24/06/2020

gelungen | nicht gelungen 5

GELUNGEN. Das Studentenhaus Hafnerriegel
Hafnerriegel 53, 8010 Graz

Architektur
Werkgruppe Graz, 1963

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In der Kolumne gelungen | nicht gelungen zeigt Architekt und Stadtplaner Bernhard Hafner anhand realisierter Beispiele auf, was aus architektonischer und/oder städteplanischer Sicht in der Stadt Graz gelungen oder nicht gelungen ist.

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24/06/2020

Abb. 1: Studentenhaus 'Hafnerriegel' mit rauchfreier Fluchttreppe aus schalreinem Sichtbeton in strukturgebender Holzschalung

©: WERKGRUPPE GRAZ

Abb. 2: Studentenhaus 'Hafnerriegel', Schnitt und Grundriss Regelgeschoß, 4 Ebenen

©: WERKGRUPPE GRAZ

Abb.3: Auch im Dachaufbau zeigt sich das dynamische Raumkonzept

©: WERKGRUPPE GRAZ

Abb. 4: Studentenheim 'Hafnerriegel', Innenraum Eingangbereich

©: Eckhart Schuster

Abb. 5: Studentenheim 'Hafnerriegel', Innenraum Zweibettzimmer

©: Eckhart Schuster

Abb.6a:  'Hafnerriegel', Grundriss Regelgeschoß mit Berechnung (Bernhard Hafner)

©: WERKGRUPPE GRAZ

Abb.6b: Haus Cortolezis 'C1', Grundriss Terrassenwohnung mit Berechnung (Bernhard Hafner)

©: WERKGRUPPE GRAZ

GELUNGEN. Das Studentenhaus Hafnerriegel der Werkgruppe Graz (1)

  • Auftraggeber: Österreichische Studenten Förderungsstiftung.
  • Planung des Studentenwohnhauses Hafnerriegel samt Gemeinschaftshaus
  • Adresse: Hafnerriegel 53, 8010 Graz
  • Planung: Werkgruppe Graz, Architekten Werner Hollomey, Eugen Gross, Friedrich Groß-Rannsbach, Hermann Pichler. Der Auftrag umfasste die gesamte Planungsleistung samt Bauleitung und Abrechnung.
  • Statik: Ludwig Messerklinger
  • Fimen: Baufirma Eberl, Graz
  • Zeitraum: 1960 – 1963

