12/05/2010
12/05/2010

"ERROR"

©: paul ott photografiert

"ERROR"

©: paul ott photografiert

"ERROR"

©: paul ott photografiert

„Fotografen haben einen technischen Apparat, den sie nicht beherrschen, weil er sie beherrscht.“ (1) Diese nicht ganz uneigennützig vorgebrachte Auslassung des Malerfürsten Markus Lüpertz hat auch was für sich. Spätestens im Zeitalter der digitalen Fotografie muss man nicht lange nach dem sprichwörtlichen Körnchen Wahrheit darin suchen. Einerseits weiß ein professioneller Fotograf selbstverständlich um die das fotografische Bild weiterhin prinzipiell bestimmenden Zusammenhänge von Fokus, Blendenöffnung und Belichtungszeit und versteht es, diese entsprechend der von ihm gewünschten Aufnahme auch anzuwenden. Andererseits entzieht sich die Konvertierung der Bilddaten in binäre Codes jeder Einflussnahme. Das bedeutet aber keinesfalls, dass sich diese Situation nicht auch als Ausgangslage kreativer Handhabung verstehen ließe.
Paul Otts „Errors“, die Fehler, die seine digitale Kamera mitunter ohne nachvollziehbaren Grund produziert, geben ein beredtes Zeugnis dafür ab. Echte Unglücksfälle sind sie nur, solange man die Fotografie als bildliche Repräsentation oder Interpretation einer außerhalb der Kamera liegenden Wirklichkeit versteht. Irgendetwas hat nämlich bei der Aufzeichnung der Bilddaten oder bei ihrer Übertragung nicht erwartungsgemäß funktioniert. Ihr ursprünglicher Zweck, ein Bild des „Realen“ festzuhalten, ist damit vollkommen obsolet geworden. Was sich am Bearbeitungsbildschirm zunächst als großteils weiße Flächen zeigte, entwickelte bald ein seltsames Eigenleben, sowie Ott die Parameter zur Feinjustierung der Bilddatei (wie etwa die Gradationskurve) veränderte. Plötzlich traten abstrakte Bilder aus der nur vermeintlichen Informationsleere hervor, entpuppten sich unheimliche weil unerklärliche Strukturen, die mit den eigentlich aufgenommenen Motiven nichts mehr gemein hatten: Schmale, das Bildgeviert leicht schräg kreuzende Bahnen, vor dem Auge flimmernde Punktnebel oder Linienbündel, die klar begrenzte Flächen bildeten, sich zu einem aufregend streng komponierten Bildganzen fügten. Als hätte die abstrakt-expressionistische Farbfeldmalerei gemeinsam mit dem Hard Edge zu seiner legitimen Übersetzung ins fotografische Bild gefunden.
Solch ein stilanalytisch motivierter Vergleich ist freilich auch gefährlich, trifft die Fotografie doch seit dem Pikturalismus zu Ende des 19. Jahrhunderts regelmäßig der vorwurfsvolle Verdacht, die Malerei kopieren zu wollen. Andererseits wollten die Fotografen die Reflexion des Mediums Bild mit Recht nie den Malern alleine überlassen. Insbesondere die abstrakte Fotografie, die nicht müde wurde, die Oberfläche des Bildes selbst zu fokussieren und seine eben nur scheinbare Transparenz in den Mittelpunkt ihrer Recherchen stellte.
Fotografisch wurden Formen gebildet oder wurde es Formen erlaubt, sich selbst im Bild herzustellen, die mit der Abbildung einer äußeren Wirklichkeit nichts mehr am Hut hatten. „Nicht das genau abbildende Foto ist somit ein selbstreferenzielles Zeichen, sondern das künstlerische Foto, das durch seine eigene Formensprache zum Zeichen sui generis wird“, präzisiert Winfried Nöth. (2)
Mit der Entscheidung, die zufällig entstandenen Bilddateien druckfertig auszuarbeiten und großformatig auszudrucken, lädt Paul Ott dazu ein, die Fotografie weiter zu denken. Er führt die digitale Fotografie dorthin zurück, wo sie im Grunde immer schon war, erlaubt ihr, sich oder die Prozesse, die sie bestimmen, selbst darzustellen. Noch selten, könnte man schließen, war die digitale Fotografie näher bei sich selbst. Selten noch war die digitale Fotografie deutlicher ein Zeichen sui generis.

(1) Matthias Dusini, Thomas Edlinger, „Ich bin ein Schaumschläger“. Der deutsche Maler Markus Lüpertz über die Jeans von Karl Lagerfeld, Atatürk und Kunsthostessen, in: Falter 12/2010 (24. 3. 2010).
(2) Winfried Nöth, Fotografie zwischen Fremdreferenz und Selbstreferenz (2002), in: Ruth Horak (Hg.), Rethinking Photography I + II. Narration und neue Reduktion in der Fotografie, Salzburg 2002, S. 22–39, S. 35.

Die Ausstellung Paul Ott "ERROR" war im Mai 2010 in der Galerie para_SITE, Kaiserfeldgasse 22, in Graz zu sehen.

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