24/04/2017

Die Perspektiven des Herrn Bude

Leopold Bude dokumentierte Graz vor und zur Zeit seiner größten Umgestaltung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das GrazMuseum verwahrt 400 Fotografien Budes und zeigt eine Auswahl in der Ausstellung

Verschwundenes Graz
Leopold Budes 'Häuser-Aufnahmen' 1863-1912

KuratorInnen-Team
Otto Hochreiter, Franz Leitgeb, Katharina Mraček-Gabalier, Annette Rainer, Franziska Schurig, Gerhard Schwarz

Wissenschaftliche Mitarbeit
Peter Schintler

bis 28. August 2017

24/04/2017

Ausstellungsansicht 'Verschwundenes Graz'

©: Andreas Vormayr

Ausstellungsansicht 'Verschwundenes Graz' – Bereich Innere Stadt, Hilfe zur Bildsuche

©: Andreas Vormayr

Leopold Bude, Murseitige Verbauung der Sackstraße, Graz, 1890

©: Sammlung GrazMuseum

Leopold Bude, Joanneumsgarten, 1889

©: Sammlung GrazMuseum

Leopold Bude, ehem. Postgasse 9 und 11 in Richtung Schmiedgasse

©: Sammlung GrazMuseum

Historische Häuser werden geschliffen. Bestehender Altbestand erfährt eine dramatische Umgestaltung. Letzte große Brachen füllen sich. Eine politische Entscheidung vernichtet über Jahrzehnte gewachsenen Grünraum. Ganze Straßenzüge werden neu angelegt. Steigende Einwohnerzahlen lassen die Grundstückspreise heftig steigen. Investoren erkennen das vorhandene Potenzial zur Geldvermehrung, wenn sie die kleinflächigen Bürgerhäuser durch mehrstöckige Neubauten ersetzen. Die Umgestaltung an vielen Orten der Stadt wird Graz nachhaltig für lange Zeit verändern: Das Graz in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Leopold Bude (1840 – 1907) war der erfolgreichste und bekannteste Grazer Fotograf der Monarchie. Er besaß in der heutigen Giradigasse zwei Innenstadthäuser nebeneinander, eines davon mit einem großzügigen Atelier ausgestattet. Alle, die es sich leisten konnten, ließen sich von Bude porträtieren. Tausende Aufnahmen von Grazerinnen und Grazern sind heute in Museen, Archiven und in Privatsammlungen vorhanden.
Als in der Gründerzeit, wie praktisch in allen größeren Städten in Europa, der Baurausch auch Graz erfasste, ging Bude mit seiner Plattenkamera vermehrt ins Freie. Für Jahrzehnte wurde er zum Dokumentaristen eines sich entscheidend verändernden Stadtbildes. Rund vierhundert Aufnahmen sind aus dieser Zeit erhalten geblieben.

