13/05/2013

C34
Carnerigasse 34, 8010 Graz
92 Wohneinheiten
Baubeginn: Mai 2013
Fertigstellung: Ende 2014
Bauherr: Diözese Graz-Seckau

Flur 20
Flurgasse 20, 8010 Graz
25 Wohneinheiten
Baubeginn: Herbst 2011
Fertigstellung: Herbst 2012
Bauherr: Wegraz

13/05/2013

C34: Bestandsgebäude und Zubau an der Ecke Theodor-Körner-Straße / Carnerigasse.

©: INNOCAD Architektur
©: Redaktion GAT GrazArchitekturTäglich

C34: Hofansicht des Zubaus, links der neu verkleidete Pavillon.

©: INNOCAD Architektur

C34: Erdgeschoß-Grundriss.

©: INNOCAD Architektur

Die über die Geschoße von C34 verteilen Gemeinschaftsräume.

©: INNOCAD Architektur

Knallgelb wohnen: Flur 20.

©: paul ott photografiert

Ein Teil des von Innocad entwickelten Modulsystems.

©: INNOCAD Architektur

Die vielen feinen Variationen in den Grundrissen erkennt man in den Grundrissen von EG und Regelgeschoß.

©: INNOCAD Architektur

Monochrom und markant.

©: paul ott photografiert

Vom Wohnen in Gemeinschaft und eingefrorenen Varianten:
C34 und Flur 20

Wenn es um Wohnbau geht – wie in den letzten Wochen erfreulicherweise auch außerhalb der Fachmedien – dann ist meist von Zahlen die Rede: von steigenden Immobilienpreisen, unerschwinglich werdenden Mieten und der skurrilen Situation einer nicht zweckgebundenen Wohnbauförderung, hin und wieder auch von Ausbaustandards und Energieeffizienz. Über eines wird jedoch viel zu selten gesprochen, weil es schwer in Zahlen zu gießen ist: Qualität. Architektonische Qualität und Wohnqualität, die sich im Idealfall gegenseitig bedingen. Projekte, die die Entstehung einer Gemeinschaft unterstützen, Grundrisse, die zugleich flexibel und individuell sind, sich ihren Bewohnern anpassen und ihnen die Möglichkeit zur Identifikation geben, erfordern Engagement und Innovation. Sie sind das Metier oft kleiner, oftmals junger Architekturbüros.
Die Grazer Architekten von Innocad beziehen mit zwei Projekten – eines wurde vor Kurzem bezogen, am anderen wird gerade gebaut – mit zwei sehr unterschiedlichen Ansätzen zum oft gesichts- und ideenlosen Einheitsbrei des steirischen Wohnbaus Stellung.

C34
Anfang Mai war Baubeginn in der Carnerigasse, wo unter dem Namen C34 bis Ende 2014 92 Wohnungen errichtet werden, die der Idee des individuellen Wohnens in Gemeinschaft folgen. Ein in Besitz der Diözese Graz-Seckau stehendes, ehemaliges Schulgebäude aus dem Jugendstil wird adaptiert und mit einem Zubau ergänzt. Die bauliche Heterogenität wird genutzt, um mit unterschiedlichen Wohntypologien eine durchmischte Bewohnerschaft zu erzielen.
Die Herausforderung des, als Schulgebäude mit breiten Gängen und hohen, linear angeordneten Räumen, nicht unbedingt für eine Wohnnutzung geeigneten Altbaus, verwandelt Innocad in eine besondere Qualität:
Der drei Meter breite Gang wird zur Hälfte den Wohnungen zugeschlagen; zwischen der tragenden Wand und der neu eingezogenen Wohnungstrennwand entsteht ein nicht determinierter, nutzungsneutraler Raum – von den Architekten „das Vario“ genannt. Dieser kann als offener Durchgangsraum verwendet werden, als Stauraum, oder zu variablen Teilen Vorraum und Küche zugeordnet werden.
Die regelmäßige Lochfassade wird belassen, hinter den großen Fenstern werden jedoch mehrere Loggien eingefügt, die als Hybridraum zwischen innen und außen vermitteln und als Schall- und Wärmepuffer wirken. Mit einem, an die nicht mehr erhaltenen Jugendstil-Friese des Bauwerks erinnernden Kastanienblatt-Muster bedruckte Sonnenschutzpanele finden sich sowohl vor den Fenstern des Bestands als auch an der Fassade des Neubaus. Dieser beherbergt rund 60 Wohnungen mit Größen zwischen 30 und 110 m2 und im Erdgeschoß barrierefreie Einheiten für betreutes Wohnen.
Ein bestehender Pavillon im Hof konnte in seiner Kubatur erhalten werden und unterstützt den Übergang zwischen der geschlossenen Gründerzeit-Bebauung und der kleinteiligeren, offenen Bebauung nördlich des Grundstücks. Im Kontext der übergeordneten Idee des Projekts bietet er Raum für mehrere Gemeinschaftseinrichtungen.
Welche das im Detail sein werden, wird partizipativ erarbeitet, betreut vom Soziologen-Team von SCAN (Agentur für Markt- und Gesellschaftsanalytik). Von Innocad vorgeschlagen sind ein Indoorspielraum, eine Werkstatt und ein Veranstaltungsraum, wobei die generationenübergreifende Nutzung – stereotyp Senioren, die auf die Kinder alleinerziehender Mütter oder Väter aufpassen, während diese für sie den Einkauf der schweren Mineralwasserflaschen miterledigen – ein besonderes Ziel ist.
Für die ebenfalls partizipativ verhandelten Außenanlagen sind die Wiener Landschaftsplaner Land in Sicht verantwortlich. In jedem Stock des Altbaus befindet sich außerdem ein Meetingpoint, Abstellplätze für Fahrräder und Kinderwägen und je ein tageweise anmietbares Gästezimmer oder Home-Office. Ein Fitnessraum mit Sauna sowie eine Waschküche im Souterrain komplettieren das räumliche Angebot an die Bewohner. Die Moderation beginnt mit der Erstvermietung während der Bauphase und läuft dann weiter, bis sich die Bewohner selbst zu organisieren beginnen.

