08/04/2015

Stadträumliche Auswirkungen der Verkehrsplanung in Graz.

Dem Autor geht es bei seinem Kommemntar nicht primär um eine Kritik an der Verkehrsplanung, sondern darum zu zeigen, wie sich Verkehrsplanung im Stadtraum niederschlägt. Radwege allein seien meist nicht die Lösung. Vor allem wenn das Rad als Verkehrsmittel gesehen wird und Radfahren nicht nur als Freizeitvergnüngen für Familien. Beides habe seine Berechtigung und solle sich gegenseitig ergänzen.

Lesen Sie auch: Graz: Fahrradhauptstadt Österreichs?

Fortsetzung folgt.

08/04/2015

Flächenverteilung im Straßenraum: Fußgänger – MIV Parken – Radfahrer – MIV – Fußgänger (auf der Skala unten)

©: Georg Schrutka

Wenn Stadt, der Auffassung vieler renommierter Stadtforscher folgend, über den öffentlichen Raum in ihr und den Menschen in diesem definiert wird, dann kann Fahrradfahren zu einer lebenswerten Stadt beitragen. Straßen stellen einen wesentlichen Teil des öffentlichen Raums dar und doch ist ein Großteil davon einer ausgewählten Gruppe – KFZ-Lenkern – vorbehalten. Jener Teil der Öffentlichkeit der diese ausmacht, nämlich Fußgänger und Radfahrer mit ihrer Möglichkeit zur Kommunikation, wird auf Randzonen, wie Gehsteige und Radwege, verbannt. Straßen in einer Stadt sind auf ihre Qualität als öffentlicher Raum und somit auf ihre Flächenverteilungsgerechtigkeit hin zu überprüfen.

Erreichbarkeit von Orten

Räumliche Mobilität und die damit einhergehende Erreichbarkeit sind wesentliche Faktoren einer funktionierenden Stadt. Während Mobilität noch relativ einfach als Ortsveränderung begriffen werden kann, wird es beim Begriff "Erreichbarkeit" bereits schwieriger, wie Daniel Kofler von BikeCityGuide (1) im Laufe eines Gesprächs anmerkte. Diese sei nicht zweidimensional im Sinne einer Landkarte abbildbar. Die Erreichbarkeit eines Ortes, also die zeitliche Distanz, wird von unterschiedlichen Aspekten beeinflusst, ein wesentlicher davon ist die Transportmittelwahl und hier kann unter den passenden Voraussetzungen das Fahrrad punkten: Das Rad bringt einen direkt von Tür zu Tür, Staus sind selten und die eigene Brieftasche wird geschont. Schon heute trägt das Fahrrad in vielen Städten wie z. B. Bozen, Münster und auch Graz seinen Teil zum Mobilitätsmix bei, trotzdem spiegelt sich dieser Beitrag in der Flächenverteilung in Graz, die Radfahrstadt sein will, nur unzureichend wider.

Straßenraum und Flächennutzung

Um diesen Umstand zu veranschaulichen und mit konkreten Zahlen zu untermauern, ein Beispiel zur Planung einer Straße bei Gegenverkehr, Tempo 50. Die Werte sind der aktuellen Verkehrsplanungsrichtlinie (s. Link rechts) der Stadt Graz entnommen:
Die zweispurige Fahrbahn muss eine Mindestbreite von 6,25 m aufweisen, um einen Linienbusbetrieb zu ermöglichen. Das wird als enges Profil bezeichnet und ist nur für geringes Verkehrsaufkommen (max. 5000 KFZ / Tag) geeignet. Dazu kommen beidseitig platzsparende Längsparkstreifen mit einer Breite von 2,75 m. Den Radverkehr im Mischverkehr zu führen sollte unter diesen Bedingungen vermieden werden, „da gefährliche Pkw/Rad-Überholmanöver zu erwarten sind“. Also ist es angebracht, einen Radweg zu errichten. Damit sich Fußgänger und Radfahrer nicht gegenseitig gefährden, wird einseitig ein getrennter Fuß- und Radweg vorgeschlagen. Dieser schlägt sich mit 3,90 m zu Buche (Radweg 2,00 m, Gehweg 1,60 m, Trennstreifen 0,30 m). Auf der anderen Straßenseite wird ein Gehsteig mit der Mindestbreite von 1,50 m errichtet. Der Anteil der dem Fußgänger vorbehaltenen Fläche beträgt in diesem Beispiel 18 % und jener der Radfahrer knapp 12 %. Damit wird Radfahrern und Fußgängern die Benutzung von mehr als zwei Drittel des öffentlichen Raums untersagt.

