16/02/2021

Kolumne von Peter Laukhardt
Schau doch! 04

Vorstädtische Eleganz unter Druck

Die Hilmteichstraße in Graz

Teil 1

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Mit der Kolumne Schau doch! zeigt der Autor auf, dass es im Grazer Stadtraum auch abseits des Weltkulturerbes unersetz- liches Bauerbe zu entdecken und zu schützen gibt.

Schau doch! erscheint jeden dritten Dienstag im Monat auf GAT.


 

16/02/2021

Der Grazer Hilmteich vor 1858, Carl Reichert (Sammlung Laukhardt)

©: Peter Laukhardt

Bild 2: „Rote Elektrische“ in Mariagrün um 1900 (Sammlung Kubinzky, nachkoloriert)

©: Peter Laukhardt

Bild 3: Hilmteichstraße 115, Veranda

©: Peter Laukhardt

Bild 4: Die denkmalgeschützte Königsmühl-Siedlung, im Hintergrund Hilmteichstraße Nr. 118

©: Google Maps

Bild 5: Königsmühlstraße 7 und 9

©: Peter Laukhardt

Bild 6: Ehem. evangelisches Töchterheim, Hilmteichstraße 118

©: Peter Laukhardt

„Graz, das liegt am Hilmteich, rundherum ist Österreich.“ (s. Link regiowiki.at) So lautet eine frühe geographische Angabe, die deutlich machte, welchen Stellenwert dieser Erholungsraum für die Grazer einst hatte. Die geschichtlichen Spuren reichen weit zurück. Als 1354 der Besitz den „Tevtschenherren zu Grecz an dem Lee“ bestätigt wurde, ist als einer der Inhaber der 28 Hofstätten ein Chunrat auf der Hulben genannt, womit eine feuchte Gegend am Kroisbach gemeint war.

Nachdem in den 1840er Jahren für den Bau der Elisabethstraße – der ersten schnurgeraden „Geometerstraße“ – der  beliebte Breunerteich bei der heutigen Hauslabgasse zugeschüttet worden war, wichen die sportbegeisterten Grazer zu einem ehemaligen Ziegelteich „in der Hülben“, den feuchten Wiesen am Kroisbach, aus. Dass die neue Straße – sie hieß anfangs nach dem Investor Pittonigasse – errichtet wurde, um den Hilmteich besser zu erreichen, ist eine nette Legende. Bald wurde jedenfalls der „Hilmer Teich“ zu einem Dorado für Kahnfahrer im Sommer und Schlittschuhläufer im Winter, wie die Tagebucheintragung einer jungen Dame von 1851 berichtet. Der Zugang erfolgte über schmale Wege über die heutige Hilmgasse oder von der Leechgasse über den heutigen Födranspergweg entlang des Kroisbachs.

1858 erwarb eine Aktiengesellschaft das Areal, vergrößerte den Teich und erbaute nach Plan von Joseph Mixner eine Restauration, das heute denkmalgeschützte „Hilmteichschlösssl“ und kurz danach das „Schweizerhaus“. Die Hilmteichstraße erscheint zwar erstmals auf einem Stadtplan von 1870, aber ihre Anlage wird wohl mit dem Restaurantbau von 1858 zusammenfallen, obwohl die Stadt das ganze Hilmteichareal erst 1868 erwarb. Die Schubertstraße wurde erst 1877 bis zum Hilmteich verlängert.

Schon am 4. Juli 1888 erreichte eine der letzten Teilstrecken der Grazer Pferde-Tramway über die Hartenaugasse und die Schubertstraße den Hilmteich! Und am 29. Jänner 1898 wurde nach nur zehnmonatiger Bauzeit die erste elektrische Straßenbahn im alten Österreich, die sogenannte „Rote Elektrische“ eröffnet; sie führte bis 1941 vom Glacis über die Zinzendorfgasse und die Schubertstraße zum Hilmteich und dann weiter bis nach Mariatrost. Die noch immer eingleisige Strecke entlang der Hilmteichstraße und das Verbindungsstück zwischen Schubertstraße und Auersperggasse erinnern an diese Pionierzeit des öffentlichen Verkehrs. (Bild 2)

