28/01/2020

ÖGFA-Schwerpunkt 2020

zur Frage, ob ökologische Stadtplanung überhaupt denkbar ist.

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Kuratierung
Claudia Cavallar, Elise Feiersinger, Ulrich Huhs, Gabriele Kaiser, Michael Klein, Christina Linortner, Maik Novotny, Gabriele Ruff, Felix Siegrist und Andreas Vass.

Veranstaltungen zum Schwerpunkt
entnehmen Sie dem Link > oefgfa.at

 

 

28/01/2020

Der Haushalt der Stadt. Wachstumsphasen und Stoffkreisläufe. ÖGFA-Schwerpunkt 2020. Bild: Andreas Vass – Lacaton&Vassal, FRAC Dunkerque

©: ÖGFA - Österreichische Gesellschaft für Architektur

Wachstumsphasen und Stoffkreisläufe

Stadtplanung erfordert nicht erst heute notwendig und vorrangig ökologisches Denken. Doch wodurch zeichnet sich dieses aus? Die Praxis beschränkt sich weitgehend auf die reaktive Seite: Bewertungen von Einzelvorhaben, Bewältigung von „Notständen“ – wo nicht überhaupt deren Ausrufung genügen soll. Zwischen Versuchen quantitativer Eindämmung und Anstrengungen atmosphärischer, symbolischer oder medialer Natur gehen die Zusammenhänge verloren, die Gegenstand ökologischen Denkens wären.
Einige dieser Zusammenhänge ökologischer Stadtplanung werden im ÖGFA-Jahresprogramm 2020 in den Fokus rücken. Damit setzen wir einen thematischen Schwerpunkt fort, den wir bereits 2018 begonnen haben. Unter dem Titel Begrenzte Großstadt untersuchten wir aus der Mode gekommene Begriffe wie „Typologien“, oft falsch verstandene Konzepte, wie das der „Landschaft“, sowie den zentralen Begriff der „Systeme“ in Hinblick auf die aktuellen Herausforderungen der Urbanisierung. 2019 folgte die Frage nach dem Wiener Klima der Stadtentwicklung. Ausgangspunkt dieser Serie von Nachforschungen war die nicht ganz neue und doch bis heute unbegriffene Erkenntnis von der begrenzten Verfügbarkeit unserer Lebensgrundlagen und die Überzeugung, dass sich unter den Bedingungen einer exponentiell steigenden Urbanisierung einer wachsenden Weltbevölkerung an der Frage einer ökologischen Stadtplanung das Gelingen eines nachhaltigen Umgangs mit diesen Lebensgrundlagen entscheiden wird. Wir wollen heuer daher weiter vorstoßen zu einigen Grundfragen ökologischer Stadtplanung.
Da Ökologie zwar als Forschungsgegenstand in verschiedenen natur- und auch sozialwissenschaftlichen Disziplinen theoretisch erfasst wurde, vergleichbare Grundlegungen im politischen, d.h. planungsrelevanten Sinn aber bis heute weitgehend fehlen, können wir keine Antworten versprechen. Wir zählen bei diesem Versuch vielmehr auf Ihre rege Beteiligung an unseren Diskussionen, die wir in den Veranstaltungen jeweils mit fokussierten Fragestellungen anstoßen wollen.
Die Schwierigkeiten einer planungsrelevanten Grundlegung von Ökologie liegen auf der Hand:
1. entziehen sich Ökosysteme grundsätzlich einer umfassenden und punktgenauen Planung und planbare Einzelmaßnahmen, auch Versuche einer „Wiederherstellung“, sind primär Eingriffe in bestehende Ökosysteme, mit beschränkter und nur teilweise kalkulierbarer Wirkung;
2. beschreiben Ökosysteme keine Zustände, sondern dynamische, wenn auch oft zyklische oder über lange Zeit regenerative Prozesse und stehen daher notwendig mit starren Zielvorgaben und Grenzwerten in Konflikt.
3. sind Ökosysteme in der Regel nicht abgrenzbar und stehen mit anderen in Austausch, wobei je nach Analyseparametern unterschiedliche Grenzziehungen und damit auch unterschiedliche Gebiete und Tiefen einer Planung gewählt werden können;
4. haben Ökosysteme an sich keinen Wert, der uns ausreichende Gründe geben könnte, ein bestimmtes System gegenüber einem anderen zu bevorzugen;
Ist ökologische Stadtplanung also überhaupt denkbar? Jedenfalls wird klar, dass „Stadtökologie“ als „bioökologische Forschung in der Stadt“ zwar Daten liefern kann, aber als Planungsansatz nicht genügt. Umgekehrt folgt „ökologisch orientierte Stadtplanung“ als politische Ideologie paradoxerweise nach wie vor antiurbanen Modellen, die zwar vom Immobilienmarkt erfolgreich bedient werden, da sie verbreitete Wunschvorstellungen von einem „naturverbundenen Leben“ im kleinen Maßstab ansprechen, die großräumigen und langfristigen ökologischen Auswirkungen von ressourcen- und schadstoffintensiven Lebensstilen aber ausklammern und dadurch umso bedrohlicher anwachsen lassen.