Die Werkgruppe bildete 1959 sich als Absichtserklärung, beim ersten Auftrag eine Architektengemeinschaft zu begründen (später kam es noch zu einer projektbezogenen Zusammenarbeit bei Wohnbauten mit Walter Laggner und Peter Trummer). Dieser Direktauftrag nach einem gewonnenen Wettbewerb in Wien war 1969 das Studentenhaus Hafnerriegel in Graz. Mit ihm trat die MODERNE ein in das Haus der Nachkriegsarchitektur der Steiermark. Damit würdig, in die Tradition der Jahre 1930 bis 1945 mit Werken der Architekten Rambald von Steinbüchel-Rheinwall: 1933, Neubau der städtischen Gas-, Elektrizitäts- und Wasserwerke (heute: Grazer Stadtwerke) am Andreas-Hofer-Platz, ein Wettbewerbsentwurf, und Einfamilienhausbauten von Herbert Eichholzer, der als der bedeutendste Architekt der Dreißigerjahre in Graz genannt werden kann.
    In ihrem Artikel Studentenwohnheim Hafnerriegel: Der Erstling der Grazer Schule meint Sabine Hain, Bedeutung und Qualitätskriterien des Bauwerkes „seien hinreichend erfüllt, um das Bauwerk der 60er-Jahre zum Denkmal zu erklären: Als bautechnisches Unikat und Lehrstück, als Frühwerk einer international hoch geschätzten lokalen Baukultur unter dem Namen Grazer Schule (siehe Artikelempfehlung unten, Anm. Red.). Es wurde nicht zum Denkmal erklärt, war aber doch ein Denkmal, wenn auch nicht im Sinne des Denkmalschutzes. Jetzt, nach Umbau und Erweiterung ist es auch das nicht mehr, wenn die Erinnerung daran auch noch für den lebt, der Architektur erkennen kann, wenn er sie sieht, und wer Architektur nicht bedarfsbezogen oder als Geschäft versteht. Aber das ist eine andere Geschichte, die sechste der Serie gelungen | nicht gelungen.
    Der Entwurf sah ein Hochhaus mit 18 Geschoßen und einen liegenden Quader als Gemeinschaftshaus vor, bei dessen künstlerischer Ausgestaltung bildende Künstler aus dem Freundeskreis der Werkgruppe mitwirken sollten. Das Hochhaus wurde gebaut, das Gemeinschaftshaus nicht. Ein Vorgriff der Architekten auf die später in Kraft tretenden Brandschutzbestimmungen führte zu einer außen liegenden Fluchttreppe neben dem innen liegenden Haupttreppenhaus. Dieses hob sich in seiner plastischen Form und dem roh belassenen Sichtbeton vom kubischen Baukörper des Studentenhauses ab.
    Die architektonische Form ergibt sich aus der Konfiguration des Hauses mit vier aneinandergereihten Baukörpern als Teilgeschoßen, deren jedes eine Wohngruppe enthält. Diese Teilgeschoße sind um eine vierläufige Stiege mit Aufzug vom Eingang aus viertelgeschoßig versetzt und gegen den Uhrzeigersinn ansteigend. Eugen Gross spricht von einer „Grammatik des Weges“, die, bei der Annäherung des Hauses beginnend, über die Eingangshalle (Abb. 4), die vier Stiegenläufe mit je einer Wohngruppe bis zu den Dachterrassen und über die Freitreppe wieder zurück zum Gelände führt. (2)
    Diese Form ist im Grundriss gut ablesbar (Abb. 2). Dies dadurch, erstens, dass der Wohnteil eines Teilgeschoßes vom dienenden Teil, dem Essplatz mit Kleinküche, Stau- und Sanitärräumen durch einen Erschließungsgang getrennt ist. Außen zeigt sich dies durch eine Verglasung, die Essplatz und Gang belichtet. Der Wohnteil mit drei bis fünf Studentenzimmern erscheint über Eck mit einer massiven Stirnseite, der dienende Teil als Verglasung zur Belichtung von Gemeinschaftsbereich und Gang. Beide sind in ihren unterschiedlichen Funktionen klar ersichtlich. Der Wohnteil tritt mit Fensterbändern und Parapeten in Erscheinung. Sie betonen, wie in der klassischen Moderne, das Horizontale. Dadurch, dass sie dem gegenüber angrenzenden Bauteil viertelgeschoßig versetzt sind, weisen sie durch die Lage der Geschoßdecke darauf hin, dass sie nicht diesem, sondern jenem Bauteil angehören. Sie vermitteln außen die innere Rotation der eine Studentengruppe beherbergenden Bauteile. Die Ablesbarkeit der Form ist somit nicht nur ein formales Prinzip, sondern vermittelt den Inhalt studentischen Lebens in diesem Haus.
    Form, Klarheit des innerer Aufbaus des Projektes und ästhetische Maßnahmen bilden ein gelungenes Ganzes. Die Eleganz der Schlankheit des Turmes ist, zusammen mit der Materialwahl in den Fassaden, ein entscheidendes Merkmal: So fein kann klassische Moderne sein.
    Im Dachgeschoßaufbau wird das Rotationsprinzip nochmals plastisch betont (zum krönenden oberen Abschluss habe ich noch als Student durch Mitarbeit am Projekt und Entwurf des Aufbaus beigetragen. Das gibt mir heute noch ein gutes Gefühl. Andererseits tut es mir weh, das umgebaute Gebäude, ohne diese weit sichtbare "Krone" zu sehen) (3). (Abb. 3)
    Sprechen wir über die Organisation der Wohngruppen und ihre Vorbildwirkung. Hätte ich nicht zuvor in der Serie gelungen | nicht gelungen den Artikel 1 GELUNGEN: Das Haus Cortolezis C1 der Werkgruppe Architekten geschrieben, ich wüsste nicht, dass beide, das Haus Cortolezis und der Hafnerriegel das gleiche Entwurfskonzept teilen. Das, was den Bogen vom Studentenhaus Hafnerriegel zum gut zehn Jahre später geplanten und gebauten C1 spannt, ist die innere Gliederung der Wohnflächen in eine dienende und eine bediente Wohnzone. Eugen Gross war 1957 in der Internationalen Sommerakademie Konrad Wachsmann begegnet, der in den Dreißigerjahren in die USA emigrierte deutsche Architekt, der auch uns Studenten der ersten Hälfte der 1960er-Jahre an der TH Graz als Konstrukteur fantasievoller Tragwerksstrukturen noch gut bekannt war.
