21/06/2019

Forever old?
...zu die Wunder und zur Söligkeit...

Das 10. Symposium des Internationalen Städteforums Graz fand vom 13. – 15. Juni 2019 statt. Es beschäftigte sich mit dem Thema

Forever old?
Welterbe-Städte weiterbauen!

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Sigrid Verhovsek berichtet.

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21/06/2019

Auftakt des ISG-Symposiums im Weltkulturerbe Schloss Eggenberg

©: Ledl_ISG

Picknick im Schlosspark

©: Ledl_ISG

Festsaal im Südbahnhotel am Semmering

©: Ledl_ISG

Festsaal im Südbahnhotel

©: Sigrid Verhovsek

Konzertflügel im Südbahnhotel

©: Sigrid Verhovsek

Am Dach des Südbahnhotels

©: Ledl_ISG

Villen am Semmering

©: Sigrid Verhovsek

Der Juni (und das außerordentlich engagierte und einfallsreiche Team des Internationalen Städteforums Graz) brachte wieder eine hochkarätig besetzte internationale Tagung nach Graz: Forever old? Welterbe-Städte weiterbauen! lautete das Thema des diesjährigen 10. ISG-Symposiums, das von 13. – 15. Juni 2019 stattfand.

Der Auftakt war spektakulär: Aufgrund des 20-Jahr-Jubiläums Welterbe Stadt Graz fand die Eröffnung durch Bürgermeister Siegfried Nagl, der ja auch Präsident des Internationalen Städteforums Graz ist, durch Landesrat Christopher Drexler und durch die Präsidentin der Österreichischen UNESCO-Kommission, Sabine Haag, diesmal im Weltkulturerbe Schloss Eggenberg statt. In Vertretung der „Hausherrin“ Barbara Kaiser begeisterte Paul Schuster mit einer kurzen Vorstellung des Barockschlosses, sprach aber auch schon jene Probleme an, die im weiteren Verlauf des Symposiums immer wieder thematisiert wurden: Wie findet man einen Konsens zwischen Naturerbe und Kulturerbe? oder Wieviel Tourismus hält ein Kulturerbe, bzw. halten die Bewohner einer Kulturerbe-Stadt überhaupt aus, mit anderen Worten, ist die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit nicht eher schädlich? – eine Frage, die sich im übrigen gerade am Beispiel Schloss Eggenberg gut veranschaulichen lässt: Hat doch gerade sein Dornröschenschlaf im 19. und Anfang des 20. Jh. verhindert, dass die Bel Etage modernisiert wurde und samt Mobiliar im ursprünglichen Zustand erhalten blieb.
Von diesem Zauber konnte man sich nach einem köstlichen Picknick im Schlossgarten, glühwürmchenumrankt und pfauenbesungen, auch selbst überzeugen: Noch an nächsten Tag sprach man allgemein vom einzigartigen Erlebnis der Kerzenscheinführung durch die Prunkräume des Schlosses.

Weil auch die Klostermauern des Franziskanerklosters der Hitze des Freitags nicht ganz standhalten konnten, hätte man sich beinahe gewünscht, es möge ein etwas uninteressanterer Beitrag unter den dichtgetakteten zehn Vorträgen sein, aber leider...
   Den Beginn machte Architekturkritiker Hubertus Adam mit Energie durch Reibung? Welterbe, Architektur und Stadtentwicklung: Obwohl jede Welterbe-Stadt ihre Eigenheiten hat, kann bzw. könnte man doch gut von einander lernen. Vor allem bei der Bauaufgabe Wahrnehmungsmaschine Besucherzentrum oder auch Aussichtspunkt im ruralen Raum ist zeitgemäße, visionäre Architektur als Kontrapunkt und Rahmen wesentlich.
   Caroline Jäger-Klein, Professorin für Architekturgeschichte an der Technischen Universität Wien und seit 2018 Präsidentin von ICOMOS, der Expertengruppe der UNESCO zur Überwachung des nationalen Kulturerbes, erläuterte Grundgedanken von Welterbe wie universelle Einzigartigkeit, Authentizität oder Einheit zwischen Form, Masse, Maßstab, Rhythmus, Erscheinung und Material. Sie fordert bessere (Hochschul-) Ausbildungs- möglichkeiten für DenkmalpflegerInnen und eine Verankerung der derzeit noch allzuoft als soft laws behandelten Grundsätze der Charta von Venedig, verbunden mit den im Vorfeld (Rechtssicherheit!) erhobenen jeweilig ausschlaggebenden Charakteristika des Bestandes, und das nicht nur in der jeweiligen Bauordnung, sondern vor allem auf Ebene der Raumordnung. Derartig klare Vorgaben der Politik würden auch jene Zwangslage verhindern, in die ArchitektInnen zwischen BauherrInnen oder InvestorInnen einerseits und ihrer gesellschaftlichen und baukulturellen Verpflichtung andererseits allzu oft geraten.

