02/03/2021

Zum Ableben von Architekt
DI Wolfgang Kapfhammer
(1938 – 2021)

Nachruf
von Eugen Gross

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Kondolenzbesuche sind am Freitag, dem 5. März 2021 von 09:00 – 12:00 Uhr in der Friedhofskapelle St. Leonhard möglich. Die Beerdigung findet im engsten Familienkreis statt.

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02/03/2021

Manifest UNI St. Louis 1971: ARCH-PUNCH-OPERATOR`S MESSAGE

©: Archiv Eugen Gross

dome – Selbstbaukuppel der Hippy-Generation um 1970, Nachbau Kulm

©: Archiv Eugen Gross

Landwirtschaftliche Fachschule Stainz, Steiermark, 1970

©: Archiv Eugen Gross

röm.kath. Kirche Graz-Kroisbach, 1973

©: Archiv Eugen Gross

Druckzentrum STYRIA, Graz-Messendorf

©: Archiv Eugen Gross

Wolfgang Kapfhammer, “Segler in Fahrt”, Acrylmalerei, um 2018

©: Archiv Eugen Gross

Wolfgang Kapfhammer bei einer Architekturführung, 2019

©: Archiv Eugen Gross

Zum Thema einer lecture an der Washington University St. Louis wählten Wolfgang und ich 1971, Gastprofessoren an der am Campus der ersten Olympiade in USA im Jahre 1908 errichteten Universität, den Titel Arch-Punch-Operator's Message. Darin bekannten wir uns zu einer Reflexion der menschlichen Existenz der Gegenwart im urbanen Konfliktfeld mit Überfluss in der zivilisierten Welt, unablässiger Steigerung des wissenschaftlichen Standards, einem Bauen als rein ökonomisch bestimmter rationaler Prozess zunehmender Industrialisierung, des Anwachsens der Stadtagglomerationen mit Vorteilen für unkontrollierbare Gesellschaften, zugleich mit einer Flucht aus den Städten. Die Downtowns in USA starben aus, die einst eindrucksvollen Bahnhöfe wurden stillgelegt. Die junge Generation wurde radikal mobil und siedelte sich in „domes“, selbstgefertigten geodätischen Kuppeln, in der Wüste an.
Wir forderten auf, die Widersprüche zu akzeptieren und als soziale Aufgabe zu überwinden, indem elementarische menschliche Bedürfnisse in den Vordergrund gerückt werden. In erster Linie herausgefordert durch den Hunger in der Welt infolge des Wohlstandsgefälles zwischen Ländern. Im weiteren durch politische Kooperation zur gesamtgesellschaftlichen Lösung der drängenden Aufgaben und schließlich durch Zurückdrängung der Segregation und Überlappung der Handlungsfelder, um den größtmöglichen Nutzen daraus zu ziehen. Der Architektur im weitesten Sinn die Rolle zuzusprechen, durch kommunikative Modelle das Gemeinschaftsbewusstsein zu fördern und eine neue Kultur des Bauens hervorzubringen. Die Errichtung entsprechender Gemeinschaftszentren machten wir zur Aufgabe unseres Entwurfsstudios, wobei Ansatzpunkte im virulenten Campusleben, dem Erlebnisbereich von Freizeitanlagen und Orten hoher Mobilität wie „Transfer Points “ gefunden wurden.
Mit diesen Aufzeigungen ist schon ein Charakterbild des stets human denkenden Menschen Wolfgang Kapfhammer gezeichnet. Aus einer dem Bildungswesen in der Steiermark verpflichteten Familie ließ er sich auch in der Studienzeit nicht auf ein Fachstudium einengen, indem er als Mitwirkender im Studentenkabarett „Der Würfel“ seine schauspielerischen Fähigkeiten erprobte. Mit Studienabschluss 1963 zog es ihn zunächst in die Schweiz, wo er bei dem bekannten Kirchenbauarchitekten Hermann Baur praktizierte. Für das Architekturbüro Belussi und Tschudin gewann er einen Wettbewerb, bei dem er seine gestalterischen Fähigkeiten zur plastischen Ausformung von Bauaufgaben zum Ausdruck bringen konnte.
Vor seiner Rückkehr mit seiner Frau Inge nach Graz gewann er 1966 den Wettbewerb für die Landwirtschaftliche Fachschule in Stainz, die er in der Folge in Partnerschaft mit Architekt Frisee realisierte. Nach Eröffnung des Büros 1969 trat Architekt Johannes Wegan, den er schon von der Studienzeit kannte, in die gegründete Partnerschaft ein, die 1980 um Architekt Gert Koßdorff erweitert wurde. Das gut beschäftigte Büro, das zahlreiche Mitarbeiter aufwies, beteiligte sich an zahlreichen Wettbewerben, die wie das Universitätsgebäude in der Heinrichstraße und die Kinderchirurgie des Landeskrankenhauses erfolgreich waren.
Einen besonderen Schwerpunkt stellte der Kirchenbau dar, den Kapfhammer als bekennender Katholik in Übereinstimmung mit dem Konzilsdokument des II. Vaticanums Sacrosanctum Concilium verwirklichte. Der Raum zur Gottesdienstgemeinde wurde geöffnet, wodurch Raumteilungen oder Erweiterungen für nichtsakrale Veranstaltungen möglich sind. Im Seelsorgezentrum Graz-Süd erfolgte eine Ausweitung zu einem Kommunikationszentrum mit Kindergarten für einen neu erschlossenen Siedlungsraum, der durch eine Platzbildung eingebunden bleibt. Die plastisch ausgeformten Baukörper orientieren sich am Stil des „Brutalismus“ als weltweite Architekturströmung natürlicher Materialbehandlung und struktureller Durchformung. Weitgespannten Tragwerke in Holz und Stahl überspannen die Innenräume, während in den Außenräumen der Sichtbeton dominiert. Aus der Zusammenarbeit mit mehreren Künstlern sind die sakralen Gegenstände als Zeichensetzungen hervorgegangen, die der Liturgie dienten.

