12/02/2021

Kolumne
Filmpalast – 20

MANK

Regie
David Fincher, USA
131 Min., 2020

Golden Globe Awards 2021
Nominierung als Bester Film
Nominierung für Beste Regie
(lt. wikipedia.org)

Filmkritik
Wilhelm Hengstler

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12/02/2021
©: Wilhelm Hengstler

MANK

Der Rufname von Herman Mankiewicz (1897 – 1953), einem bekannten Drehbuchautor in Hollywood, war MANK und das ist auch der Titel des letzten Films von David Fincher. Der von Netflix produzierte Streifen erzählt, wie der mit einem Gipsbein in einem kalifornischen Landhaus ans Bett gefesselte Mank das Buch zu dem Film Citizen Kane schreibt. Betreut wird Mankiewicz von einer englischen Sekretärin, einer Krankenpflegerin und dem Produzenten Houseman, der die Verbindung zu Orson Welles hält und Mank vom Alkohol fernhalten soll. Der Film verlässt dieses klaustrophobische Setting allerdings immer wieder um in Mankiewicz Leben vor und zurück zu springen. Wer eine gradlinige Handlung oder Action sucht, kommt nicht unbedingt auf seine Rechnung. Im Gegensatz zu Orson Welles Citizen Kane ist Finchers MANK mit einem fabelhaften Gary Oldman in der Titelrolle kein großer Film, vielleicht ist die Zeit für große Filme auch vorbei. Dafür entschädigen die Schilderungen der Studios und ihrer Filmmoguln vor dem Hintergrund der Großen Depression und das Feuerwerk aus Manks Wortspielen in der Tradition der Screwballcomedies.

Studiosystem und Lohnschreiber
Mit dem Aufkommen des Tonfilms Ende der Dreißigerjahre bekommen die Mayor Companies (Paramount, Metro-Goldwyn-Mayer, Warner Brothers, 20th Century Fox und RKO) ein wachsendes Stoffproblem. Um ihre Kinoketten mit Ware zu versorgen, brauchen sie Filme und für diese wiederum Drehbücher. Deshalb importieren sie Autoren von der Ostküste – viele darunter aus dem Zeitungsgeschäft – nach Hollywood, um sie in Teams zusammenzufassen. Mankiewicz telegrafiert an seine Freunde: “Come at once. There are millions to make and your only competition are idiots”. Das Image des gebräunten Hollywoodautors mit Drink und Zigarre neben seinem Swimmingpool entsteht. Wie ihre berühmteren Kollgegen Faulkner, Steinbeck oder Nathaniel West fühlen sich auch diese Lohnschreiber wie im Urlaub, nur gibt es für sie keine Rückkehr in eine Autorenkarriere.
Der ehemalige Theaterkritiker Herrmann Mankiewicz aus New York ist unter ihnen der zynischste, am härtesten trinkende, am verrücktesten wettende. Mank wirft mit ironischen Ansagen nur so um sich. Als z.B. sein Aufpasser Houseman fürchtet, gefeuert zu werden, tröstet er ihn: “I`ve never  n o t  been fired”. Der selbstzerstörerische Mankiewicz zeigt ungeniert seine Verachtung für billige, politische Korrektheit und sucht Selbstbestätigung, indem er mit zynischen Sarkasmen brilliert. Für einen besseren Witz liefert er seinen besten Freund ebenso bereitwillig dem Spott aus, wie den mächtigen Studioboss, auf dessen Lohnliste er steht. Ein Ausspruch aus einem der Marx Brothers Filme, an denen Mankiewicz mitgeschrieben hat, ist wie auf ihn gemünzt: “Ich möchte in keinem Verein sein, der mich als Mitglied akzeptiert.”
MANK steckt also voll Machismo, aber es sind die Frauen, die im Film imponieren: Lily Collins als kühle, englische Sekretärin, Monika Gossmann als deutsche Pflegerin und Tuppence Middleton als die “arme Sarah“, Mankiewicz Frau und wahrscheinlich der einzige Mensch vor dem die Selbstzerstörung des Drehbuchautors Halt macht. Eine der Stärken des Films MANK besteht in der Neugierde, die er auf diese weiblichen Nebenrollen weckt – und das nicht nur wegen ihrer schlanken Silhouetten, die die Fallhöhe zu den gegenwärtigen weiblichen Outfits deutlich machen.

