb die Grünraum-Abteilung der Stadt die Kronentraufbereiche samt einem 3-m-Abstand dargestellt hat. Das Erscheinungsbild der Allee wird also von den Platanen geprägt, die Gebäude müssen sich danach richten, weshalb bei den meisten Villen der künftige Grundriss verändert werden muss; im Neubaufall („wenn ein Haus abbrennt“) müssten sie abrücken, ihre Lage ändern oder sich gar verkleinern! Wie soll so die wertvolle Gebäudesubstanz erhalten bleiben???

Trotz richtiger Erkenntnisse wird die als Schutz-Instrument gedachte BBPl.-Pflicht hier zu einem Bumerang. Einzelne Bauinteressen führen zu einer „Neuausrichtung“ der benachbarten Villen, statt hier die Bauanträge einfach den verordneten Maßstäben gemäß abzuhandeln. Dazu eine Stellungnahme aus Architektensicht: „Warum bitte zeichnet man nicht einfach Bestandsbauten nach? Dann sind die eingefroren, basta. Schöne neue Villen baut heute leider niemand mehr, gerade deswegen sollte es dort am besten Grün bleiben. Laut diesem Entwurf kann man sich schon vorstellen, wie es in Zukunft werden kann: Tiefgarageneinfahrten und quergestellte Wohnhäuser mit Qualität? Dachlandschaften?, eines ist ja schon gebaut, will man das ernsthaft?“

Auf die in der Info-Veranstaltung vorgebrachte diesbezügliche Kritik reagierte der Stadtplanungschef mit der Behauptung: „Der Bebauungsplan hilft aber, den Charakter des Gebietes künftig zu erhalten“. Dazu wurde auch die Frage gestellt, warum die nördliche Seite der Eggenberger Allee nun sorgsamer behandelt werde als die südliche (im umstrittenen BBPl. 14.30.0 vom 2.7.2020), der eine Art wenig einfühlsamer Randverbauung vorschreibt. Die unbefriedigende Antwort: Südlich gibt es größere Parzellen und der Baumschutz wurde inzwischen nachgeschärft. Worauf die Frage kam, ob der BBPl. angesichts der neuen Forderungen zum Klimaschutz nicht vom Gemeinderat evaluiert werden müsste. Wie bereits erwähnt, hatte aber ja das Räumliche Leitbild hier durch Verweigerung der Ausweisung als Villenviertel versagt. Die Feststellung, dass die Gebäude ohnehin durch die ASVK geschützt würden, ist dazu wenig beruhigend.

Das Ergebnis für Eggenberger Allee 64 wäre übrigens seltsam: Die Nebengebäude müssten weg, aber dafür könnte an das Nachbarhaus Nr. 62 gekuppelt neu angebaut werden! Dazu müsste aber die dortige Villa nach hinten verschoben werden!?

2) Bauinteresse Herbersteinstraße 14: unbebautes, grünes und bestocktes Grundstück (Bild 11)

Die zwei dem Grundstück benachbarten, hübschen Villen (Bild 12) dürften im Neubaufall ihre Dimension fast verdoppeln; der Bau eines zweiten Gebäudes bei Erhalt der Villa wäre nicht möglich. Ganz arg war, dass die Fragensteller in der Info-Veranstaltung auf Einwendungen vertröstet werden, obwohl klar sein müsste, dass ihre Wünsche gegen aufgestellte Prinzipien verstoßen, z.B.: Abstand der Neubauten von der Schlossmauer; ist sich die Stadtplanung vielleicht hier ihrer Sache nicht sicher? Damit wäre das Ziel Erhalt der wertvollen Gebäudesubstanz auch hier gründlich verfehlt! Im Übrigen zeigt der Plan das an die Mauer angebaute Kassengebäude beim Eingang als denkmalgeschütztes Objekt!

Mehrere ähnliche Fragen zeigten auch deutlich, dass die Grundstückbesitzer vor Auflage des Entwurfes nicht eingebunden waren. Ähnlich wurden nachweislich auch die Bebauungspläne 03.25.0 für die Innenhöfe im Uni-Viertel und 12.25.0 für die Andritzer Reichsstraße erstellt: ohne Einbeziehung der Betroffenen. Aber darüber ein anderes Mal.

Es ist zu verlangen, dass unter der neuen Grazer Koalition das Planungsgeschehen wirklich neu ausgerichtet wird; dazu wird es nötig sein, das Räumliche Leitbild grundlegend zu korrigieren, die Dichten des Flächenwidmungsplanes den Herausforderungen der Klimakatastrophe anzupassen und übergreifende städtebauliche Konzepte den zu eng gefassten Bebauungsplänen vorzuschalten. Nur mit neuen Einstellungen der Politik, stringenten Konzepten und wirklich änderungsbereiten Planern kann das gelingen.

.

P. S. In der gestrigen Info-Veranstaltung zum BBPl. 12.25.0 Andritzer Reichsstraße ließen über 100 Andritzer Bürgerinnen und Bürger ihrem Unmut an der Planung freien Lauf. Viele sahen keine Konsequenzen aus der Klimakatastrophe, beklagten das Untergehen der bauhistorischen "Aura" von Andritz, befürchteten das Weiterführen alter Bausünden, vermissten ein Verkehrskonzept, verlangten eine übergreifende Entwicklungsplanung und hielten schließlich einen Baustop für angebracht - Graz sei fertig gebaut.

Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+