Da die Geschwindigkeit von Radfahrern laut Kofler von BikeCityGuide zwischen 12 und 30 km/h variiere, könne eine wesentliche Verbesserung erreicht werden, wenn die erlaubte Höchstgeschwindigkeit für den Verkehr nur 30 km/h wäre. Dann könnten die Übergänge zwischen motorisiertem Verkehr und Radverkehr, sowie Rad- und Fußgängerverkehr fließender gestaltet werden. Gemischte Geh- und Radwege und eine optionale Benutzung von Radweg oder Fahrbahn im Mischverkehr für Radfahrer könnten realisiert und ein Beitrag zu mehr Flächenverteilungsgerechtigkeit erreicht werden.
In den 80er und 90er Jahren wurde in Graz mit der Tempo-30-Zone und der Öffnung vieler Einbahnen für den Radverkehr in die Gegenrichtung einiges unternommen. Leider weiß, wer in Graz mit dem Rad unterwegs ist, dass es dort oft eng werden kann. Wer mit dem Auto unterwegs ist, weiß hingegen wie langsam 30 km/h im Gegensatz zu den vielmals gefahrenen 40 km/h erscheinen und wie viel gegenseitige Rücksichtnahme dann möglich wird. Bereits bei 43 km/h verdoppelt sich der Bremsweg zu den ursprünglichen 30 km/h, somit sollte Tempo-30 in den Tempo-30-Zonen auch eingehalten und überprüft werden.

Straßenraum und Abstellplätze

Ein weiteres Indiz für den Stellenwert von motorisiertem Individualverkehr (MIV) und Radverkehr kann im Vergleich der vorgeschriebenen Stellplätze in der Verkehrsplanungsrichtlinie gefunden werden. Symptomatisch ist, dass die Funktionen unterschiedlich zusammengefasst und die Bezugsgrößen verschieden gewählt worden sind. So wird ein Vergleich schwierig.
Einige Werte lassen sich dennoch vergleichen: Beim Wohnbau wird pro Wohneinheit mindestens ein PKW-Stellplatz gefordert. Fahrradstellplatz wird einer pro 50 qm Wohnfläche gefordert, bei einer durchschnittlichen Wohnungsgröße also zwei.
Bei Verkaufsgeschäften sollen 1,88 KFZ-Stellplätze pro 100 qm Verkaufsfläche im Kernbereich und bereits 3,75 im kernnahen Bereich vorgesehen werden. Fahrradabstellplätze sind in beiden Fällen zwei pro 100 qm zu errichten. Ein Blick in die Grazer Innenstadt zeigt, dass die Verkehrspolitik zwar guten Willens ist, aber unzureichend handelt. Noch eklatanter ist der Unterschied bei Veranstaltungsstätten wo im Kernbereich auf fünf Autos pro 100 Sitzplätze zwei Fahrräder kommen sollten, was in Graz unrealistisch ist.

Die angeführten Beispiele zeigen, wie sich die politische Gewichtung von MIV und Fahrradverkehr im Stadtraum manifestiert. Bereits kleine Veränderungen könnten helfen, ein neues Bild vom öffentlichen Raum zu generieren. Es sollte nicht vergessen werden, dass dieser öffentliche Raum und die Menschen darin eine Stadt lebenswert machen. Gerechtigkeit in der Verteilung der Flächen im Straßenraum ist ein wichtiger Faktor für die Attraktivität städtischen Lebens.

(1)
BikeCityGuide ist ein von Fahrradkurieren in Graz gegründetes Unternehmen, das eine Navigationsapp fürs Radfahren in Städten entwickelt hat. Weiters produziert BikeCityGuide eine Smartphonehalterung fürs Fahrrad. Das Unternehmen möchte dazu beitragen, Radfahren attraktiver zu machen und versteht sich als Sprachrohr der FahrradfahrerInnen.