Wenn schon keine Antworten und Lösungen lassen sich doch vielleicht einige Eckpunkte angeben, von denen aus eine Überwindung der Schwierigkeiten und Fehlschlüsse einer ökologischen Stadtplanung möglich wird:
  Politische Relevanz können ökologische Fragestellungen nur dort gewinnen, wo sie nicht nur den Menschen miteinbeziehen, sondern die Überlebensbedingungen der Menschheit zum Gegenstand machen.
  Städte zeigen extremer als andere menschliche Lebensräume, dass wir, wo wir als Menschen mit Natur zu tun haben, überwiegend und wesentlich mit verwandelter, bearbeiteter Natur konfrontiert sind – also mit Kultur, im speziellen mit Architektur.
  Städte sind nur als Umbaufall zu verstehen, als Kopräsenz unterschiedlicher zeitlicher Schichten und Zyklen – die Analogie zur zyklischen oder regenerativen Dynamik von Ökosystemen wäre vielleicht ein näher zu untersuchender Anknüpfungspunkt.
  Während die mit der industriellen und postindustriellen Urbanisierung (d.h. auch mit städtischen Lebensstilen in ehemals ländlichen Regionen) verbundene hohe und nicht mehr lokalisierbare, sondern globale Freisetzung von Schadstoffen, Abfall und Betriebsenergie zur Bedrohung der Überlebensfähigkeit der Menschheit den größten Anteil beiträgt, birgt umgekehrt der bisher enorme mit der Erstellung der städtischen „Hardware“ verbundene Stoffumsatz eine Chance, die in der Geschichte der Stadt als deren Wesensmerkmal betrachtet wurde und einer Wiederentdeckung im Kontext der Ökologie harrt: Die aus natürlichen Ressourcen unter Anwendung von hochentwickeltem Wissen und hohem Aufwand an Energie und Arbeit zum Aufbau dieser „Hardware“ hergestellten Materialien in Form von Werken dauerhaft, werthaltig und nutzbar künftigen Generationen zu übergeben.
  Die Dauerhaftigkeit der vorhandenen wie auch der neu hergestellten städtischen „Hardware“ (sämtlicher topografischer, infrastruktureller und baulicher Fakten) sollte daher eigentlicher Gegenstand ökologischer Stadtplanung sein. Wenn die Struktur dieser „Hardware“ (also ihre Morphologie und Typologie auf unterschiedlichen Maßstabsebenen) ein gutes Leben auf einem entscheidend niedrigerem Energie-, Konsum- und Schadstoffniveau ermöglicht, wäre viel erreicht.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ökologische Stadtplanung ihre inhärenten Schwierigkeiten und Fehlentwicklungen nicht überwinden kann, solange sie nicht Stadt als kulturelle – architektonische – Leistung im weitesten Sinn versteht: Als Umbauprozess, der neben der Lösung der komplexen organisatorischen Aufgaben, Stoff- und Energiekreisläufe mittels Infrastrukturen und arbeitsteiliger Produktion nicht nur die Überlebensfähigkeit seiner BewohnerInnen garantieren soll, sondern auch Bedeutungen hervorbringt, die Regeln dieses Überlebens im kollektiven Bewusstsein wachhalten: nach dem griechischen Prinzip des „Oikos“ ginge es also um den Haushalt der Stadt.

Wir versuchen dieser Schwierigkeit durch eine Gliederung des Programms in drei Maßstabsebenen zu begegnen: 
„Die Region als Netz und System“ spricht im 1. Trimester die regionalen Infrastrukturverflechtungen am Beispiel Wien an. Die Veranstaltungen dazu werden auf der ÖGFA-Homepage kurz beschrieben.
Im zweiten Trimester fokussieren wir, in Übernahme des berühmten Buchtitels von Hans Bernoulli, unter dem Titel Die Stadt und ihr Boden auf den Bodenhaushalt der Stadt, also die konfliktreichen Beziehungen zwischen der Stadtstruktur und der begrenzten Ressource ihres Terrains. Versteht es die Stadt, ihr Terrain zum Territorium ihrer Entwicklung, auch ihres (inneren) Wachstums, zu machen?
Im dritten Trimester wollen wir schließlich nach dem Sommer „Das Haus im Stoffkreislauf“ thematisieren, also der Frage der nachhaltigen Materialität der Architektur nachgehen, aus der eine Stadt als „Hardware“ besteht.

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