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Interview
Graz-Reininghaus: Der unwahrscheinliche Schritt vom Siedlungsbau zum Städtebau

Wenn die Grazer BürgerInnen von 29. Juni bis 12. Juli 2012 über den Ankauf der Reininghausgründe durch die Stadt Graz abstimmen sollen, dann sind die Hintergründe dazu im Wesentlichen unklar. Der Kauf der Liegenschaften könnte große Gestaltungsmöglichkeiten mit sich bringen. Ob und wie die Stadt diese nutzen möchte, wurde bislang aber nicht kommuniziert. Der veröffentlichte Rahmenplan sowie wenige Schaubilder, welche in den Medien gezeigt werden, lassen weder auf Innovation noch auf Urbanität schließen. Dieses Ergebnis ließe sich bei einer aktiven Stadtplanung auch ohne die finanzielle Beteiligung der Stadt erzielen. GAT hat mit Arch. DI Johannes Fiedler über die möglichen Szenarien gesprochen.

GAT: Vom 29. Juni bis zum 12. Juli 2012 wird die Bevölkerung der Stadt Graz gefragt, ob die Stadt sich am Kauf der Reininghausgründe beteiligen soll. Welche Auswirkungen hat der Kauf? Was ist das Kriterium, ob man für oder gegen das Engagement der Stadt stimmen soll?

Fiedler: Letztlich hängt es davon ab, was die Stadt dort vor hat. Was wird mit dem Ankauf erzielt, das die Entwicklung dort besser macht, als sie sonst stattfinden würde.
Der einzige Grund, den Ankauf zu unterstützen wäre, wenn die Stadt dort eine öffentliche Stadtentwicklung gewährleisten würde. Aber das müsste ganz anders aussehen, als das was landläufig von Genossenschaften und Bauträgern gemacht wird. Da müsste ein ganz anderes Ergebnis herrauskommen.

GAT: Ist derzeit absehbar, dass bei Beteiligung der Stadt so ein Ergebnis angestrebt wird?

Fiedler: Nach dem, was man derzeit sieht und liest leider nicht. Es wird von Einkaufszentren gesprochen, von Genossenschaften, die schon Interesse angemeldet haben. Wenn man nach dem geht, dann ist damit zu rechnen, dass hier ein paar Wohnanlagen und einige Gewerbegebäude entstehen werden und das war's dann, aber das ist nicht "Stadt" – kein innovativer, neuer Stadtteil.

GAT: Hätte die Stadt Graz auch ohne sich einzukaufen Möglichkeiten, die Entwicklung der Reininghausgründe positiv zu beeinflussen?

Fiedler: Ich glaube, dass die Raumordnungsinstrumente nicht dazu geeignet sind, eine gänzlich andere Qualität zu erzeugen. Sie können ein Mindestmaß an Qualität absichern, aber beispielsweise die Erzeugung urbaner Kleinteiligkeit, in dem Sinne, dass unterschiedliche Menschen und unterschiedliche Formen der Bauproduktion dort Platz finden könnten, das kann man damit nur schwer beeinflussen. Über die Widmung lassen sich Funktionen und Dichten festlegen, im Rahmen des Bebauungsplanes können gewisse Geometrien festgelegt werden, aber für einen kleinteiligen Produktionsmodus fehlen eigentlich die Instrumente.

GAT: Bestünde nicht die Möglichkeit, im Bebauungsplan durch die Festlegung von Bauplätzen stärker einzugreifen?

Fiedler: Diese Möglichkeit besteht grundsätzlich, die Bauplätze werden aber in der Praxis nur anlassbezogen und nach dem Wunsch der Bauherren festgelegt. Teilungen der Bauplätze sind bei den Bauherren naturgemäß nicht erwünscht. Bei uns ist die Praxis nicht etabliert, dass die Behörde Bauplatzgrößen oder Bauplatzgrenzen gegen den Willen der Eigentümer durchsetzt. Die Bauplatzgrößen sind allerdings wählbar, wenn die Stadt Graz Eigentümerin wäre. Dann ließe sich vorgeben: Auf den Reininghausgründen ist kein Bauplatz größer als beispielsweise 1.500m2, weil wir das so wollen, im Sinne einer vielfältigen, kleinteiligen Stadt. Bei einem anderen Eigentümer sehe ich die Möglichkeiten nicht gegeben.

GAT: Erkennen Sie seitens der Stadt Signale, dass eine derartige Entwicklung betrieben werden könnte?

