25/09/2019

Eröffnungs-Extravaganza

Wilhelm Hengstler zum Eröffnungsabend des Festivals steirischer herbst '19 im Grazer Congress.

steirischer herbst '19
19.09. – 13.10.2019

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25/09/2019

Eröffnungs-Extravaganza' in allen Räumen des Congress Graz. Foto: Emil Gruber

2018 lautete das Generalmotto des steirischen herbst Volksfronten, ein politischer Terminus, der sich auf ein eigenes, politisches Programm bezieht. Das diesjährige Motto Grand Hotel Abyss ist eine Wortspende des Philosophen Georg Lukács. Er bezog sich auf die Intellektuellen der Dreißigerjahre, deren Hedonismus heuer mit der „Genussregion Steiermark“ zu einem eher interpretationsbedürftigen Konzept amalgamiert wird.
Abgesehen von seiner Eignung stellt ein Generalthema Intendanz und Kuratoren stets vor die Wahl zwischen Kür oder Eiertanz. Geht es mehr um die dekorative Ausstattung des thematischen Rahmens oder um seine diskursive Aufarbeitung? Haftet das Gezeigte zu eng an der Vorgabe oder ist es allzu beliebig? Wobei böse Zungen behaupten, dass der menschliche Assoziationstrieb sowieso alles (un)sinnstiftend zusammenfügt. Trotzdem scheint es etwas weltvergessen, im Jahr von Greta Thunberg ein Grand Hotel Abyss zu betreiben und das größte Grand Hotel – die Erde – mitsamt ihre Konsumierung thematisch auszuklammern.
Auch der grafische Auftritt hat 2019 weniger Wucht. Das Layout mit dem schwarzweißen Revolutionstouch vom vorigen Jahr ist zu einer Allerweltsgrafik in schwarz-weiß-grün geworden. Daran ändert auch der schematische Totenkopf wenig, der wohl die Katastrophe mit dem ästhetischen und kulinarischen Genuss am Abgrund verbinden soll.
Kulinarisch bot die diesjährige Eröffnungs-Extravaganza im Congress dafür Rose-Schaumwein und appetitliche Canapes, serviert von jugendlichem, sehr angenehmem Personal. Das kulturelle Programm war durchwachsener, statt an ein Grand Hotel fühlte man sich manchmal an Prater und Würstelbude erinnert. Gelungen war „das Planeten Party-Prinzip“  der Grazer Formation „Instant Culture Express Service“, die schnelles Kulturwissen für Partykommunikation vermitteln wollte. In dieser letztlich auf Bourdieus Die feinen Unterschiede basierenden Performance wurden den BesucherInnen in einer sehr engen Kabine jeweils zweiminütige Ausschnitte aus Goethes Faust, Nestroys Talisman und Bernhards Heldenplatz mit Verve in das Gesicht gespielt. Allerhand. Um Thomas Bernhard ging es auch an dem Stand mit „Echten Grazer Bernhardkugeln“ von Elmgreen & Dragset. Bei dieser Sonderedition wurden „inversen“ Mozartkugeln (Nougat außen, Schokolade innen) mit dem Konterfei des Dramatikers an Stelle des Komponisten angeboten. Das Gemeinsame: Beide Künstler waren nie gefragt worden, ob sie als nationale Vorzeigekünstler touristisch instrumentiert werden wollten. Die Bonbonniere mit acht Kugeln aus dem Hause Zotter kostete 50 Euro, am Ende des Abends waren zehn dieser Kunstwerke verkauft.
Das unter dem Namen the style council von Jakob Lena Knebl und Markus Pires Mata arrangierte tableau vivant zeigte mit Bezugnahme auf eine Geschichte von Jorge Luis Borges und mit viel Theorieaufwand bunt bemalte, nicht sonderlich durchtrainierte BodybuilderInnen. Ihre Gliedmaßen sollten zu Skulpturen, dafür Möbelstücke lebendig werden. Die Legende dazu: Ambivalenz des Hedonismus, Mechanismus der Verführung, Tabubruch… Erinnere dazu den Wrestlingstar und Schauspieler Otto Wanz, der 1972 auf einem herbst-Plakat mit herunter gelassenen Hosen posierte und damit einen veritablen Skandal provozierte.
„Performance“ wird in diesem herbst vieles genannt, egal ob Lecture, Theaterstück, Lesung, Gesang oder tatsächlich eine Performance. Mag sein, dass daraus eine gewisse dramaturgische Nachlässigkeit entsteht. Bereits beim herbst-Umzug 2018 war eine gewisse Nonchalance gegenüber der für Großereignisse erforderlichen Dramaturgie zu beobachten. Die Akteure, umringt vom Publikum, waren damals kaum zu sehen und nur schlecht zu hören.
Die diesjährige Eröffnungs-Extravaganza verlangte beim Einlass zu Las Venus Resort Palace Hotel`s Cabaret Lounge von Cibelle Cavalli Bastos fast stundenlanges Anstellen. Die endlich Eingelassenen blieben dann aber (viel zu) lange in dem mit Lichteffekten, mit einer Mega-Magnumflasche und mit erotischen Signalen aus Pappe ausgestatteten Separe. Erschöpft vom langen Warten lauschten sie der schönen unschuldig-üppigen Künstlerin, die ihnen ein Spektakel der Weiblichkeit, die spielerische Erörterung der Weltprobleme und die Zukunft aus den Karten bot, während sich draußen am Fuß des Aufganges die Menge staute. Mag sein, dass die Wartezeit auch Teil des Konzeptes war, jedenfalls war das „Separe“ der Anziehungspunkt. Über all dem erklang die Performance Dissociation Study von Jule Fierle, der es darum ging, die Entsprechung zwischen der tragischen Arie „Isoldes Liebestod“ aus Wagners Tristan und Isolde und dem dazugehörigen  Gesichtsausdruck aufzuheben: ein interessantes Projekt, das im Trubel etwas unterging.
Im Stefaniensaal oben hielt Gernot Wieland, schließlich seine Performance-Lecture – eigentlich ein selbstironischer von Dali, Kafka und Wielands Leben als Künstler handelnder Text. Und eine schöne Demonstration, wie viel die (fast) pure Literatur vermag. Für den Vortrag  den er mit der Projektion seiner Zeichnungen schmückte, erhielt er zu Recht viel Applaus. Beindruckend auch Erna Ömarsdottir und Vladimar Johannsson mit Tomorrow is Another Day of Wants and Needs, einer Tanzperformance, die sie selber als Körpermusik beschreiben. Mit im Prinzip einfachen, wiederkehrenden Tanzfiguren und urtümlichen Rufen zu  einer durchdringend monotonen Musik verwandelten die acht Akteure die Stufen des großen Stefaniensaals in eine archaische Höhle für ekstatische Rituale. Hinter beiden „Performances“ war ein an die 68er erinnernder Drang zu einer anderen, neuen Lebenspraxis zu spüren. Zweifellos Höhepunkte dieser Eröffnungs-Extravaganza.
Soviel lässt sich sagen: Aus dem Instant-Höhenflug des Vorjahres ist kein Absturz, nicht einmal ein Sink- aber doch eher ein Gleitflug geworden.

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