30/04/2016

Ausstellung in Graz:
Das gute alte West-Berlin

Günter Brus und das Berlin der 1970er-Jahre

Kuratiert von Roman Grabner

bis 10. Juli 2016

im BRUSEUM, Neue Galerie
Joanneumsviertel, Graz
Die–So, 10:00-17:00 Uhr

Ausstellung in Berlin:
Günter Brus. Störungszonen
Martin-Gropius-Bau Berlin
12. März bis 6. Juni 2016
s. Link unten: berlinerfestspiele.de

30/04/2016

Günter Brus beim Presserundgang. Wie immer seiner Zeit voraus.

©: Emil Gruber

Günter Brus, 'Das gute alte West-Berlin', 2016 – Tusche auf Papier, 29,7 x 21 cm

©: BRUSEUM/Neue Galerie Graz

Großformatiges Faksimile der Ansichtskarte von Gerhard Rühm

Brus und Freunde, Ausstellungsansicht

©: UMJ/J.J. Kucek

Joseph Beuys, Freude am Einkauf, DDR-Papiertüten, Ausstellungsansicht

©: UMJ/J.J. Kucek

Schastrommel mit Holzeinband-Variante

©: Emil Gruber

Tomas Schmit, 'der grüne durchschlupf von der anekdote zur sache', 1974,
Bleistift, Farbstift und Tusche auf Paper, 61 x 43 cm, tomas schmit archiv, Berlin

Brus als junger Kafka, Gerhard Rühm als Mutter, Bleistiftzeichnung

©: BRUSEUM/Neue Galerie Graz

Gerhard Rühm, Hommage an Lucio Fontana, 1970

©: Emil Gruber

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(Gerhard Rühm)

Günter Brus und das Berlin der 1970er Jahre

1969. Das Kesseltreiben der Boulevardpresse hatte im vielerorts noch gottbegnadeten Zugang zur Kunst in Österreich gefruchtet. Günter Brus wurde wegen „Herabwürdigung österreichischer Symbole und Verletzung der Sittlichkeit und Schamhaftigkeit“ zu sechs Monaten Haft verurteilt. Die Fürsorge drohte, seine zweijährige Tochter Diana wegzunehmen.
Da erreichte ihn eine Ansichtskarte aus West-Berlin.

Sein bereits dort lebende Freund Gerhard Rühm schlug vor, die aufsehenerregende Aktion mit der Bundesflagge Österreichs an der Universität Wien als ein Manifest des Weggehens zu wiederholen. „Schei… auf Österreich“.

Günter Brus setzte den größten Einschnitt in seinem bisherigen Leben. Er verließ Österreich, flüchtete nach West-Berlin.
Menschlich eine Tragödie – das Ehepaar Brus war praktisch mittellos – bedeutete die Vertreibung für die Entwicklung des Künstlers einen Glücksfall.

"Ich empfand Berlin auf Anhieb als eine Art Heimat, zumindest als einen Gipsverband nach einem schweren Hals- und Beinbuch."
(Brus in seinem autobiographischen Erzählband: Das gute alte West-Berlin)
 
Die Emigration hieß Wiedersehen mit anderen gleichgesinnten, experimentierfreudigen und lebenswilden Könnern. Oswald Wiener war kurz vor Brus schon aus Wien geflüchtet. Als ein Teilnehmer an der Universitätsaktion drohte auch ihm eine Haftstrafe. Nun war er Gastwirt.
Sein Lokal hieß Exil und lag am Paul Lincke Ufer des Landwehrkanals in Kreuzberg. Im Hinterzimmer gärte die österreichische Szene.

Gemeinsam mit Otmar Bauer, Gerhard Rühm und Hermann Nitsch, der immer wieder nach Berlin zu Besuch kam, riefen Brus und Wiener die „österreichische Exilregierung“ aus. Die Schastrommel  wurde zum legendären „Zentralorgan“ der Gruppe.

Der Aktionismus wurde langsam zu Grabe getragen, die Bilddichtungen begannen an dessen Stelle zu treten.
Viele Arbeiten entstanden gemeinsam, kein beweglicher Gegenstand, kein Baubestandteil waren vor Kunst sicher.
Rechnungszettel, Tischtücher, Deckenfresko, die Exilanten produzierten ununterbrochen und ruhelos, nicht selten tage- und nächtelang.

Deutsche Kunstgrößen wie Joseph Beuys, Markus Lüppertz, Siegmar Polke oder Tomas Schmit erweiterten den Feuerkreis.
Der geniale Friedhofsgärtner Armin Hundertmark wurde bei den Künstlern vorstellig, um sie für seine Idee einer Kunstschachtel zu gewinnen. Die in kleinsten Auflagen produzierten Editionen enthielten teilweise Originale und haben heute am Sammlermarkt Kultstatus.

Dem Bruseum im Joanneum ist mit Das gute alte West-Berlin eine umfassende und vergnügliche und überbordende Zeitreise durch die Kreuzberger Nächte (und Tage) von Günter Brus und seinen engsten Weggefährten gelungen.
Der Kurator Roman Grabner legte dabei viel Wert auf Fundstücke, die bisher selten bis gar nicht in Ausstellungen zu sehen waren.

So finden sich seltene mit Holz- oder Plexiglas-Einbänden gestaltete Sonderausgaben der Schastrommel in der Schau.
Eine von Brus und Wiener als Zeichentrickfilm gestaltete Variante über das Biertrinken feiert seine öffentliche Premiere.
„Malduelle“ zwischen Brus und Christian Ludwig Attersee, bei denen wechselseitig auf einem Blatt gezeichnet wurde, sind zu sehen.
Von Beuys gesammelte und signierte DDR-Papiereinkaufstüten füllen eine Wand, ein großformatiges Stahlhelmthema von Markus Lüpertz eine andere. Musik ist zu hören, Kochrezepte können memoriert werden.
Ein leicht zu übersehendes Ausstellungsobjekt mag augenzwinkernd auch als Brus' Aufbruch aus dem Aktionismus hin zur Malerei gedeutet werden: Ein Pflaster als Hommage an Lucio Fontana, signiert von Gerhard Rühm.


Das BRUSEUM / Neue Galerie Graz zeigt bis 10. Juli 2016 die von Roman Grabner kuratierte Ausstellung Das gute alte West-Berlin – Günter Brus und das Berlin der 1970er-Jahre.

Nahezu zeitgleich wird im Berliner Martin-Gropius-Bau die Ausstellung Störungszonen als erste Ausstellung des Künstlers in Berlin gezeigt, die in Kooperation von Nationalgalerie-Staatliche Museen Berlin, Martin-Gropius-Bau und BRUSEUM/Neue Galerie Graz, entstanden ist. (s. auch Link berlinerfestspiele.de rechts)


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