25/07/2019

gemeinsam wohnen erforschen –
damals. heute. morgen

Kommentar von Elisabeth Anderl zur Präsentation & Diskussion im HDA am
10. Juli 2019

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25/07/2019

Großer Andrang am 10. Juli 2019 vor dem HDA in Graz ...

©: Thomas Raggam

... und volles Haus ...

©: Thomas Raggam

... als Andrea Jany ...

©: Thomas Raggam

... und das 'wohnlabor' ...

©: Thomas Raggam

... ihre Publikationen präsentierten ...

... und mit ExpertInnen diskutierten.

©: Thomas Raggam

Partizipation im Wohnbau

In der zweiten Juliwoche 2019 wurden zu diesem Thema zwei Bücher im HDA vorgestellt. 40 Jahre nach Fertigstellung der Atriumhöfe in Raaba und zehn Jahre nach der Gründung der ARGE W:A:B – Wohnbau:Alternative:Baugruppen – erlebt das Thema „partizipatives Wohnen“ eine Renaissance. Wenn es auch um W:A:B ruhiger geworden ist, ist die Teilhabe an der Produktion des eigenen Wohnraums und Wohnumfeldes ein Thema, das in Zeiten des nur von Kosten, Technik und Rendite bestimmten Wohnbaus immer noch brennt.

Beide Bücher erforschen die Mitbestimmungsmöglichkeiten im Wohnbau. Während Andrea Jany das „zum Mythos verklärte“ (A. Wagner) „Experiment Wohnbau“, das im Modell Steiermark gipfelte, auf Grundlage ihrer Dissertation zu einem Nachschlagwerk über den experimentellen Wohnbau der letzten Jahrzehnte des 20 Jahrhunderts in der Steiermark machte, gehen die Mitglieder des wohnlabors mit frischer Kraft, Neugierde und Umsetzungsstrategien an die Partitzipation heran.

Die ARGE wohnlabor ist eine engagierte Gruppe Studierender und Absolventen der TU Graz, die das Gelernte noch mit internationalen Erfahrungen ergänzen – zur Zeit befinden sich die einzelnen Mitglieder in Island, Hongkong, Graz und Stinatz. In ihrem Buch ergänzen sie ihre Erkenntnisse aus dem einwöchigen Workshop im letzten Sommer im HDA, wo sie Beteiligungsprojekte und Beteiligungsverfahren einer interessierten Öffentlichkeit nahebrachten und Antworten auf die Fragen „wie wollen wir in Zukunft wohnen?" und „wie können wir gemeinsamen Wohnraum gestalten?“ erarbeiteten, mit exemplarischen nationalen und internationalen Fallbeispielen.

Partizipationverfahren fordern Antworten auf die immerwährenden Fragen der Entscheidungsfindung und der gestaltenden Teilnahme der Bewohnerinnen an Planung und Formfindung, auf die jede Generation der Bauinteressierten und ArchitektInnen eigene Antworten sucht und findet. Und, obwohl allen bewusst ist, dass alle Beteiligten im Partizipationsverfahren ohne stringente Strukturen zu viel Energie verbrennen, versuchen viele das Rad neu zu erfinden. Schließlich haben seit den ersten Experimenten im Modell Steiermark partitzipationserfahrene Büros nun doch verallgemeinerbare Methoden für strukturierte Partizipationsprozesse entwickelt, von denen wir lernen können.
Dabei handelt es sich auch um Konsensfindungsmethoden, die ganz generell Entscheidungsprozesse entkrampfen können und wohl auch der einen oder anderen herkömmlichen Wohnungseigentümerversammlung ein Ergebnis abringen würden.

