09/05/2008
09/05/2008

Lendplatz in Graz - Bushaltestelle

Guten Morgen Lend, 09.05.2008, das Hochhaus am Lendplatz war eines der ersten Hochhäuser in Graz

Bauernmarkt am Lendplatz

Die "Rose am Lend", ein Projekt von Innocad gibt sich noch verhüllt, die "Eros Bar" als letzter alter Zahn in der Baulücke, dahinter ein Aussschnitt des L 45 von Pentaplan.

Beschaulicher Gastgarten der scherbe

4* Hotel neben Abbruchhaus

III Jahre die scherbe

Kaum ein anderer Stadtteil in Graz hat sich in den letzten Jahren so verändert wie die Gegend rund um den Lendplatz. Das will mit einem ordentlichen Wirbel vom 16.- 18. Mai gebührlich gefeiert werden.

"Die kulturellen Fließgeschwindigkeiten laufen nicht mehr nur in eine Richtung. Sie gehen nach vorn und zurück zugleich und VERWIRBELN sich in konfuzianischen Kreolen, um ein Bild Salman Rushdis zu verwenden, beschleunigt durch die Auflösung der sozialen Milieus und Klassen." Vor nunmehr neun Jahren sprach die Kulturanthropologin Elisabeth Katschnig-Fasch im Rahmen eines Kongresses genau jene Phänomene des Veränderungsprozesses mitteleuropäischer Städte an, wie wir sie heute im Lend, präziser gesagt rund um den Lendplatz vorfinden: die "Gleichzeitigkeit von prinzipieller Ungleichzeitigkeit".Was ich damals lediglich intellektuell erfasste, ist mir mittlerweile zur vertrauten Alltäglichkeit geworden. Damals entschied ich mich wohl eher unbewusst dafür, genau dorthin, eben hierher zu ziehen, was Katschnig-Fasch als postmodernes Begehren bezeichnet: Auf der Suche nach Authentizität bewohnen, -arbeiten, -spielen wir, die einen, was man in den 1970er Jahren noch als Schandfleck bezeichnete, weil wir hier noch "das Leben zu riechen glauben". Gleichzeitig - parallel dazu hat sich die Welt der anderen, der Menschen aus einer anderen Welt, der Flüchtlinge und Migranten etabliert. Was uns verbindet ist das, was in den 1990er Jahren als Neo- oder Halbnomaden in die Nomenklatur der Soziologie Einzug gefunden hat. Die Alteingesessenen, die diese Kulisse auch benötigt, die für eine gewisse Stabilität haften, sind aber auch temporär Raum Nutzende, die einen auf der einen, die anderen auf der anderen Seite des ältesten Gewerbes der Welt, denn seitdem ich vor sieben Jahren hier eingezogen bin, sind die Erotic-Center, Night-Clubs etc. die einzigen, die noch immer dort sind, wo sie immer waren und sich mitunter vergrößert haben, während andere Läden, Firmen und sogar Österreichs auflagenstärkste Zeitung das Weite suchten.

Mittlerweile wird wild gebaut und während einerseits Baulücken beinahe genauso schnell geschlossen werden wie sie entstehen - abseits jeglicher Bedachtnahme auf architektonische, städtebauliche Zusammenhänge - brauchen manche länger und da passiert es schon, dass sich besagte unterschiedliche Gleichzeitigkeiten sozusagen Tür an Tür begegnen: Während Geschäftsreisende im **** Hotel absteigen, steigen Obdachlose im benachbarten Abbruchhaus ein. Und dazwischen gibt es wie überall die bemerkenswerten Bauten, in diesem Falle ein ganz gewöhnliches Stadthaus, nennen wir es L45 oder doch Fell7 (wie Lendplatz 45 oder Fellingergasse 7), das mit seinem bewussten Nichtspektakulären ganz selbstverständlich auf die sich verändernden Bedürfnisse der Stadt, ihrer Teile und Bewohner reagiert. Seit fünf Jahren mischen sich hier betreute Wohnformen mit Büros für Softwareentwickler, der Plattform betreutes Wohnen, Penthousewohnungen, Pierre´s Bar und nicht zu vergessen mit dem Büro der Architkten Pentaplan. Normale Architektur eben, die das "Fleisch der Stadt" ausmacht, wie es Architekt Wolfgang Köck bezeichnet.

Erst in den letzten Jahren, spürbar verstärkt mit dem Hype des Jahres Graz 2003 und der damit geschaffenen Kultuachse Kunsthaus, Camera Austria, HDA, Grazer Kunstverein sowie Medienturm Zentral hat sich zwischen Mariahilferstraße und Lendplatz eine kleine aber virulente kreative Szene angesiedelt und etabliert.
"Abseits offizieller politischer Strategien von Wirtschaftsförderung und Standortmarketing wird hier gearbeitet und produziert und in den beliebten neuen Lokalen vernetzt und diskutiert. Träger dieser urbanen Renaissance sind die kreativen Menschen und Aktivisten, die den Stadtraum und die bauliche Struktur für sich entdecken, nutzen und beleben. Man kennt sich. Man trifft sich. Man tauscht sich aus. Vernetzung wird hier aktiv gelebt. Und dadurch entsteht Flair in Stadt." Lokal Heroes - Stadtinterventionen
Straßenfest im Rahmen der Architekturtage 2008

Dass sich diese dichte Packung an Straßenfest, Interventionen im öffentlichen Raum, Symposion Lokal Heroes, Ausstellungen und vielem mehr mit den österreichweit stattfindenden Architekturtagen vernetzt, liegt wohl darin begründet, dass die federführenden Akteure zum Großteil aus der Architekturszene kommen: Aus der Bürogemeinschaft GAFT in der Mariahilferstr. 32, Elisabeth Oswald und Gottfried Prasenc, weiters SAIKO.CC, Harald Saiko und SCAN, Rainer Rosegger. Für das Straßenfest Lendwirbel zeichnet Feinkost Royal – www.lendwirbel.at - verantwortlich und selbst mir als Bewohnerin fiele es schwer alle Teilnehmer aufzuzählen. Aber wozu gibt es das Netz? Alle Aktivitäten finden Sie auf den jeweiligen Homepages (siehe unten angeführte Links).

Und auch wenn ich es im Moment genieße, hier zu wohnen und zu arbeiten, sehe ich hier ein Konfliktfeld der Zukunft, wenn die Parallelwelten, die heute noch nebeneinander funktionieren, die Verwirbelungen unterschiedlicher Kulturen und Interessen beginnen, aufeinanderzutreffen...
Aber das ist wohl eine andere Geschichte!

Nun, aber lasst uns feiern - nicht erst nächste Woche, denn heute feiert eine Institution Geburtstag, die nicht unwesentlich zum Flair hier beiträgt: die scherbe wird 3! Mit Binder und Krieglstein. Herzlichen Glückwunsch.FREITAG, 16. MAI bis 18. MAI 2008
LOKAL HEROES -AUSSTELLUNGEN UND STADTINTERVENTIONEN
Eine praktische Auseinandersetzung
Bezirk Lend zwischen Südtirolerplatz und Lendplatz, 8020 Graz

„Lokal Heroes“ ist eine Veranstaltung von AG Goldene Engel, freigangproduktionen, Institut für Raumgestaltung der TU Graz, lebidris, MARS 32, Kunstverein Medienturm, Pentaplan, WSKKFV, zweintopf und weiteren Aktivisten dieses Bezirkes, Koordination: GAFT

Verfasser/in:
Ute Angeringer-Mmadu, Kommentar
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