Flur 20
Während bei C34 der Fokus auf der Schaffung einer sozialen Gemeinschaft zwischen den Bewohnern liegt und sich die Flexibilität auf „das Vario“ im Inneren der Wohnungen konzentriert, versuchte Innocad bei dem 2012 fertiggestellten, geförderten Wohnbau Flur 20 einen ganz anderen Weg zu gehen. Und stieß dabei an die (von unflexiblen Förderungsrichtlinien gesteckten) Grenzen bei der Realisierung.
Dem knallgelben Wohnbau ging ein umfangreicher Planungsprozess voraus in dem die Möglichkeiten modularen Bauens ausgetestet und bis ins Detail ausgetüftelt wurden. Das daraus schlussendlich hervorgegangene Gebäude stellt allerdings nur mehr einen eingefrorenen Zustand unter vielen möglichen Konfigurationen modularer Raumelemente dar, die alle innerhalb derselben statischen Primärstruktur möglich wären und eine Flexibilität auch nach der Fertigstellung erlaubt hätten. Aufgrund unflexibler Förderrichtlinien war die Verwirklichung dieses ambitionierten kombinatorischen Systems allerdings nicht möglich. Was jedoch – abgesehen von dem in diesem Prozess erarbeiteten Wissen – daraus resultierte, war eine Variabilität der Grundrisse bis kurz vor Bezug und durch die ausgefeilten Grundriss-Lösungen auch niedrige Baukosten und Mieten. Sogar für gemeinschaftlich nutzbare Räume in Form gedeckter Einschnitte in das Volumen reichte das Budget. Mit einfachen Mitteln wie der monochrom gelben Fassade, massiven Balkonbrüstungen und Außentreppen bietet das Gebäude – ganz innocadtypisch – trotz des knappen Budgets einen hohen Identifikationsfaktor für die Bewohner.

Die beiden, mit viel Herzblut entwickelten Projekte von Innocad zeigen, dass es mehr als nur gute Architektur braucht, um Wohnbauten mit nachhaltigen „Soft Skills“ zu verwirklichen. Und dass die mitbestimmenden Faktoren nicht immer im genuinen Einflussbereich der Architekten liegen. Es braucht Bauherren, die bereit sind, in Maßnahmen wie Moderation zu investieren, um sozialen Mehrwert zu schaffen, die die Entwicklung von modularen Systemen mittragen, um durch Variabilität Wohnungen zu errichten, die dauerhaft zu ihren Bewohnern passen. Und es bräuchte Änderungen und vor allem mehr Flexibilität im Förderwesen (wie sie in anderen Bundesländern teilweise schon möglich ist), um entsprechendes Engagement nicht zu untergraben, sondern tatsächlich zu fördern.

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