    Dazu schreibt Gross: “Dem Entstehen einer Bauaufgabe legte er ein dialogisches Prinzip zugrunde, durch das die am Planungsprozess Beteiligten schrittweise eine als optimal erkannte Lösung gewannen. Nicht das visuell vorweggenommene Werk war das Ziel, sondern das Erkennen der möglichen Wege, die einen Entwurf als flexibles Ziel hervorbringen“ (4). Dieses Prinzip diente in Gruppendiskussion auch den Partnern der Werkgruppe als iterative Annäherung an das Projekt. Dies und die technologische Innovation des mit einer hinterlüfteten Fassade versehenen Hauses – ein internationales Patent wurde erworben – zusammen mit der Schlankheit des Turmes sorgen für Eleganz. Das Ganze ist nicht nur durchdacht, gut und klar geordnet, eigenständig ohne Übernahme von Blasen der Architektursprache. Es ist darüber hinaus eben auch elegant. Rückblickend noch dies, Eugen Gross:
    „HA: Ich möchte dir abschließend noch sagen, wie ich selbst euch damals sah. Für mich wart ihr Architekten, die der guten, österreichischen Tradition der klassischen Moderne hier am nächsten kamen. Einmal das Weiß des Hafnerriegels und der Mensa, als Sichtbeton-Fertigteile mit Weißzement gefertigt. Dann die Liebe zu Ordnung und Geometrie, beispielsweise die Idee, den Grundriss des Hafnerriegels in vier Einheiten einer Schachtel höhenmäßig so zu ordnen, dass jede gegenüber der vorigen um ein Viertelgeschoß versetzt ist. Eine Dynamik setzt sich von innen nach außen fort“.
    „EG: Ich greife dein Wort der klassischen Tradition auf. Es geht um Reduktion statt Fülle. Das Notwendige an Struktur. Um Raum, von dem nichts weggenommen oder hinzugefügt werden kann, ohne ihn zu beeinträchtigen: Sparsamkeit der Mittel. So wenig wie möglich festlegen, um so viel wie möglich zu entfalten.“
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    Dieser Satz ist auch im oben genannten Artikel der Serie gelungen | nicht gelungen über die terrassierten Wohnungen im Haus Cortolezis enthalten, einem Gebäude gut zehn Jahre nach dem Hafnerriegel entstanden. Gehen wir näher auf das diesen Entwürfen gemeinsame Ordnungsprinzip der Grundrisse ein.
    Beide: Dort Terrassenwohnungen, hier Wohngruppen sind in Zonen aufgeteilt. Im C1 folgt einer internen Umweltzone eine Service-, Verteiler-, Wohnzone und eine Terrasse als externe Umweltzone. Sie enthalten die Wohnungserschließung, mit Küche; Bad, WC und Abstellraum, Eingang und Flur für die interne Zugänglichkeit sowohl der Service- als auch der Wohnzone, die Terrassen bedient. Die Wohnzone kann ein Großraum sein oder in einen Wohnraum und Einzelzimmer aufgeteilt sein. Wie machte die Werkgruppe das? Alle dieser Zonen existieren in einem stützenfreien Raum zwischen Stahlbetonscheiben in etwa 10 m Deckenspannweite. Die Wohnzone bietet die Möglichkeit, im Raster von 62,5 cm raumbildende Mobilwände aufzustellen. In 0-Stellung ist er ohne solche Wände.
    Wie machte die Werkgruppe das im Studentenhaus Hafnerriegel? Eine interne Umwelt-/Erschließungszone entfällt, da die Wohngruppen ihren Zugang direkt vom zentralen Stiegenhaus haben. Der Servicezone Kleinküche; Bad, WC und Abstellraum folgen eine Verteilerzone und eine Wohnzone mit Studentenzimmern, deren Einteilung den Abmessungen entsprechend variiert werden kann: 5 Standard-Einzelzimmer, 3 Zweibettzimmer oder 4 größere Einbett- oder kleinere Zweibettzimmer je Wohngruppe und Geschoß. Wenn diese als einzelner Wohnraum ausgebildet wäre, wäre die Verteilerzone Teil davon. Eine externe Umweltzone mit Terrassen ist nicht vorhanden, als solche dient die Dachterrasse. Auch im Hafnerriegel existieren diese Zonen in stützenfreiem Raum innerhalb des Viertelgeschoßes mit einem stützenfreien Raum von 6,60 m Deckenspannweite zwischen Fassadenträger und Innenwand und 12 m Spannweite außen zwischen Stirnwand und tragender Innenwandscheibe des Nachbargeschoßes als frei unterteilbarer Raum. Auch hier gibt es Möglichkeit, im Raster raumbildende Mobilwände aufzustellen. Aus der mir vorliegenden Unterlagen konnte ich ein Rastermaß von 0,8 m ermitteln: 3 Rastermaße ergeben die Breite einer Wohngruppe von 12 m Länge mit 5 Einbettzimmern à 2,40 m, 5 Rastermaße führen zu 3 Zimmern à 4,0 m Achsabstand (Abb. 5).
    Auch die Flächenanteile der beiden Projekte sind ähnlich. Der Anteil der Servicezonen betragen 17 % im Hafnerriegel und 19,4 % bis 21 % bei Terrassenwohnungen im C1. (Abb. 6a, 6b)
    Dies macht nicht die Qualität des Studentenhauses Hafnerriegel aus, aber es macht eine aus. Die Qualität des Ganzen geht darüber weit hinaus. Sie liegt im Gesamtkonzept, in der Baumassenverteilung, in der Form vier viertelgeschoßig versetzter Teilgeschoße; darin, wie die Form in der Wahl der Fassaden deutlich gemacht wird und auch am oberen Abschluss. Sie liegt in Eleganz und Schlankheit des Wohnturmes. Die räumliche Ordnung vom Eingang (Abb. 4) über die Vierteldrehung der Geschoßgruppen zur Dachterrasse. Das alles betrifft das Wie, wie es gemacht ist. Das Was liegt in der neuartigen Weise, wie mit einem Studentenwohnheim umgegangen wurde und, dass es in einer Zeit des beginnenden Aufbruchs Österreichs in ein finanziell abgesichertes Leben seiner Menschen geschah, als das Land zwar groß an Geist aber bedürftiger an finanziellen Mitteln war. Wie steht es damit heute?
    Die eine Qualität soll zeigen, dass ein Grundrisse ordnendes Konzept, das hier entwickelt wurde, gut zehn Jahre später mit Erfolg bei einer ganz anderen Aufgabe angewendet, zu großem Erfolg führte, wobei die Architekten des Hafnerriegel beim C1 vor ganz unterschiedlichen Aufgaben standen. Es ist auch eine Anerkennung des „order is“ Louis Kahns, wenn es sich hier auch eher um eine Systematik des Entwurfes eines Grundrisses handelt, als um die große Form.
    Respekt, Werkgruppe. Das Bauwerk Studentenhaus Hafnerriegel ist GELUNGEN, sehr gelungen. Ihr wart nicht nur fünfzig Jahre, sondern eine gedankliche Welt entfern von Pinterest und ihren Jüngern, die heute die Landschaft der Architektur nicht nur bewohnen, sondern mit ihren publizierten Exemplaren von Schauseiten des Architekturenerzeugens auch beherrschen. Davon wird später einmal zu sprechen sein.

