18/08/2012
18/08/2012

Anita Vitek: „do you know where you are, do you know what you’ve done“, 1998, Video, 11:00 min.

©: Wenzel Mraček

Peter Gerwin Hoffmann: „Ein Bild nach einem Bild, Handschlag“, 1972

©: Wenzel Mraček

Gottfried Bechtold: „Fernsehen“, 1972 (Sammlung Neue Galerie Graz, Universalmuseum Joanneum)

©: Neue Galerie Graz

Gianni Colombo: „Vobulazione e bieloquenza NEG“, 1973 (Sammlung Neue Galerie Graz, Universalmuseum Joanneum)

©: Neue Galerie Graz

Richard Kriesche: „Kapellenstraße 41 (Innen/Außen)“, 1973 (© VBK Wien, 2012, Sammlung Neue Galerie Graz, Universalmuseum Joanneum)

©: Neue Galerie Graz

Kazuo Katase: „Selbstportrait“, 1978 (Sammlung Neue Galerie Graz, Universalmuseum Joanneum)

©: Neue Galerie Graz

Seit 1973 sammelt die Neue Galerie Videokunst. Mit der aktuellen Ausstellung betreibt das Kunsthaus Graz nun eine historische Rückschau im Vergleich mit jüngsten Werken eines Genres, für das wohl auch in absehbarer Zeit keine bessere Bezeichnung als „Medienkunst“ gefunden werden wird.

Die systematische Video-Überwachung im öffentlichen Raum wird inzwischen als „Closed Circuit Televison“ (CCTV) bezeichnet. Nachdem ein Parlamentarier im britischen Unterhaus vor Jahren die weiträumige Installation von Überwachungskameras mit dem Argument verteidigte, man erfahre so, wer die im öffentlichen Raum erfassten Personen seien und was sie dort täten, formulierte Anita Witek den Titel ihres 1998 entstandenen Videos als Frage: „do you know where you are, do you know what you’ve done“.

Die Intention der Künstlerin in dieser Arbeit reicht allerdings weit über pro und contra des verbreiteten Sicherheits-Arguments gegenüber den Überwachungskameras hinaus und erwies sich in der Praxis ihrer Recherche als berechtigte Kritik. Die Frage betrifft den Umgang, respektive die Möglichkeit von Selbstbestimmung über mediale Bilder, auf deren Entstehen kein Einfluss genommen werden kann. Und wie erwartet war es äußerst mühsam, in den Besitz der Videoaufzeichnungen aus dem Bereich der Londoner Underground, nämlich von „Bildern der eigenen Person“ (Witek in einem Gespräch mit W.M.), zu gelangen. Nach Absprache mit der Leitung der Überwachungszentrale war Anita Witek über Funk mit Monitor-und Kameraoperateuren verbunden, die entsprechend ihres Standortes die jeweiligen Kameras nach dem von ihr eingeschlagenen Weg schalteten. Damit entstand eine Art chronologischer Live-Schnitt. Die Videoaufzeichnungen allerdings wurden ihr nur insofern überlassen, als man ihr gestattete, die Sequenzen vom Monitor nochmals zu filmen. „do you know what you are, do you know what you’ve done“ wurde in die Sammlung der Neuen Galerie Graz aufgenommen und wird derzeit in der Ausstellung „medien.kunst.sammeln. Perspektiven einer Sammlung“ im Kunsthaus Graz gezeigt.

Das allerdings in denkbar merkwürdiger Positionierung, die vielleicht assoziativ auf urbane Verkehrswege reflektieren lassen soll: Auf dem Travelator zum Space 02 fährt man an einem Monitor vorüber, auf dem das Video zu sehen sein sollte. Das ist möglich, sofern man in der Lage ist, elf Minuten lang auf dem Laufband, mit Blick auf den Bildschirm, rückwärts zu gehen. Nachdem mir kein weiterer Besucher folgte, gelang mein Selbstversuch über einige Sekunden; dementsprechend fiel die Qualität des hier abgebildeten Fotos aus. Während mir der Moment der Wiedererkennung genügte, werden Nichteingeweihte Witeks Arbeit so wohl nicht kennenlernen.

