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Kolumne
Privatissimum vom Grilj

„Mit einem Kunstwerk muß man sich
verhalten wie mit einem großen Herren:
nämlich sich davor hinstellen und warten,
daß er einem etwas sage.“
Arthur Schopenhauer

„Die großen Herren sterben aus,
und die Bilder schweigen.“

Henning Ritter

„Es ist mir zumute wie einer Schachfigur,
von welcher der Gegenspieler sagt:
Mit der Figur kannst du nicht ziehen.“
Kierkegaard

„Wer sich alles merken wollte, was ihm
zugestoßen ist, wäre reif für die Psychiatrie.“
Hans Magnus Enzensberger

„Was ich noch zu sagen hätte
dauert eine Zigarette
und ein letztes Glas im Stehn.“
Reinhard Mey

Ohne Titel

Ein gutes Jahrzehnt lang war ich so etwas wie Kurator der Arbeiterkammer Steiermark. Jetzt lege ich das Amt zurück, aus gesundheitlichen Gründen. Nein, das ist keine verlegen-verlogene Floskel aus dem politischen Jargon, es sind tatsächlich gesundheitliche Gründe: von COPD im progredienten Stadium über Polyneuropathie bis hin zum zermürbenden und entwürdigenden Zipperlein – eben das Wechselgeld für ein in seiner Art gelebtes Leben. Ich könnte die Arbeit nicht mehr so machen, wie ich es will und wie man es soll. Der Schritt somit eine Frage der Redlichkeit.

Ich habe so um die vier-fünf Dutzend (?) Ausstellungen verantwortet (bin ich nicht ein sehr schlampiger Archivar meines Tuns?), wählte Künstler aus und war in vielen Ateliers – ach, die Atmosphäre dieser geradezu heiligen Stätten! Dann kam etwas Pressearbeit hinzu, die Koordination mit den Eigen- und Gegebenheiten der komplexen Institution selbst und dann das gemeinsame Hängen der Werke – ach, die solidarische Stimmung solcher Nächte, da wachsen Freundschaften! Schließlich hatte ich bei der Vernissage meine Elogen, Vermittlungen, Ausführungen und Hymnen vorzutragen, tunlichst abseits des Kuratorenkatalogjargons und gern auch launig, zur Freud´ und Ehr´ der eigenwilligen Künstler und zur unterhaltsamen Zuwendung an die versammelte Gemeinde. Dann galt das Buffet als eröffnet. Und ich sah, dass es gut war.

(Eine Prise Eigenreklame darf zum leisen Abschied sein. Etliche der Vernissagen-Vorträge sind in meinem bei Leykam erschienenen Für Euch – Reden zu Toten, Reden zu Kunst, Reden zu Festen versammelt. Das vorangestellte Motto lautet übrigens: Wer sich nicht verbeugen kann, bleibt klein.)

Der ursprüngliche Gedanke, den mein Konzept von „Kunst werden“ verfolgen wollte: auch den Prozess des Werdens und Entstehens zu betonen und miterleben zu lassen – nicht nur das Fertige zu präsentieren. Basierend vielleicht auf der Faszination des Unvollendeten und Wachsenden, welche die Rubens´schen Ölskizzen auf mich ausüben. Dafür schien gerade die Arbeiterkammer – wo es ja um das Schinden und Rackern und Verwirklichen geht – der optimale Ort zu sein. Dabei wollte ich die Blickwinkel weit öffnen und – nur als angedeutetes Exempel – circa so vorgehen: Zeigen, was eine Kostümbildnerin des Schauspielhauses in der Kantine so nebenher für den Macbeth auf eine Serviette kratzelt, dann die weiteren Skizzen, Entwürfe, Entwicklungen ihrer Vorstellungen auf Papier, schließlich den Schnitt aus der Schneiderei. Und in der Hans-Resel-Gasse sollte dann auch das fertige Kostüm hängen, neben Fotos der Aufführung. Optimal war in diesem Sinne der Beweis der Entscheidungen – 33 Architekturprojekte von Werner und Gerald Wratschko, wo sich das Werden des Werks von der ersten flüchtigen Idee über die detaillierten Pläne bis zum Foto des schlüsselfertigen Gebäudes nach- und mitvollziehen ließ. Für diese Schau kamen Architekturstudenten aus Linz und Wien in Bussen angereist. Alfred Resch hat ein großformaties Ölbild coram publico erst bei der Vernissage vollendet und es gleichsam gehäutet, Walter Felber hat während meiner Rede Leute karikiert...