(1)   Anlass für diesen Artikel war die Realisierung von Umbau und Erweiterung des Projektes Studentenhauses Hafnerriegel der Werkgruppe Graz. Auf dem nextroom-Datenblatt (siehe Link: nextroom.at > Studentenhaus Hafnerriegel) zum Hafnerriegel werde ich als Mitarbeiter geführt. Das ist sehr großzügig, zu großzügig. Ich war als Architekturstudent Mitarbeiter im Sommer 1962. Als solcher war ich unter Hermann Pichler als Betreuer weitgehend selbstständig mit dem Entwurf des Dachaufbaus betraut. Mitarbeiter während der ganzen Planungszeit war ich nicht, da zu diesem Zeitpunkt mein Studium Vorrang hatte.
(2)   Studentenhaus Hafnerriegel, Werkgruppe Graz, 1963; siehe Link: nextroom.at > Studentenhaus Hafnerriegel
(3)   Dieser Absatz ist der Antwort von Eugen Gross auf mein Ersuchen um Korrektur und Ergänzungen von Angaben zum Hafnerriegel der Werkgruppe entnommen. Auch ergänzende Bemerkungen sind Teil des Artikels.
(4)   3.2.3 / Konrad Wachsmann, Werk Gruppe Graz – Wege, Räume, Gedanken. Siehe Link: werkgruppe-graz.at – Konrad Wachsmann
(5)   Im Gespräch mit Eugen Gross, Interview des Autors (Bernhard Hafner) mit Eugen Gross, GAT, So. 15.12.2013, Teil 2 (siehe Artikelempfehlung unten)

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