19/08/2014

Privatissimum vom Grilj

Jeden 3. Dienstag im Monat

Mathias Grilj (* Kamnik, SLO) lebt als freier Journalist und Schriftsteller in Graz.

Schauen, was sie machen
Gledat, kaj delajo

Einblicke in die slowenische Geschichte und Kultur in der Steiermark / Vpogledi v slovensko kulturo in zgodovino na avstrijskem Štajerskem

verschiedene Autoren
Različni avtoriji
218 S./s.
DE, SLO, A3, € 25.00

19/08/2014
©: Mathias Grilj

Vom Schwappen und Werden und Wehmut von Grenzen

Graz, eine sehr österreichische Stadt:
südlich, italienisch, slowenisch.
Heimito von Doderer

Rettet die Tiger!
Aussterben tut weh.
World Wide Fund for Nature

Erkenntnis ist ein schönes
Mittel zum Untergang.
Nietzsche

Vor der jüngsten Publikation des Kulturvereins Pavelhaus zu Laafeld bei Bad Radkersburg - Schauen, was sie machen. Einblicke in die slowenische Kultur und Geschichte der Steiermark - habe ich an Sokrates gedacht, wieder einmal. An sein "Ich weiß, dass ich nichts weiß."

Dass das einsilbige "Graz" vom slowenischen Zweisilber "Gradec" - kleine Burg - kommt, weiß ich. Auch dass Deutschnationale jene Version hätscheln, bajuwarische Siedler hätten hier mit dem Bau einer Siedlung begonnen und dabei gemeint "Grääth´s, so grääth´s!" Ach, ja? Den von Elisabeth Arlt zweisprachig herausgegebenen Band schmücken nämlich etliche steirische Ortsnamen, samt deren slowenischer Verwurzelung. Und diese Fülle verblüfft sogar Bilinguale. In Leibnitz steckt "lipa", die Linde, im Toplitzsee "toplo" - warm, in Peggau die "peča" - Felswand, in Schladming "slap" - der Wasserfall, am Präbichl geht offenbar der Wind - der Luftzug heißt "prepih", und die verbalen Kuriositäten Großklein und Kleinklein sind ja nicht kurios, sie liegen auf "glina" - Tonerde.

Wussten Sie, dass die Moserhofgasse in Graz noch in den 30-er Jahren "windische Herrengasse" genannt wurde? Weil dort so viele Slowenen lebten, dass der Passant kaum ein deutsches Wort ...
... dass die Eltern des Dichters, Ethnologen und Erstkämpfer für das "Forum Stadtpark" Alois Hergouth (1925 - 2002)  daheim in der Moserhofgasse nur slowenisch - abfällig windisch genannt - ... ?
... dass der Grazer Fahrradpionier und Fabriksgründer Johannes Puch (1862 - 1914) als Slowene Janez Puh geboren... ?

Die Beiträge des großformatigen 230-Seiten-Bandes behandeln umfassend den Einfluss des Slowenischen auf das steirische Leben, auf Kultur, auf die Handelsbeziehungen, Verkehrswege, die Musik. Man erfährt von regen und oft verzweifelten Aktivitäten der Bildungs- , Gesang- und Sportvereine, vom tapferen Versuch der slowenischen Studentenschaft, als solche akzeptiert zu werden, von der - nach 1918 - stillschweigenden Abschaffung des Slowenischen innerhalb der Kirchen, man erfährt von der Grausamkeiten des Lebens an dieser Grenze des Misstrauens, nicht nur in der Nazizeit und im Krieg, es ging ja schon früher los. Dann, als wollten sich die Autoren selbst mit etwas Optimismus wappnen, berichten sie gleichsam erleichtert von einer Normalisierung der Beziehungen, von Hanns Korens Trigon-Gedanken, der Slawistik an der Grazer Uni, sogar vom slowenischen Lesesaal mit seinen 2000 Bänden. Nichts darf zu klein sein, um nicht als Wink der rosenfingerigen Göttin der Morgenröte begrüßt zu werden. Dazu nickt man als Leser mit einer gewissen Melancholie... Es hat ja etwas von wunschvoller Beschwörung.

Ein gutes Dutzend biografischer Skizzen macht zudem deutlich, dass die Risse zwischen Nationalitäten, zwischen ländlicher und urbaner Bevölkerung,  nationalistischem politischen Druck und dem Wunsch nach wirtschaftlicher Prosperität nicht nur durch Sippen, Familien und Generationen gehen, sondern auch durch die Menschen selbst. (Dies en passant als ein nachdenklicher Aspekt zur derzeitigen hilflosen österreichischen Integrationsdebatte, die das Heil im Deutschzwang gefunden zu haben glaubt und dabei - bewusst oder nicht - noch mehr an der Zertrümmerung traditioneller Familienstrukturen der Zugereisten arbeitet, als es die Arbeitswelt schon tut.
Und: hätte Alois Hergouth seine sanften Gedichte geschrieben, wenn seine Mutter "Mama lernt Deutsch" absolviert hätte? Man sollte sich in diesem wichtigen Buch die Nazi-Plakate anschauen. Damals war es der Faschismus. Was ist es jetzt?
Über die Modalitäten sollten wir nachdenken und über all das, was man schlapprig Integration nennt.
Für dieses en passant in der Klammer werde ich von Lesern wohl Ohrfeigen kassieren... )

Die Biografien demonstrieren auch, wie sehr das kulturelle Leben von Gemeinden und ganzer Landstriche oft von Kraft, Vision und Beharrlichkeit Einzelner abhängt. In der Steiermark sieht man es ja an etlichen kulturellen Institutionen von Pischelsdorf über Mürzzuschlag bis Deutschlandsberg. Meist stehen - und fallen - solche Einrichtungen mit einer Persönlichkeit. Erfolgreiche Hofübergaben sind selten. 
Die Beiträge meist bewährter und bekannter Forscher und Publizisten sind durchwegs fundiert und spannend, die Fakten wissenschaftlich belegt und mit dem entsprechenden Apparat versehen, bei manchen wünschte man sich manches aber doch etwas ausführlicher und präziser dargestellt. Was bei diesem Buch, das mir wert und wichtig ist, besonderen Eindruck macht, ist die gekonnte grafische Gestaltung, bei der es auch Kartenwerke, Tabellen und Diagramme sowie Faksimile von der "Tagespost" bis zu Ausweisen, Fahrplänen, Naziplakaten und Familienfotos ansprechend unterzubringen galt. Matjaž Wenzel aus Maribor ist das gelungen.

PS: Nur damit es offen auf dem Tisch liegt und niemand sagt, ich machte hinterrücks Propaganda - ich mache sie nämlich vorderrücks: ich bin dem Pavelhaus auch freundschaftlich verbunden. Und in seiner Schriftenreihe ist, wenn ich schon bei Propaganda bin, mein Buch erschienen: 40 Tage Pathos - Übungen in Achtsamkeit

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