26/05/2009

Vorträge der Soziologen Isabel Burtscher und Andrej Holm zu Stadtteilerneuerungen in Graz und Berlin.

26/05/2009

Isabel Burtscher und Andrej Holm. Foto: wm

Stadtplan Graz-Lend (zur Vergrößerung auf das Bild klicken)

Stadtplan Prenzlauer Berg, Berlin (zur Vergrößerung auf das Bild klicken)

Ein dominantes Thema der Stadtsoziologie ist der Prozess der Aufwertung innenstadtnaher Wohngebiete, die oft auch Innenstadtergänzungsgebiete genannt werden. Der Topos „Gentrifizierung“, hervorgegangen aus Beobachtungen in den Metropolen Nordamerikas, meinte ursprünglich die Aufwertung von bis dahin als nicht hochwertig erachteten Quartieren, gleichwohl geprägt durch ihre Funktion als Wohnbereich mit (Klein-) Gewerbestruktur. Der gegenwärtige Gebrauch der Bezeichnung Gentrifizierung dagegen betrifft vor allem die Wiederaufwertung ehemals wohlhabender Viertel, die zumeist infolge wirtschaftlicher Neuorientierungen und damit einhergehender Stadtstrukturierung vernachlässigt worden waren. Gentrifizierung unter diesem Aspekt kommt einem veritablen Euphemismus gleich, der umgangssprachlich weit deutlicher mit „Yuppisierung“ gleichzusetzen ist.

Nach dem auf GAT schon zusammengefassten Vortrag des Hamburger Soziologen und Stadtteilaktivisten Peter Birke folgten im zweiten Teil der Reihe die Ausführungen der Grazer Soziologin Isabel Burtscher und des Berliners Andrej Holm unter dem Titel „Bleiben wir alle?“. Veranstaltet wurden die Vorträge von Projekt A-Z – Initiative für ein autonomes soziales Zentrum, die in den letzten Jahren durch mehrere Hausbesetzungen in Graz nicht allein auf sich aufmerksam gemacht hatte, und dem Kunstverein .

Im Rahmen eines Forschungspraktikums 2008/09 am Institut für Soziologie der KF-Universität untersuchte ein Team um Isabel Burtscher von BewohnerInnen und Geschäftsleuten wahrgenommene Veränderungen im Grazer Mariahilferviertel, das spätestens mit Eröffnung des Kunsthauses einen vor allem sichtbaren Wandel erfahren hat und der sich deutlich bis in den Bereich des Lendplatzes vollzogen hat. Hauptaugenmerk erfuhr in dieser Studie die so genannte Creative Class, also etwa „Grafikdesigner, Architekten oder Menschen, die mit alternativen Geschäftsideen versuchen, in diesen Stadtteilen neue Akzente zu setzen“. Deutlich wird die Veränderung einer Bevölkerungsstruktur und die zunehmende Aufmerksamkeit und Frequenz, die damit dem Bereich Mariahilferviertel aus dem Umfeld zuteil wird. Auch vermehrte Medienpräsenz und Berichterstattung führen zu einem Imagewandel respektive zum Charakter des „trendigen Viertels“. Wenn man nun, wie Burtscher es nennt, die Akteure dieser Creative Class als „Stadtteilpioniere“ verstehen will, stellt sich allerdings bald die Frage, wie weit diese selbst an einer Yuppisierung beteiligt sind, wenn der Imagegewinn durch deren Engagement auch Investoren auf den Plan ruft. Wenngleich sich derzeit noch keine gravierenden Umschichtungen der Bevölkerung ablesen lassen – hoher MigrantInnenanteil, vergleichsweise noch erschwingliche Mietpreise etc., obwohl Abwanderung von MigrantInnen im Umraum des Kunsthauses festgestellt wurde und dort die Mietpreise nach Renovierungen gestiegen sind – zeigt sich dagegen an Vergleichen mit anderen Städten, dass Stadtteilpioniere schließlich selbst verdrängt werden wie ehemals ansässige Kleingewerbebetriebe und einkommensschwache BewohnerInnen. Typisch für einsetzende Gentrifizierung, führt Burtscher aus, sei eine wirtschaftliche Talsohle im Mariahilferviertel zu Ende der 1970er Jahre gewesen. Leerstehende Geschäftslokale seien in den 1990er Jahren zunehmend und aufgrund niedriger Mietpreise wieder in Betrieb genommen worden, ein massiver Aufschwung sei ab Ende der 1990er Jahre zu verzeichnen, massiv im Umfeld des Kunsthauses. Stadtplanerische Umgestaltung der Mariahilferstraße in eine Fußgängerzone, die Neugestaltung von Mariahilfer- und Lendplatz oder der Mursteg machten gesteigerte Frequenz mit Veranstaltungen wie Jazzsommer oder Lendwirbel erst möglich. So allerdings für Stadtteilpioniere aus der besagten Creative Class ursprünglich die Vielfalt, die Heterogenität und zu erwartende steigende Frequenz im Mariahiferviertel Anreiz war, sich hier anzusiedeln, so geht aus von Burtscher geführten Interviews hervor, dass sich nach Meinung der Akteure durch zunehmende Ökonomisierung gerade ihrer Wirtschaftsformen eine Tendenz zur Gleichförmigkeit abzeichnet. Und einige dieser Pioniere überlegen bereits eine Standortverlegung – mehrmals wird der Bezirk Gries genannt. Als Schluss, den Burtscher aus dieser Recherche um engagierte Stadteilaufwertung und das folgende Abwandern ihrer Pioniere zieht, ist ein dem Umfeld des Komplexes Gentrifizierung einzugliederndes Phänomen, das sie „Gentrification light“ nennt.