Graz drückte Kapfhammer weiters durch mehrere Institutsbauten der Karl-Franzens-Universität seinen Stempel auf. Eine schräg verlaufende Haupttreppe erschließt spektakulär das mehrgeschoßige Institutsgebäude mit nach außen sichtbaren Bibliothekstürmen in der Heinrichstraße, während die kompakte Kinderklinik mit sichtbarer Rahmenkonstruktion und aufgesetztem Hubschrauberlandeplatz deutlich in der Außenerscheinung hervortritt. Immer wurde die klare funktionelle Gliederung durch sozial vermittelnde Raumzonen und optisch hervorstechende Sichtbeziehungen überlagert, die Ausgewogenheit in Raumbildung, Materialbehandlung und Detailausfirmung betonten.
Gut dimensionierte Wohn- und Schulbauten wurden stark durch die Lage wie am Blumenhang in Graz-Waltendorf sowie einen aufgelassenen Steinbruch in Graz-Stattegg bestimmt. Das Oevre schloss auch Bankgebäude, Veranstaltungsräume, Nutzbauten und Innenraumgestaltungen ein. Eine Reihe von Baupreisen waren die Frucht einer umfassenden Architektentätigkeit, die in einem Katalog über 30 Jahre Bauentwurfsplanung 1995 dokumentiert wurde.
Zu einer planerischen Zusammenarbeit mit Friedl Groß-Rannsbach und mir führte der von der Styria AG 1987 erteilte Auftrag zu dem Druckzentrum für die Kleine Zeitung und sonstige Druckwerke, die für verschiedene Auftraggeber hergestellt werden.  Im Jahre 1992 fertiggestellt, erhielt das Projekt den Österreichischen Staatspreis in Gold für Gewerbliche und Industrielle Bauten.
Bereits 1985 zeichnete es sich ab, dass die Bewerbung um Auslandsaufträge nur durch größere Bürogemeinschaften, zum Teil mit Beistellung der Finanzierung, möglich ist. Es kam zur Projektgemeinschaft „Planconsult Austria“ mit der WERKGRUPPE GRAZ, die in der Folge einige Projekte realisieren konnte: in Ungarn, Russland und dem Nahen Osten. Alle diese standen unter dem Druck politischer Einflüsse, sodass das architektonische Konzept teilweise auf der Strecke bleiben musste. Außerdem war die Belastung der Mitarbeiter durch ständige Änderungen so groß, dass die Partnerschaft mit 2000 aufgelöst wurde. Als Johannes Wegan frühzeitig verstarb, kehrte Kapfhammer zu einer kleineren Bürostruktur mit Gert Koßdorff und Pablo Golger zurück.

