14/03/2013

Ausstellung:
Berlinde De Bruyckere
Leibhaftig. In the Flesh
14. Februar - 12. Mai 2013
Kunsthaus Graz, Space01

14/03/2013

Berlinde De Bruyckere: Actaeon, 2011/12, Detail

©: Wenzel Mraček

Berlinde De Bruyckere: Actaeon, 2011/12, Wachs, Holz, Textilien, Epoxidharz, Eisengestell

©: Berlinde De Bruyckere

Berlinde De Bruyckere: Liggende, 2011/12, Wachs, Holz, Epoxidharz, Baumwolle, Wolle, Eisengestell

©: Wenzel Mraček

Das Kunsthaus Graz zeigt jüngste Arbeiten der belgischen Biennale-Vertreterin Berlinde De Bruyckere.

Man ist an ein Gedicht Rainer Maria Rilkes erinnert, das wahrscheinlich angesichts eines im Louvre befindlichen Torso des Apoll entstand:

Wir kannten nicht sein unerhörtes Haupt,
darin die Augenäpfel reiften. Aber
sein Torso glüht noch wie ein Kandelaber,
in dem sein Schauen, nur zurückgeschraubt,

sich hält und glänzt. …

… denn da ist keine Stelle,
die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern.

Als lebte die kopflose Skulptur, meint sich der Dichter in Betrachtung zugleich von ihr beobachtet und fragt, angesichts der so kunstfertigen und dennoch leblosen Plastik, nach dem Leben überhaupt.
Ganz ähnlich dürfte es wohl den meisten Besuchern im Kunsthaus Graz ergehen, die vor den Exponaten der Ausstellung Leibhaftig. In the Flesh stehen – Arbeiten der Belgierin Berlinde De Bruyckere aus dem Zeitraum 2001 bis 2013,  Abformungen menschlicher Körper in Wachs, das Inkarnat blass schimmernd, Torsi, ohne Kopf jeweils – plastische Bilder von Körpern im Übergang zwischen Leben und Tod.

Mythos und Bild
Es sind Assemblagen, in denen De Bruyckere hyperreale Wachs-Abformungen von menschlichen Körperteilen, Geweihstangen und vertrocknetem Holz mit Textilien und Bindschnüren kombiniert. Arrangiert auf Holzpodesten, Kisten, die einmal für Kunsttransporte verwendet wurden, wirken die Plastiken zunächst so erschütternd wie faszinierend. Es geht im Grunde, erzählt Berlinde De Bruykere, um Transformationen in mehrfachem Sinn.
Der Versuch einer Interpretation führt in Richtung einer bildlichen Übertragung des Lebendigen in die materialbedingt nun umso fragilere Form und damit in eine Gegenposition zur klassischen Sentenz, dass die Kunst länger währt als das Leben. In der Geschichte der Kunst gilt Wachs als minderes Material, das vor allem beim Entwurf von Skulpturen, Bozzetti, verwendet wurde. Für De Bruyckere, die sich nach ihrem Kunststudium in Genf an der Arte Povera, konkreter Kunst bzw. an Louise Bourgeois orientierte, wird der flüchtige Werkstoff Wachs zum Sinn gebenden, der für die Fragilität des Kunstwerks und seiner Beziehung zum nicht minder flüchtigen Motiv des Lebens selbst steht. Actaeon (2011/12) ist eine – man könnte sagen Zustandsaufnahme in Anlehnung an Zustandsdrucke bei der Fertigstellung einer Druckgrafik – Version des in den vergangenen Jahren mehrfach bearbeiteten Themas. In den Metamorphosen des Ovid wird der Jäger Aktaion von der Göttin Artemis in einen Hirsch verwandelt, weil er sie beim Bad beobachtete. Darauf zerreißen seine Hunde den Jäger in Gestalt des Hirsches:
Und zerfleischen den Herrn im Bilde des trügenden Hirsches.
Erst, wie am Ende geflohn durch vielfache Wunden das Leben,
Ruhte der Zorn, wie man sagt, der köchertragenden Göttin.

Auch die in vier Plastiken präsentierte Serie Liggende (2011/12) rekurriert sichtlich auf den Mythos, indem Fragmente eines menschlichen Körpers zunehmend von den Attributen des Hirsches durchwachsen erscheinen – Vanitasbilder jeweils und der Zeit adäquates Memento mori.

Bezüge
Arrangiert von der Künstlerin und der Kuratorin Katrin Bucher Trantow, verweist die Schau Leibhaftig auf die Auseinandersetzung Berlinde De Bruyckeres mit den Körperbildern eines Lucas Cranach d. Ä. Eine Aquarellserie, Jelle Lupard (2004), rekurriert auf Cranachs Schächer am Kreuz, der wiederum in plastischen Darstellungen, wie dem kleinen Torso Aanéén-genaaid (2002), zu erkennen ist. Andere Bezugspunkte sind Filme von Pasolini respektive die anatomischen Wachsabformungen im Florentiner Kabinett La Specola und dem Wiener Josephinum.
Das „Gewicht“ adäquater Materialien belegt De Bruyckeres jüngstes Werk mit dem offenbar emotionalen Titel my deer (2011-2013). Die Abformung eines kopflosen Rehs, ausgeführt in Eisenguss, liegt auf einem Metalltisch. Künstlich korrodiert, wirkt was einmal Fell war, verblüffend lebensecht.

Internationale Beachtung fanden die Arbeiten der Belgierin, als sie 2003 im italienischen Pavillon auf der Biennale in Venedig gezeigt wurden. Für die diesjährige Biennale ist sie als Vertreterin Belgiens nominiert. Auf ihren Wunsch fungiert der Literatur-Nobelpreisträger J.M. Coetzee als Kurator.

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