15/11/2007

Handbuch zum Stadtrand
Gestaltungsstrategien für den suburbanen Raum

Herausgeber
Vittorio Magnago Lampugnani und Matthias Noell
Birkhäuser, Basel März 2007

Die Autoren
_ Vittorio Magnago Lampugnani, ordentlicher Professor für Geschichte des Städtebaus an der ETH Zürich.
_ Matthias Noell, Assistent am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur, ETH Zürich.
_ Gabriele Barman-Krämer, Anne Brandl und Patric Unruh arbeiten als wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für Städtebau des Netzwerkes Stadt und Landschaft, ETH Zürich.

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15/11/2007

Die in letzter Zeit wieder aufflammende Beschäftigung mit den Speckgürteln (Reinhard Seiss, Wien) bzw. den ausufernden Stadtlandschaften (Oliver Bormann, Berlin), ist Anlass, sich einer wissenschaftlichen Studie zu widmen:

„Suburbaner Raum und städtische Gestaltung schienen sich gegenseitig lange Zeit auszuschließen. Die fortschreitende räumliche Durchdringung von Stadt und Umland macht eine Auseinandersetzung mit Gestaltungsfragen jedoch dringlicher denn je“. Aus diesem Bewusstsein heraus gaben der Autor Vittorio Magnago Lampugnani und sein Team ein Handbuch heraus, das Strategien für den Umgang mit der Peripherie aufzeigt und die Diskussion zwischen Bewohnern, Planern und Entscheidungsträgern erleichtert.
Die Autoren stellen zwei grundsätzliche Positionen fest, aus denen der suburbane Raum gesehen wird. Die eine sieht in ihm nichts als einen Unort ohne soziale und architektonische Qualität, während die andere ihn als Stadtform der Gegenwart durchaus faszinierend finden. Warum trotzdem an Gestaltung gedacht werden sollte, begründet Lampugnani mit der Tatsache, dass in diesen Räumen zwar viel gebaut, aber kaum in Zusammenhängen gedacht und geplant wird, geschweige denn landschaftsschonend umgegangen wird, wodurch wiederum enorme Folgekosten entstehen.
Das wichtigste Argument gegen die diffuse Verstädterung, die weder städtisch noch ländlich ist, zugunsten kompakt artikulierter Lebensräume, ist aber demografischer Natur: Die Einwohnerzahlen Europas stagnieren oder gehen zurück, weshalb es um innovative Bewirtschaftung des Vorhandenen und nicht um Expansion geht. Laut Lampugnani werden sich Städtebauer auf ihre Bestimmung der räumlich anspruchsvollen Gestaltung unserer Umwelt zu besinnen haben. Dem schöpferischen Akt vorausgehend, schlägt er methodische Arbeit am Fundus bewährter Stadtarchitektur vor. Jenseits subjektiver Geschmacksneigungen und ästhetischer Vorlieben birgt die Geschichte der Stadtarchitektur den Schlüssel zur reflektierteren Bewertung heutiger Projekte. Den suburbanen Raum betreffend, werden zum Beispiel Planungen des frühen 20. Jahrhunderts von höchster stadträumlicher Qualität, wie Hampstead Garden Suburb bei London von Parker&Unwin zitiert und analysiert, um sie für heutige Planungen nutzbar machen zu können.
Leider zeigten diese frühen Beispiele wenig Wirkung. Vielmehr explodierten Städte nicht aus den Zentren herauswachsend, sondern in aufgelockerten, verstreuten Strukturen. Heute leben etwa zwei Drittel der europäischen Gesamtbevölkerung in diesen Strukturen, genannt „Zersiedelung“, „Siedlungsdispersion“ oder „Urban Sprawl“, ergänzt durch die Zwischenzone zwischen Stadt, „Suburbia“ und Landschaft, die „Exurbanity“, die gegenwärtig am schnellsten wächst.

Lampugnanis Handbuch knüpft an das breit diskutierte aber kaum umgesetzte Postulat Kevin Lynchs in seinem Buch "The Image of the City" an, in dem dieser nach identitätsstiftenden Zeichen und Großformen in nordamerikanischen Agglomerationen suchte und zu neuen Gestaltungsprinzipien und urbaner Erfahrungsdichte aufrief
Die Autoren der vorliegenden Publikation konzentrieren sich jedoch auf den suburbanen Raum und seine Defizite im Hinblick auf stadträumliche Aspekte. Ohne das Stadtzentrum nachahmen zu wollen, werden fünf Strategien - *Schaffung von Identifikationsorten, *Verdeutlichung von Grenzen, *Vernetzung, *Schaffung von Kohärenz und *Stärkung des öffentlichen Raums - vorgeschlagen, die von den inneren Qualitäten des Raums heraus entwickelt werden, um die Wertigkeit der Peripherie an die des Zentrums heranzuführen. Die Umsetzung der vorgeschlagenen Strategien wird freilich - um das gesteckte stadträumliche Ziel zu erreichen - auch technische, funktionale, ökonomische, soziologische und politische Maßnahmen erfordern.
Beispiele typischer Situationen aus der Geschichte der Stadt werden auf ihre Strategien hin untersucht, auf ihre Tauglichkeit zur Lösung der Probleme der Peripherien überprüft, ausgewählt und mittels Bildbearbeitungen den speziellen Situationen überlagert. Eine Methode, die laut Eigendefinition der Autoren wegen der Gefahr der Imitation riskant erscheint, hier aber bewusst verwendet wird.
Das Handbuch will keine Entwurfslösungen vorstellen, sondern Gestaltungsstrategien vorschlagen, die nach erfolgter Analyse des Raums vor dem Entwurf ansetzen, der durch sorgfältiges Abwägen der strategischen Hilfsmittel optimiert wird. Eine Methode, die selbst Le Corbusier aus seinem umfassenden Wissen der Baukunst heraus pflegte.

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