Verschwundenes Graz heißt daher folgerichtig die neue, aktuelle Ausstellung im GrazMuseum. Sie wirft Schlaglichter auf ein Graz, das in manchen Innenstadtbereichen mittelalterlich eng, verwinkelt und muffig wirkte, während andere Bezirke noch praktisch ländlichen Charakter hatten. Budes Verdienst ist, sich nicht nur auf das Kerngebiet des Bürgertums zu konzentrieren, sondern auch die Außenbezirke mit seiner Kamera aufzusuchen. Viele Orte sind mehrfach im Vorher- und Nachher-Modus festgehalten. Die Aufnahmen sind nur teilweise ästhetische, architekturfreundliche Fotografien. Im Gegenteil sind viele Bilder letzte Blicke auf Abbruchhäuser und unansehnliche Straßenecken oder erste Blicke wiederum auf Baustellen.
So zeigt er eindrucksvoll die Demontage der Häuserzeile inklusive des alten Kriminals an der Mur. Die Freilegung des Dritten Sack vom Ursulinenkloster bis zur heutigen Keplerbrücke, führte zur Errichtung eines nun begehbaren Murkais.
Heute unvorstellbar war eine weitere bauliche Maßnahme mitten im Herzen der Innenstadt. Trotz massiver Proteste in der Bevölkerung wurde der 30.000 m2 große Joanneumsgarten rund um den Lesliehof aufgelassen. Der botanische Park mit seiner sämtlich in der Steiermark vorkommenden Pflanzenwelt erstreckte sich einmal von der Neutorgasse entlang des Joanneumrings bis zum Jakominiplatz, bevor das gerodete Grundstück mit dem Neuen Joanneum und anderen Objekten, die größtenteils heute noch vorhanden sind, dicht bebaut wurde.
Viele Vorstadthäuser mussten als politische Maßnahme auf 1848 weichen. Im Bereich Lazarettgürtel / Idlhofgasse wurden Straßenzüge verbreitert und geradliniger angelegt. Diese Neugestaltungen sollten bei eventuellen Aufständen den Einsatz von Soldaten und Polizei erleichtern. Teilweise in deutlich größerem Maßstab fanden solche Umbauten übrigens in praktisch allen europäischen Metropolen statt.
Neben kleinen Perlen der Vergangenheit wie einen diskret hinter Bäumen verborgenen Venustempel sind auch viele vergangene, kulturhistorische Bauwerke nochmals ins rechte Licht gerückt: Die alte Fassade des seinerzeit deutlich niedrigeren Rathauses, die Innenansicht des 1899 abgerissenen Thalia-Theaters. Als letzte Vorstellung gab es Der Verschwender von Ferdinand Raimund, in der Hauptrolle Alexander Giradi.
Besonders gelungen ist dem KuratorInnen-Team rund um GrazMuseums-Direktor Otto Hochreiter die Orientierungshilfe durch Stadtplanauszüge die eine Damals/Heute-Gegenüberstellung von allen auf den Fotografien gezeigten Objekten liefern. 
Ein persönlicher Tipp: Viel Zeit sich für die wirklich sehenswerte und hoch informative Ausstellung nehmen. Danach mit offenen Augen durch die Stadt spazieren. Nochmals Ausstellung ansehen. Wandel ist immer.

Online-Postkartensammlung
In der jüngst online gestellten Sammlung von Postkarten mit Grazer Ansichten aus dem Bestand des GrazMuseums finden sich auch Bude-Fotografien. Die Online-Sammlung erfasst bis dato rund 9000 Karten, viele davon sind für einen Gratisdownload bereitgestellt. Das Projekt wurde in Kooperation von Zentrum für Informationsmodellierung der Universität Graz, Photoinstitut Bonartes, Wien und GrazMuseum durchgeführt – Projektleitung und wissenschaftliche Leitung: Eva Tropper / Wissenschaftliche Mitarbeit und Erschließung: Katharina Mraček-Gabalier 
/ Projektleitung und Datenmanagement: Antonia Nussmüller / Modellierung und Visualisierung: Carina Koch / Sammlungsleiter: Franz Leitgeb / Projektsteuerung: Otto Hochreiter und Sibylle Dienesch.
Beispielhaft werden Vorder- und Rückseite der Postkarten gezeigt und ausführliche Begleitinformationen geliefert. Auch die optimale Bedienerfreundlichkeit, wie Zoom oder Drehbarkeit der Motive zur besseren Lesbarkeit der oftmals dicht und rundherum gesetzten Texte überzeugt. Die digitalisierte Postkartensammlung ist Teil der Plattform Repositorium Steirisches Wissenschaftserbe, das bisher öffentlich unzugängliche Bestände aus Archiven, Bibliotheken und Museen für alle Interessierten bereitstellt. Bitte mehr davon.

PS
Einen herzlichen Dank an Katharina Mraček-Gabalier für die ausführliche und informative „Privatführung“ zu Verschwundenes Graz.

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