Lisa Rücker

Es ist ein österreichisches Spezifikum und ziemlich anachronistisch, dass hier das Auto immer noch die am besten "geschützte Art" ist. Frau/Mann muss nicht nach Kopenhagen fahren, um aktive und bewusste Politik für eine gerechtere Raumverteilung zu erleben. Ganz einfach, weil Radfahren als wünschenswert und nicht als störend empfunden wird.
Rundherum in unseren Nachbarländern wird Stadt neu gelebt und erlebt. Auch Dank einer logischen Neuverteilung des Raumes zugunsten menschlicher Fortbewegung und Begegnung.
Ohne Angst werden Begegnungszonen, autoarme/freie Zonen ausgebaut und den Menschen der öffentliche Raum zurück gegeben - und das politisch breit getragen (siehe Lubljana, Barcelona etc.)
Bei uns hingegen wird um jeden cm gefeilscht, als ginge es um das nackte Leben und am Ende gewinnt meist der Platz für das fahrende und (vor allem!) stehende Auto.
Als ehemalige Verkehrsreferentin weiß ich, wovon ich rede - leider blieb ich nicht nur politisch oft alleine, manchmal fehlte mir auch eine deutlich hörbare öffentliche Meinung für eine andere Mobilitätspolitik in unserer Stadt.
Viele gute Ideen, konkrete fachlich einwandfreie (und oft gar nicht teure) Konzepte und eine Stadt mit idealen Vorbedingungen (!) - aber wenig Mut bei den politischen Mitbewerbern um dann auch entsprechend die notwendigen Beschlüsse mitzutragen. Geradezu irrational war z.b. die Diskussion um die Radanhänger, die ich fördern wollte. Der Förderung wurde von den anderen Parteien nicht zugestimmt, weil es so "gefährlich" sei. Wahrheit ist wohl: weil die RadlerInnen noch (!) mehr Platz genommen wenn sie mit Anhängern fahren, was sie ja zum Glück trotzdem tun....
Ich bin froh um jede Initiative in diese Richtung und habe auch deshalb die Einfüjhrung des Graz-City-Guides aktiv und gerne unterstützt und nutze ihn selbst regelmäßig, in Graz, Wien, Salzburg, etc. Über mein Umweltressort gibt es außerdem einige Radförderungen, auf die ich an dieser Stelle hinweisen will: Lastenrad, Serviceboxen, Fahrradabstellboxen etc. siehe unter
http://www.umwelt.graz.at/cms/ziel/4919547/DE/

Mo. 20/04/2015 1:19 Permalink
Laukhardt

Eine der gefährlichsten "Routen" ist die Mandellstraße, wo sich der nicht unbedeutende Radverkehr (TU!) mit Pkws/Lkws ständig duelliert! Von der Theorie (Leitlinien) abgesehen: wie ließe sich das Problem lösen? Ich habe vorgeschlagen, eine Parkspur aufzulassen und dafür beiderseits Radfahrstreifen anzulegen. Die dabei verloren gehenden Parkplätze könnte man in den umliegenden Straßen (z.B. der Lessingstraße) durch Einbahnregelungen mit Schrägparken ersetzen. Ist das denkbar? Und wenn nein: wie kann man das Problem anders lösen? Die Ersatz-Route über die Rechbauerstraße betrachte ich dabei nicht als taugliche Lösung.

Mi. 08/04/2015 11:00 Permalink
Georg Schrutka

Antwort auf von Laukhardt

Danke für Ihre Beobachtung und den Hinweis. Die Fahrspuren in der Mandellstraße besitzen anscheinend jene Breite, bei der in der Verkehrsplanungsrichtlinie vor Radfahren im Mischverkehr gewarnt wird. Ein ganz pragmatischer Ansatz für mehr Sicherheit des einzelnen Radfahrers ist, die (vorgeschriebenen!) Abstände zu den parkenden Autos einzuhalten um die Autofahrer zu einem sauberen Überholvorgang anzuhalten. Selbstverständlich ist das keine zufriedenstellende Lösung.
Daher finde ich Ihren konkreten Vorschlag gut und es wäre wert ihn auszuprobieren. Auch in z.B. Kopenhagen wurden viele Maßnahmen nicht von heute auf morgen umgesetzt. Sie wurden ausprobiert und wenn sie sich bewährten beibehalten. Ich würde einen mutigen Versuch an dieser Stelle begrüßen.

So. 12/04/2015 1:51 Permalink
Georg Schrutka

Ein Ort der für beide bisherigen Artikel von mir zum Thema symptomatisch ist, ist die Kreuzung Glacisstraße/Elisabethstraße/Wilhelm-Fischer-Allee.
Bewegt man sich hier am Radweg dem Stadtpark entlang und möchte die Wilhelm-Fischer-Alee überqueren, so gibt es eine Ampel für Radfahren und Fußgänger. Diese schaltet gemeinsam mit der Ampel für den MIV auf der Glacisstraße Grün. Während die Autos aber eine geraume Zeit fahren dürfen, ist für Fußgänger und Radfahrer nach kurzer Zeit wieder Schluss. Es wäre evt. einzusehen, wenn Fußgänger und Radfahrer vor dem Rechtsabbiegeverkehr in die Wilhelm-Fischer-Allee fahren dürften, um diese nicht durch Rechtsabbieger zu gefährden, was aber nicht der Fall ist. Der Status quo bevorteilt, auf einer zum Innenstadt-Radwegsring gehörenden Kreuzung, eindeutig den MIV.

So. 12/04/2015 2:08 Permalink

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