Ein nachgerade als klassisch zu bezeichnendes Beispiel für Gentrifizierung beschreibt Andrej Holm, Berliner Aktivist und Forscher an der Humboldt-Universität, am Fall der Kampagne „Wir bleiben alle!“ in Prenzlauer Berg. Den Pionier-Begriff beschreibt Holm in der Tat aus der Siedlerbewegung der USA stammend. Im Zusammenhang mit Gentrifizierung geht mit den Pionieren zunächst eine „symbolische“ Stadtteilaufwertung einher, die nachweislich über mehrere Phasen das Interesse von Stadtplanern und Investoren erst weckt. Einschneidendes und für den zentralen Berliner Stadtteil spezifisches Ereignis war die Wiedervereinigung 1989, nach welcher der bis dahin als Randbezirk erachtete und in seiner Bausubstanz über etwa 60 Jahre vernachlässigte Stadtteil nun Innenstadtbereich wurde. Zu den bisherigen Bewohnern kamen neue, angezogen von niedrigen Mietpreisen für durchwegs Substandard-Wohnungen in zentraler Stadtlage. Infolge Renovierungsmaßnahmen wurde die größtenteils gründerzeitliche, aber heruntergekommene Bausubstanz großräumig wieder zu „gut bürgerlicher“ aufgewertet. Die Mietkosten wurden angehoben, Eigentumswohnungen zum Kauf angeboten. Die logische Konsequenz – wie auch am Hamburger Stadtteil Elbinsel schon im vorhergehenden Vortrag von Peter Birke beschrieben – war und ist der „Wandel einer Bevölkerungsstruktur“ wie es so schön heißt, tatsächlich die Verdrängung einkommensschwacher Schichten an die Peripherie. Dieser Wechsel vollzog sich in Prenzlauer Berg innerhalb der letzten fünfzehn Jahre. Aus der Sicht von Bürgerinitiativen, erzählt Holm, war dieser Prozess abzusehen. Wer aber sollte davor gewarnt werden, wenn die Interessen der Stadtverordneten und Investoren gerade auf dieses Ziel gerichtet waren? Versprechen einer „sozialen und behutsamen Erneuerung“ erweisen sich aus gegenwärtiger Sicht als Beruhigungsmaßnahmen.

Inzwischen sind in Prenzlauer Berg circa 75 Prozent der alten Bausubstanz auf einen sehr hohen Standard gebracht. Diese Entwicklung hatte zur Folge, dass eines der preiswertesten Berliner Quartiere inzwischen zu einem der teuersten „erneuert“ wurde. Die durchschnittlichen Einkommen der Bewohner zu Beginn der Erneuerungen lagen bei 70 Prozent des Berliner Durchschnitts, derzeit liegt das Durchschnittseinkommen bei 130 Prozent. Nur noch 15 Prozent der zu Anfang der 1990er Jahre in Prenzlauer Berg Wohnenden leben dort immer noch. Damit kann die so genannte „Stadtteilmobilisierung“ als gescheitert betrachtet werden.

Immerhin und resümierend beschreibt Andrej Holm Gentrifizierung als „diskontinuierlichen Prozess“ und er führt seine von anderen Stadtsoziologen gestützte These an, „dass letztendlich die Art der Ökonomie, also der wohnungswirtschaftlichen Interessen, entscheidend ist, welche Phase – Pioniere etwa – gerade für die Aufwertung eines Stadtteils maßgebend ist“.

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