Sonst ließ sich die Darstellung des Arbeitsvorgangs eher selten wie gewünscht verwirklichen. Die wenigsten Künstler lassen sich gern über die Schulter schauen. Und sie zwecks Präsentation um etwas Unfertiges zu bitten... Das wäre, als hätte man Franz Schubert den Satz in den Mund geschoben: „So, jetzt hab ich die Unvollendete fertig und kann endlich zum Heurigen gehen!“ Manchmal behalf man sich zwecks Dokumentation mit Fotos aus dem Atelier, um auch das Auratische der Werkstatt fühlen zu lassen. Worauf es mir aber letztlich  ankam: dass die eingeladenen Künstler etwas davon hatten. Obwohl diese „Galerie“ keine Verkaufsgalerie ist, haben mache doch manches verkauft. Und was mir jetzt durch den Sinn geht: Was ich alles noch tun wollte, aber nicht getan hab. Es hat sich eben nicht ergeben wollen.

Die Heimat von „Kunst werden“ ist das geräumige Foyer in der Arbeiterkammer in Graz, ein nüchterner Eingangs-, Auskunfts- und Wartebereich. Hier thronen die Telefonistinnen, hier warten Klienten darauf, sich im Gespräch mit den jeweiligen Fachreferenten und Beratern Rat und Hilfe zu holen. Es sind Leute, die um den Lohn geprellt werden oder Mobbing erleiden. Ausgebeutete Lehrlinge. Frauen, die Belästigungen und Erpressungen ausgesetzt sind. Kunden, denen man fiese Verträge untergejubelt oder schadhafte Waren angedreht hat... Lauter Leute mit Anliegen oder Wunden, denen in ihrer Befindlichkeit die Kunst kaum ein brennendes Anliegen ist. Sie erscheint ihnen vielleicht sogar als Zumutung. Und so habe ich es auch gesehen, nur anders gepolt: Zumutung in jenem Sinne, als sie Mut zuspricht und den Stolz auf das Erreichte vermittelt. Dabei – eine zugegeben gewagte Beschwörug – kann die Begegnung mit der Vielfalt der Malereien, Zeichnungen und Fotografien jenen Schalter in mir umlegen, den der Romantiker Joseph von Eichendorff in seinem Vierzeiler besingt:
 „Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst du nur das Zauberwort.“

Letzteres gilt es bekanntlich in vielen Bereichen des Lebens und Lassens und Tuns immer wieder zu treffen. Auch beim Auslassen.

Verfasser / in:

Mathias Grilj

Datum:

Tue 16/07/2019

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Kommentare

Wer sich nicht verbeugen

Wer sich nicht verbeugen will, bleibt aufrecht (und damit groß) lieber M.Grilj. Sie sicher auch.

verbeugen

Ääääch - wenn ich mich (nur ein Beispiel von sehr vielen) vor Hannah Arendt verbeuge, dann mache ich mich damit nicht klein - ganz im Gegenteil.
Dann habe ich nichts eingebüßt, sondern gewonnen.
Jaja, ich weiß, die Zeiten und Stimmungen sind nicht danach, man muß sich nun vor lauter Selbstverwirklichung auf die eigene stolze Schulter klopfen. Und eine Hannah Arendt - dies so nebenbei - bekäme als erstes zu hören: "Hier herrscht Rauchverbot!"

Infobox

GAT veröffentlicht in der Kolumne Privatissimum vom Grilj jeden dritten Dienstag im Monat Texte zum Nachdenken.

Zur Person
Mathias Grilj (* Kamnik, SLO) lebt als freier Journalist und Schriftsteller in Graz.

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