Nun folgte die erste Case Study, und zwar von Matthias Ripp, dem Welterbekoordinator von Regensburg. Eine große Rolle spielt für ihn die Partizipation der BürgerInnen. Ziel des eigens entwickelten COBA-Modells ist es, eine intensivierte Identifikation der Regensburger EinwohnerInnen mit ihrem Welterbe zu erreichen. Im öffentlich präsentierten UND diskutierten Site-Management-Plan werden z.B. die Ideen und Forderungen der RegensburgerInnen verzeichnet, um deren Mitarbeit auch eigens zu würdigen. Ein zusätzlich eingerichtetes Steuerungskommitee verkürzt die Amtswege, ein Gestaltungsbeirat für Neubauten gibt Rechtssicherheit. Ganz im Sinne seiner Vorrednerin betont Ripp die Notwendigkeiten von klaren Entscheidungsstrukturen, basierend auf detaillierten Analysen wie z.B. Stadtsilhouetten-Studien im Vorfeld, Transparenz und immer wieder Governance, die sich oft an Kleinigkeiten entscheidet, z.B. wie und wo eine Planung aufliegt, und ob man die BürgerInnen tatsächlich aktiv dazu einlädt, sich zu beteiligen. Regenburg hat nicht nur einen Management-Plan, sondern tatsächlich ein Management-System entwickelt, trotzdem spricht Ripp von „Luft nach oben“: Ein „innerlicher“ Austausch und Kooperations- und Koordinations-Mechanismen der World Heritage Cities wären ebenso wichtig wie die Schaffung von mehr Kapazitäten bzw. zielführender Aus- und Weiterbildung im Umgang mit diesem sensiblen Erbe, und um dieser Herausforderung auch politisch adäquat begegnen zu können.
   Die nächste Fallstudie kam vom Welterbekoordinator Hamburgs, Bernd Paulowitz: Hamburgs Welterbe ist im Vergleich eher kleinflächig und zusätzlich zum UNESCO Managementplan bereits stark reglementiert. Paulowitz` Wunsch wäre es deshalb, den Denkmalschutz in die gesamte Stadtplanung zu integrieren, auch um die Aufgaben zunehmenden Tourismus' und stark steigenden Bedarfs an Wohnraum im Gesamtbild sozusagen mitzudenken.
   Jean Daniel Gross, Leiter der Denkmalpflege der Stadt Bern, sieht das große Problem des Weiterbauens im Bruch der Kontinuität: Die Aufklärung hat die Geschichte verwissenschaftlicht, sie wird nun „von außen betrachtet“, als ob wir kein Teil mehr von ihr wären. Sittes historische Stadt ist fertig gebaut... Jede Architektur steht nun in Kontrast zu dem Alten. Diesen Bruch gilt es zu überwinden. Als Beispiel führt Gross Florenz an, wo nach dem 2. WK mit seinen Bombentreffern lange die Diskussion zwischen Rekonstruktion und Neubau schwankte, bis man sich entschloss, Unzerstörtes zu schützen und zu bewahren, den Stadtgrundriss zu respektieren und moderne Neubauten zuzulassen, aber ortsbezogen und kontextuell zu gestalten – und so immer in einer ernsthaften Auseinandersetzung und Verbindung mit Geschichte zu verbleiben.
   Noch tiefer in die historischen Schichten gräbt Antonija Eremut Erceg, die Direktorin der Entwicklungsagentur Split in ihrer Fallstudie zum südöstlichen Quadranten des Diokletian-Palastes, wo die Frage gestellt werden muss: Freilegen um der TouristInnen willen? Rekonstruieren? Weiterbauen? Einfach Gar-Nicht-Eingreifen?