Legende und Wahrheit
Das letzte, rätselhafte Wort von Citizen Kane im gleichnamigen Film lautet “Rosebud”. Orson Welles erzählt in seinem Debutfilm die Suche nach der Bedeutung von “Rosebud” und versucht damit auch dessen grandios scheiterndes Leben zu erklären. Mit diesem Tycoon ist vor allem der reale Randolph W. Hearst gemeint, der zeitweilig dreißig Zeitungen besaß und jahrzehntelang als Privatmann die US-Politik bestimmt hatte. Die Zeit ihres Lebens unterschätzte Schauspielerin und Hearsts Lebensmensch hatte Mankiewicz mit dem Tycoon bekannt gemacht. Gefragt, ob er Marion Davies kenne, antwortete Mankiewicz: “Yes – if anyone does”. Hearst schätzte den hellsichtigen Mankiewicz als brillianten Hofnarren bis er seiner Alkoholexzesse überdrüssig wurde. In der kältesten Szene von MANK, während er ihn höflich zum Ausgang geleitet, erklärt Charles Dance als Hearst dem Drehbuchautor seine Rolle als Äffchen an einer silbernen Kette. Mankiewicz Drehbuch Citizen Kane kann auch als Rache eines tief Getroffenen gelesen werden. Das berühmte “Hearst Castle” ist in Citizen Kane zum sagenhaften “Xanadu” geworden. Und indem Fincher in MANK die Entstehung des Drehbuchs von Citizen Kane schildert, hebt er das Spiel zwischen Wahrheit und Finktion noch eine Ebene höher. Diesen imaginären Spiegelungen ist allenfalls mit einer Hollywoodpraxis beizukommen: Wenn sich Legende und Wahrheit widersprechen, bleib bei der Legende.
Die Reaktion des als rachsüchtig bekannten Hearst bestand darin, dass er die wichtigen Kinoketten für Citizen Kane sperren ließ und den erhofften Erfolg des Films medial sabotierte. Trotzdem steht Orson Welles Debutfilm seither auf der Liste der zehn besten, jemals gedrehten Filme und meistens führt er sie auch an.

Am Anfang war das Wort
War es wirklich Mankiewicz Buch? Und wie groß war der Anteil von Orson Welles an ihm? Mank hatte vertraglich auf eine Namensnennung verzichtet, aber dann, nachdem er begriff, dass er sein Meisterwerk geschrieben hatte, doch durchgesetzt, im Vorspann aufzuscheinen. Er und Orson Welles bekamen 1960 auch in Abwesenheit gemeinsam den Oskar für das beste Drehbuch, (Ben Hur gewann in diesem Jahr die übrigen 11 Oskars).
Zwischen dem klassischen Studiosystem Hollywoods und den  Streamingdiensten Netflix, Sky oder Amazon als Totengräber des Kinos lassen sich Parallelen ziehen: An die Stelle der Kinoketten der Mayor Studios sind inzwischen die Streamindienste mit ihrem unersättlichen Hunger nach Stoffen getreten. Wie die  meisten Regisseure der damaligen B-Movies sind auch jene der Serien eher anonyme Dienstleister. Andererseits räumt auch Netflix einigen Kultregisseuren alle künstlerischen Freiheiten ein, wie das RKO-Studio 1939 dem Wunderkind Orson Welles. Bei der Produktion von MANK nach dem von historischen Anspielungen und  Zitaten überbordenden Drehbuch des verstorbenen Vaters von David Fincher hätte etwas Studiokontrolle nicht geschadet. Er durfte MANK erst digital in exzellentem Schwarzweiß drehen, nur um das Material im Nachhinein kostspielig mit weicher Unschärfe als Reminiszenz an altes Filmmaterial  zu versehen. Das und die Rasanz der Inszenierung erleichtern die Konzentration nicht gerade. Aber was für ein Film über die Geschichte des Films. Was für ein filmischer Schöpfungsmythos. War nicht am Anfang das Wort bzw. das Drehbuch?

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