Was in Graz als Sammlung 1973 mit Videos im Zuge der Ausstellung „trigon 73 – Audiovisuelle Botschaften“ begann, wird inzwischen international, und mangels einleuchtenderer Bezeichnung, „Medienkunst“ genannt. Seltsam eigentlich, haben sich doch seit je Bildhauer, Maler und Baukünstler verschiedener Mittel, Medien also, bedient, über die sie ihre Ideen und Intentionen manifestieren: Zeichnung auf Papier, Meisel auf Stein oder Pinsel auf Leinwand etc. Sprechendes Beispiel in diesem Zusammenhang einer Diskussion der tradierten gegenüber den „Neuen“ Medien ist gleich eingangs Peter Gerwin Hoffmanns „Ein Bild nach einem Bild, Handschlag“ von 1972. Das gemalte, stark abstrahierte Sujet zweier Politiker (?), die einander pressefreundlich die Hand geben, wird am unteren Bildrand in einem filmähnlichen Streifen nach seiner Genese quasi dokumentiert: im „Original“ (selbst schon eine Übertragung der Übertragung) einer Zeitungsfotografie und in Vorzeichnungen zum endgültigen Bild. Wesentliche Thematik im Werk von P.G. Hoffmann ist immer wieder die Untersuchung von Abbild und Realität beziehungsweise sind es die veränderten Bildaussagen unter Berücksichtigung der Darstellungsweisen. In seiner Serie der „Nachbilder“ (darunter der „Handschlag“) versuchte Hoffmann, die flüchtige und oberflächliche Wahrnehmung durch Medien übermittelter Bilder zu visualisieren.

Ebenfalls von Peter Gerwin Hoffmann stammt die 3D-Animation „Der teuerste Malkasten der Welt“ aus dem Jahr 1998. Er bediente sich des Grafikprogramms „Alias“ und spielte aus Zeitungen übernommene Schlagzeilen zu wirtschaftlichen und politischen Ereignissen ein, die so, völlig aus dem ursprünglichen Kontext gerissen, zum „nur mehr“ ästhetischen Feuerwerk gesamplet erscheinen.

Dass Konzeptkunst untrennbar mit Medienkunst in Verbindung steht, verdeutlicht Richard Kriesche mit seinem Beitrag zu trigon 73, „Kapellenstraße 41 (Innen/Außen)“. Wohnverhältnisse in der damals noch existierenden Barackensiedlung sind Thema der Arbeit. Der Innenraum einer Wohnung wurde fotografiert und 1:1 an der Fassade affichiert. Aufgezeichnet von zwei Videokameras waren nun die Außenbilder – jeweils auf Monitoren – in der Wohnung zu sehen und umgekehrt. Mit dieser öffentlichen Verschneidung zwischen privatem und öffentlichem Raum wollte Kriesche auf die prekäre Situation der Bewohner aufmerksam machen und Politiker zum Handeln drängen. Direkte oder indirekte Folgen sind unerforscht.

Technologie zur Perfektionierung menschlichen Vermögens in diversen Formen ist eigentlich bis in die Antike nachweisbar. In Teilen oder im Ganzen – die Frage nach (bereits praktizierten) Möglichkeiten der Substitution von Individuen dürfte ein sprachphilosophisches Desiderat bleiben.

Die Empathie des Betrachters wird jedenfalls angesichts der „Dummies“, die Tony Oursler seit Mitte der 1980er Jahre herstellt, aktiviert. Meist ist es sein eigenes Gesicht, das er als Videoprojektion auf die Köpfe kleiner Stoffpuppen projiziert, wobei Projektor und Lautsprecher sichtbar bleiben. Das tut dem Mitgefühl gegenüber einer dieser Puppen in der Installation „Fear“ (1996) in wirklich erschreckender Weise keinen Abbruch.

Und allen Raum in eine Nussschale steckten (mit James Joyce, „Finnegans Wake“) 1969 Hartmut Skerbisch und Manfred Wolff-Plottegg in ihrem Medien-Environment „Putting Allspace in a Notshell“. So könnte man dieses Konzept zumindest in oberflächlicher Betrachtung verstehen. Raum wird hier generiert durch verschiedenartige Spiegelungen in verschiedenartigen Medien, damit die Verflechtung von Umwelt und medialen Räumen suggeriert. Radio, Schrift, Spiegel und mit Bildschirmen verbundene Kameras erzeugen Oszillationen von Wirklichkeiten und ihren Vermittlungen. Das elegante Spiel mit einem inhaltlichen Paradoxon erschließt sich in Betrachtung von Joyce’ Formulierung „Notshell“. Phonetisch ist es eine „Nussschale“, schriftlich eine „Nichtschale“. Es geht also um den nicht eingefassten, den nicht zu fassenden Raum. Das damals nicht ausgeführte Konzept sollte zu trigon `69 eingereicht werden und wird im Kunsthaus Graz erstmals gezeigt.

"Groß ist der Raum, das Medium beschränkt. Mehr erfährt, wer selber denkt." (Wenzel Mraček)

Bis zum 28. April 2013 im Kunsthaus Graz: „medien.kunst.sammeln. Perspektiven einer Sammlung“.

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