An diese Methoden denkt auch Andrea Jany, wenn sie von Instandhaltung und notwendiger energetischer Sanierung bei den 28 Projekten, die in den 70er bis 90er Jahren im Rahmen des Modell Steiermark entstandenen sind, spricht.
So vielfältig die Projekte sind, so vielfältig sind auch die Herausforderungen, denen sich die BewohnerInnen stellen müssen. Wie die Häuser, sind auch sie gealtert und Veränderungen in der Nutzung und BewohnerInnenstruktur verlangen Antworten. Die Häuser müssen adaptiert und Instandgehalten werden und neue BewohnerInnen, die nicht im Prozess mitgewachsen sind, müssen auf den gemeinsamen Weg mitgenommen werden.
Für ihre sorgsame Sanierung bedarf es aber einer allgemeinen Wertschätzung, wie auch für die Neuerrichtung gemeinschaftlichen Wohnanlagen und die Kultur des gemeinschaftlichen Bauens und der Partizipation. Es bedarf einer gesellschaftlichen und politischen Übereinkunft über den Wert dieser sozialen Zellen und "Wahlfamilien", denn – wie Robert Temel betont – gemeinschaftliches Bauen ist eine Haltung zur Produktion und nicht zum Konsum. Aber gleichzeitig zeigt er auch einen Ausweg, denn es kann auch trotz halbherziger politischer Unterstützung eine rege Baugruppenszene entstehen – wie Berlin beweist, wo es gelungen ist, mit methodischen Strukturen gemeinschaftliches Bauen zu professionalisieren.

Als ARGE W:A:B haben wir zwischen 2008 und 2013 die Vielfalt und die Möglichkeiten des selbstermächtigten und partizipativen Bauens in Artikelserien, Vorträgen, Workshops, Diskussionen und einer Publikation vorgestellt. Unsere Wanderausstellung gemeinsam bauen wurde in ihren Stationen durch lokale Projekte ergänzt und ein Symposium an der TU Graz mit Experten aus Österreich, Deutschland und der Schweiz zeigte die pragmatische, systematisierte Umsetzung auf.
Wir freuen uns über jeden Mitstreiter! Daher wünschen wir den jungen Kollegen und Kolleginnen, dass endlich auch in der Steiermark zu einem professionalisierten Verfahren gefunden wird und damit den an Baugruppen Interessierten die Scheu vor dem Neuland genommen wird. Ein Anfang wurde bereits durch die KooWo in Volkersdorf bei Graz gemacht.

„macht’s weiter!“ forderte bei der Buchpräsentation der ehemalige Landesrat Hermann Schaller die junge Architektengeneration auf und ebenso verlangt er, dass „die Wohnexperimente und die partizipative Teilhabe am Planungsprozess in der öffentlichen Diskussion eingefordert werden müssen!“

Die vorgestellten Bücher

  • Experiment Wohnbau
    Die partizipative Architektur des Modell Steiermark

    Autorin: Andrea Jany
    architektur + analyse, Band 7
    Jovis 2019
    ISBN 978-3-86859-589-5
  • gemeinsam wohnen gestalten
    Workshop & Veranstaltungsreihe 15.–20. Juli 2018
    AutorInnen: wohnlabor (Julia Fröhlich, Rebekka Hirschberg, Anna-Maria Jäger, Matthias Prosekar, Martin Röck, Jomo Ruderer), Eugen Gross, Andrea Jany, Manfred Omahna, Helene Romakin, Aaron Scheer, Robert Temel, Matthias Wild
    Herausgeber: wohnlabor
    136 Seiten, 147 farbige Abbildungen, 15 SW Abbildungen
    Haus der Architektur 2019
    ISBN 978-3-901174-86-5

Am Podium diskutierten

  • Hermann Schaller | Steirischer Landesrat a.D. für Wohnbau
  • Robert Temel | Architektur- und Stadtforscher. Plattform Baukulturpolitik, WoGen
  • Karla Kowalski | Architektin, Künstlerin. Szyszkowitz-Kowalski
  • Thomas Kain | Architekt und Wohnbauforscher. Studio Magic, balloon
  • Andrea Jany | Architektur- und Wohnbauforscherin. akk TU Graz
  • Martin Röck | Architektur- und Nachhaltigkeitsforscher. wohnlabor, AGNHB  TU Graz
  • Moderation: Angelika Hinterbrandner | Architekturschaffende und Redakteurin, ARCH+

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