Nun beginnen wir unseren Besichtigungs-Spaziergang in jenem Teil der Hilmteichstraße, der sich gegen moderne Entfremdung noch gut zur Wehr setzen konnte. Auf Bild 2 ist links von der Tramway ein giebelgeschmücktes Gebäude mit einer kleinen Terrasse zu erkennen, das 1891 als „Freiwein’sche Villa“ erbaut wurde und 1897 als „Franz Löscher’s Restauration Zur Elektrischen Bahn“ eingerichtet wurde. Der edle Bau, in dem sich vor Jahrzehnten das vom Gründer der Grazer Szene, Jörg Slawnitsch, geführte „L’Equipe“ befand, erhielt 2011 eine Art Betonkorsett als Anbau, von dem sich nur das bewachsene TG-Einfahrtsdach wohltuend abhebt. Links im Hintergrund die 1888 von Anton von Kleinoscheg und einer großen Gruppe von Industriellen finanzierte und dann der Stadt übergebene „Hilmwarte“, lange Aussichtsturm, heute Weltraumwetter-Labor.

Weiter stadteinwärts reiht sich nun Villa an Villa. Rechts Hilmteichstraße Nr. 115 mit einer fantasievollen Gestaltung, so z. B. die  auf toskanischen Säulen ruhende Holzveranda (Bild 3). Dann gelangen wir zu dem schönen Wohnhaus Nr. 111, das seine Verwandtschaft mit einem weiter südwärts gelegenen Bau nur schwer verleugnen kann – dem wohl als Vorbild dienenden „Alten Mauthaus“ auf Nr. 97 –, es wurde 1876 als sog. Linienamt erbaut, weil hier die Stadtgrenze verlief und die nach Graz einfahrenden Bauern bis 1938 eine „Verzehrsteuer“ entrichten mussten. Diese beiden stattlichen Bauten rahmen eine in Graz einzigartige Siedlung ein.

Als Projekt des Wohnungsfürsorgevereins für Steiermark entstanden 1912/13 auf den Königsmühlgründen nach Plänen des Architekten Andreas Giesshammer auf je 500 m2 Grundfläche zwölf schmucke, kleine Villen mit umgebenden Gärten. Räumlich den Bedürfnissen einer Familie mit 90 m2 Wohnfläche angepasst, entsprechen die Anlagen einer heute nicht mehr vorstellbaren Versiegelung von nur 10 %. Auf Garagen wurde größtenteils verzichtet, auch die Erschließungsstraßen sind zum Dauerparken nur schlecht geeignet – wozu auch, man hatte ja eine Tramhaltestelle vor der Nase! Wie uns Sokratis Dimitriou (Prof. für Kunstgeschichte an der TH Graz, Anm.) darlegte, stehen die tief heruntergezogenen, abgewalmten Dächer oder Mansarddächer und der in den Verputz gleichsam eingekratzte Schmuck einer welligen Linie oder abgetreppte Mauervorsprünge bei sonst glatter Wand deutlich unter dem Einfluss Olbrichscher Architekturgestaltung, wie sie dieser seit 1900 in Darmstadt verwirklichte (Bild 4 und Bild 5).                

Dass dieses schöne Beispiel einer, nach mehr als hundert Jahren noch immer bewunderten Anlage gerettet wurde, war den aufmerksamen Nachbarn und Altstadtschützern zu danken, die rechtzeitig Alarm schlugen. Die Villa Hilmteichstraße 105 wurde nach dem in letzter Minute verhinderten Abbruch mit den übrigen elf Objekten 2016 unter Denkmalschutz gestellt. Der darauf folgende Rechtsstreit fiel zugunsten des Denkmalschutzes aus.

Nicht ganz ohne Schrammen ging die Erhaltung eines östlich der Siedlung stehenden prominenten Bauwerks aus. Das um 1900 errichtete ehemalige evangelische Töchterheim, Hilmteichstraße 118, musste vor einigen Jahren seinen großen Garten mit zwei Neubauten teilen, die den Blick auf das einst schön gestaltete Haupthaus verstellen, das durch eine vorhergegangene Aufstockung und Abräumung der Fassade seinen Reiz ziemlich eingebüßt hat; nur der Säulenerker am nordseitigen Risaliten erinnert noch an die frühere Pracht. Als gelungenes Beispiel für Verdichtung ist das Ganze wohl nicht zu bewerten (Bild 6).

Insgesamt sind in diesem nördlichen Abschnitt der Hilmteichstraße noch weitere zehn erhaltenswerte Objekte zu verzeichnen. Im südlichen Teil werden wir das leider nicht mehr feststellen können.

Fortsetzung folgt im Teil 2 im Rahmen der Serie Schau doch! 05.

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