Der künstlerischen Tätigkeit als Gestalter oder Vermittler widmete sich Wolfgang Kapfhammer in der Szenerie von Festen und Ausstellungen oder der Erwachsenenbildung in Werkwochen in Bildungshäusern. Die Einladung zur gemeinsamen Gastprofessur in USA ist aus einer solchen Veranstaltung hervorgegangen. Schließlich wurde die Malerei, im Besonderen nach Schließung seines Büros um 2005, zu seiner Leidenschaft, der er in seinem Atelier in Semriach nachging. Eine Reihe von Ausstellungen zeugen von dieser mit großer Energie betriebenen Tätigkeit.
Das Büro Kapfhammer, Wegan, Koßdorff wurde für die steirische Architektur zu einem „Aushängeschild“ einer mit der WERKGRUPPE GRAZ, der Partnerschaft Domenig-Huth und dem TEAM A eingeleiteten Architekturauffassung, die lokale Traditionen weiterführte und zugleich internationale Bezüge erkennen ließ. Das strukturelle Element einer Sichtbarmachung sozialer Inhalte in innovativen Konstruktionen, die das komplexe Bild einer GRAZER SCHULE ausmachen, wurde zu einer ästhetischen Bekenntnishaftigkeit geführt, die das SCHÖNE im ewigen Anspruch der Kunst in die Höhe hebt.
 
Unvergessen ist mir ein Segeltörn in Korsika, als wir bei Nacht von einem Sturm der Windstärke 8 vor den Wellen hergetrieben wurden, bevor wir gegen Morgen einen sicheren Hafen erreichten. Dieses Erlebnis war von prägender Bedeutung für unsere Freundschaft, die von der Hochschulzeit bis heute währte. Dass die Familien mit eingeschlossen waren, bekam noch eine besondere Würze, dass wir beide drei Töchter haben.

Einem Einladungsblatt für eine Ausstellung im Jahre 2006 entnehme ich die Zeilen:

LICHT

Wenn ich meine Augen schließe
Sind Lichtzeichen auf meiner Netzhaut
Vielfalt in Form und Farbe
Sich drängend nach außen
LICHT als Materie, die im Inneren glüht
Macht diese transparent und Schwere leicht
LICHT birgt Schatten, hell und dunkel
Dunkle Nacht birgt Hoffnung
Nach Licht in den Tiefen der Erkenntnis
Das Unfassbare abzubilden, basierend und abstrakt
Unlicht ist Tod?

Wolfgang Kapfhammer war lichterfüllt.

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LEBENSLAUF – Wolfgang Kapfhammer

1938 – geboren in Graz; Matura, 1957
1963 – Graduierung an der TU-Graz mit summa cum laude
1964 – Praxis in der Schweiz bei Hermann Baur
            Heirat mit Inge (3 Kinder, 6 Enkelkinder)
1965 – 1.Preis im Wettbewerb und Realisierung der Kirche in Zwingen, Jura mit
            Büro Belussi & Tschudin, Basel, CH. Fertigstellung 1969
1966 – 1. Preis im Wettbewerb Landwirtschaftliche Fachschule in Stainz mit
            G. Frisee. Fertigstellung 1970
1967 – Rückkehr nach Graz, Planung der Schule in Stainz
1969 – Eigenes Büro in Graz, ZT, Beteiligung an der Trigon-Ausstellung
1971 – Partnerschaft mit Johannes Wegan, ZT
            Gastlehre an der Washington University in St. Louis, USA
1975 – Berufungsverfahren an der TU Hannover, Lehrstuhl Gebäudelehre,
            an 1. Stelle gereiht
1980 – Gert Koßdorff, ZT kommt als weiterer Partner dazu
1988 – Lehrtätigkeit an der HTL Graz
1996 – Dozent und Mitbegründer der Fachhochschule Graz – Lehrgang
           „Bauplanung u. Baumanagement“
1998 – Fachjuror und Vorsitzender des Gestaltungsbeirates in Linz
2005 – Ruhende Befugnis bis 2019  
            Ehrenamtliche Tätigkeiten und Gutachten
            Atelier in Semriach bei Graz, verstärkte Beschäftigung mit Malerei
            Ausstellungen in Galerien und Bildungshäusern in Österreich
2021 – gestorben in Graz.

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