Fiedler: Das Bewusstsein dafür, dass die Größe von Bauplätzen, die Kleinteiligkeit und die Körnung ganz wesentliche Qualitätskriterien für Stadtraum sind, das ist noch nicht verankert, weder bei den PlanerInnen, noch bei den großen ImmobilienentwicklerInnen, die das als Bedrohung ihres Geschäftsmodells betrachten. Da müsste die Stadt eine Vorreiterrolle übernehmen, mit Verweis auf bereits praktizierte Beispiele beispielsweise in Deutschland. In Tübingen, in Hamburg bei der Hafencity, in Kassel usw. wurde der parzellenbezogene Städtebau wieder eingeführt. Dazu müssten seitens der Stadt einige überkommene Vorstellungen abgelegt werden.

GAT: Wie beurteilen Sie die Willenserklärung der Stadt, unter dem Schlagwort "Smart Cities" gestalten zu wollen? Neben dem Pilotprojekt, welches auf dem Areal um die Listhalle entstehen soll, werden auch die Reininghausgründe im Kontext von "Smart Cities" genannt.

Fiedler: "Smart Cities" ist eine Worthülse, die immer dann aus dem Hut gezaubert wird, wenn man eine möglichst positive Stimmung vermitteln will, aber es hat konkret keinen Inhalt. Die "Smart Cities" Idee wurzelt in den USA, in den Visionen von Al Gore und kommt aus den Städten an der Westküste, die als Gegenmodell zur Stadtentwicklungspolitik der Bush Regierung dienten. Dort wurde die Idee entwickelt, dass vor allem basierend auf Umwelttechnologien und auf öffentlichen Verkehrsmitteln eine intelligente Stadt entstehen könnte, die einen Schritt besser sein solle als die übliche amerikanische Stadt. Im Wesentlichen handelt es sich um eine Assoziation mit Technologie und das ist meiner Meinung nach irreführend und gefährlich. Die technologische Aufrüstung von Bauten und von Stadtgebieten ist an sich eine gute Sache, nur wenn sie letztlich dazu führt, dass große, technisch, wirtschaftlich und städtebaulich geschlossene Anlagen entstehen, dann ist das kontraproduktiv für die Stadt. Wenn sich das "Smart Cities"-Modell mit einer städtebaulichen Kleinteiligkeit vereinbaren lässt, dann wäre das eine gute Sache.

GAT: Lässt sich das vereinbaren oder widerspricht die Kleinteiligkeit den neuen Technologien?

Fiedler: Das widerspricht sich nur dann, wenn diese Technologie privatwirtschaftlich organisiert ist. Wenn es eine öffentliche Infrastruktur gibt und öffentliche Netzwerke, wie Fernwärme, Fernkühlung oder etwa ein thermischer Ausgleich zwischen unterschiedlichen Stadtgebieten, dann ist das jedenfalls mit Kleinteiligkeit vereinbar. Da spielt auch der Verkehr eine Rolle. Der Fokus könnte auf den öffentlichen Verkehr in Verbindung mit Parkhäusern gelegt werden, sodass nicht jedes Haus eine eigene Tiefgarage benötigt, sondern eine öffentliche Infrastruktur zum Parken bereitgestellt wird. Es benötigt ein Bekenntnis zur öffentlichen Lösung von infrastrukturellen Erfordernissen.

GAT: Das "Smart Cities" Projekt bei der Helmut-List-Halle soll als Pilot- und Leitprojekt funktionieren. Startet das Projekt der Reininghausgründe zu früh, wenn die Erkenntnisse aus "Smart Cities" dort angewandt werden sollen?

Fiedler: Ich halte nichts davon, ein Projekt zum Leitprojekt hoch zu stilisieren. Innovative Projekte sollen ruhig nebeneinander blühen und sich entwickeln. Ich glaube auch nicht, dass man Graz-Reininghaus zum Leitprojekt für Technologien ernennen soll, sondern es soll dort ein hohes Maß an Normalität einkehren. Die Normalität bestünde darin, dass dort viele Häuser nebeneinander gebaut werden.

Verfasser / in:

Martin Brischnik

Datum:

Tue 26/06/2012

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JOHANNES FIEDLER geboren in Wien. Architekt Dipl. Ing. (Architektur), TU Graz, 1988, Dr. techn. (Städtebau und Zeitgeschichte), TU Graz, 2001. Praxis bei Domenig/Eisenköck und Klaus Kada in Graz. Geschäftsführer Europan-Österreich (1993-1997), Berater in internationalen Projekten der Stadt- und Raumentwicklung im Auftrag der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit und der Europäischen Kommission; Mosambik, Südafrika, Palästina, Cabo Verde. Berater des Stadtentwicklungsprojekts Aspern Seestadt in Wien. Studios in Graz und Wien. Lehraufträge im Fach Städtebau an der TU Wien, der Universität Graz, der FH Joanneum Graz und an der TU Braunschweig. Seit 4/2010: interimistischer Leiter des Lehrstuhls für Städtebau an der TU Braunschweig

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