Nach der Mittagspause wird die Moderatorenrolle von ISG-Geschäftsführer Hans-Jörg Luser an Niklaus Ledergerber übergeben, und mit Schweizerischer Pünktlichkeit geht es in die Nachmittagsrunde.
   Michel Wisniewski vom Internationalen Kulturzentrum Krakau stellt eines der derzeit sicher größten Themen trocken mit Zahlen vor: Hatte Krakau 1991 noch 1.750.000 Besucher, sind es 2018 bereits 13.500.000! Gerade für Krakau ist der Tourismus „kind of salvation“, da er die Arbeitslosigkeit dämpft, andererseits muss man sich die Frage stellen, ob der Überhang an Museen, Konzerthallen und übrigen auf auswärtige Besucher ausgerichteten Bauten nicht zu jener Musealisierung einer Altstadt beiträgt, die schließlich die eigentliche Weiterentwicklung stoppt, und zur Gefahr für eine lebendige Stadt wird.
   Ein wunderschönes Beispiel für Zu- und Umgang mit Weltkulturerbe bildet jene Brücke, die Architekt Dietmar Feichtinger als Zugang zum Mont-Saint-Michel entworfen hat, und die er selbst als Steg bezeichnet. Auch wenn er gar nicht so gern als Brückenspezialist bezeichnet wird, zeigen vor allem seine Fußgängerbrücken (denn bei „großen Brücken hat der Ingenieur immer recht!“ – sprich Statik VOR Architektur?), dass eine Brücke gar nicht mehr sein muss als eine einfache Verbindung – vorausgesetzt, sie erfüllt die Kriterien der Kohärenz, Transparenz, Leichtigkeit, Neutralität, Aufenthaltsqualität...
   Die ungewöhnliche visuelle Qualität dieses Vortrages wurde auch im nächsten erreicht: Architekt Pat Tanner von :mlzd führte Zurück in die Zukunft – und so überzeugend seine Bilder von der Erweiterung des Historischen Museums in Bern oder des Stadtmuseums in Rapperswil-Jona auch waren, diese Bauten müsste man sich wirklich dringend im Original ansehen, da sie neue Maßstäbe in der Auseinandersetzung mit Weltkulturerbe weiterbauen zu setzen scheinen. Tanner erzählt sehr zurückhaltend, beinahe trocken, von den unzähligen Modellen, die die Qualität von Form und Materialität gewährleisten, er beschreibt Fensterlosigkeit als ein einladendes Mysterium, er erklärt, warum manchmal eine Pferdetreppe die beste Lösung ist, aber man kann kaum zuhören, weil man so in den Bildern versinkt. Ihrem Credo: Auf Bestand rücksichtnehmen, aber trotzdem kühn bauen und ein Geflecht von Beziehungen erzeugen, werden sie sicherlich gerecht, und zwar: Mit Liebe Zum Detail! [:mlzd]
   Auf einen so außergewöhnlichen Vortrag zu folgen, ist natürlich schwierig – vor allem, wenn es um ein Thema geht, das jene Hälfte des Publikums, die aus Graz oder der Steiermark kommt, gut kennt – oder zu kennen glaubt: Christian Reschreiter und Albert Erjavec von Studio WG3 stellen ihr Siegerprojet des neuen Grazer SchloßbergMuseums vor, das im Vergleich leider relativ bieder wirkt: Baumhain und Fabelwesen-Kreis (war dies von den AusloberInnen gefordert?) dürfen sicherlich hinterfragt werden?
  Aber der Tag war lang, und die Abschlussdiskussion wurde auf den SAMSTAG verschoben – und die Exkursion nach Wien brachte dann tatsächlich nochmals Welterbe pur, Denkmal zum Anfassen sozusagen. Die von Freitag „übrigen“ Debatten manifestierten sich somit am lebenden Objekt.
   Erste Station war eine extrem spannende Führung auf der Baustelle des Parlamentes von Markus Zechner, oberster Denkmalpfleger im Projekt-Team. In diesem Haus wird nicht nur Geschichte geschrieben, sondern es ist offenkundig auch materiell ge-schichtet.
   Vor der Kulisse des 1964 eröffneten Hotels InterContinental erläuterte Caroline Jäger-Klein die Thematik (und Problematik) des Heumarkt-Projektes, bevor sie zusammen mit dem von der Schwarzenberg-Stiftung beauftragen Architekten Spiegel durch den Garten des Palais Schwarzenberg führte, und dabei nochmals auf die Schwierigkeiten zwischen den Anforderungen Naturschutz und Denkmalpflege zu sprechen kam. Auch Wien hat ein Baumschutzgesetz...
   Den Abschluss der Exkursion bildete ein Besuch am Semmering, eine Ort, an dem sich die Janusköpfigkeit des Tourismus mehr als deutlich zeigt.
Bei einer Führung durch den rührigen Bürgermeister Horst Schröttner wurde nicht nur die technische Raffinesse der Ghega-Bahn bewundert und über sinnvolle Nach- und Umnutzungen des ehemals legendären Kurortes spekuliert, sondern vor allem die nächste Zeitreise in „die Tiefe der Jahre“ zum verwunschenen Charme des alten Südbahn-Hotels zelebriert...

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