18/05/2011
18/05/2011

Lisa Rücker, Grüne Vizebürgermeisterin in Graz. Foto: Grüne Graz

Im Juli vergangenen Jahres traf sich GAT mit der Grazer Vizebürgermeisterin Rücker zum Gespräch über die damals geplante Einführung der Umweltzone im Raum Graz. 10 Monate später hat sich diesbezüglich nicht viel getan, aber die politische Landschaft in der Steiermark hat sich verändert. GAT bat Vizebürgermeisterin Rücker, ein Resümee zu ziehen.

GAT: Ein weiterer Winter ist vergangen, die Feinstaubbelastung war so hoch wie schon lange nicht. Wird die von Ihnen vorgeschlagene Umweltzone umgesetzt oder ist sie ad acta gelegt?

Rücker: Dieser Winter war wieder ein Ausreißer nach vielen weniger schlimmen Wintern. Für die Umsetzung der Umweltzone brauchen wir den Willen seitens des Landes. Der neue Ressortchef Gerhard Kurzmann zeigt diesbezüglich keinerlei Interesse, auch auf Anfragen meinerseits zu diesem Thema gab es bislang keine Reaktionen.
Im Juni läuft jedoch die Verlängerungsfrist des EU-Verfahrens ab und es muss eine Reaktion geben, denn das Land muss argumentieren, warum die vorgeschriebenen Werte noch immer nicht erreicht sind und was diesbezüglich getan wurde. Ich kann nur sagen, dass in der Kommunikation bezüglich Umweltzone seitens des Landes absolute Funkstille herrscht.
Nach wie vor bemüht sich die Stadt sehr, auf dieser Ebene mit dem Land zu kooperieren. Aber Themen wie Verkehrsberuhigung, sanfte Mobilität, Fahrradverkehr, S-Bahn etc. sind auf der Agenda des Landes nicht vorgesehen beziehungsweise werden kaum berücksichtigt. Eine Antwort auf meine diesbezügliche schriftliche Anfrage beim Ressortchef ist noch immer ausständig.

GAT: Wie stehen sie zum Thema E-Mobilität, das von Ihrem Koalitionspartner ja sehr stark forciert wird? Bürgermeister Nagl möchte bis 2015 20.000 E-Mobile in Graz in Betrieb sehen. Woher wird der Strom kommen?

Rücker: E-Mobilität ist kein Allheilmittel, weil auch E-Mobile denselben Platz benötigen wie herkömmliche KFZ und ebenso einen hohen Ressourcenverbrauch mit sich bringen. E-Mobile bringen uns dann etwas, wenn ein Fahrzeug drei bis vier herkömmliche KFZ ersetzt. Der Energieaufwand für den Betrieb muss ausschließlich mit Photovoltaik gedeckt werden. Nur dann haben wir eine positive Ökobilanz.

GAT: Wie sieht es mit dem Shared-Space-Projekt am Sonnenfelsplatz aus? Wann wird es umgesetzt?

Rücker: Die Bauarbeiten werden im Sommer aufgenommen. Der Erfolg des in Gleinstätten umgesetzten Shared-Space-Projektes gibt uns recht und spornt uns an. Es wäre uns natürlich noch lieber gewesen, die erste Stadt in der Steiermark zu sein, die einen Shared Space umsetzt, aber in Gleinstätten war man schneller. Das nächste Shared-Space-Projekt nach Graz wird in Feldkirchen sein.

GAT: Das Atomunglück in Fukushima hat den Ruf nach alternativen Energieformen erneut verstärkt. Wasserkraft als grüne Alternative ist das Hauptargument für das Murkraftwerk in Puntigam.

Rücker: Natürlich sieht auch die grüne Politik Wasserkraft als positive Alternative. Bei diesem Projekt muss man sich allerdings die Details ansehen und diese werfen die Frage auf, ob die hohen Investitionen tatsächlich in einem vernünftigen Verhältnis zum geringen Output stehen. Wir erhalten durch das Kraftwerk lediglich einen Zugewinn von 74 Gigawattstunden Leistung im Jahr. Im Vergleich dazu könnten wir in Graz allein mit der Umrüstung der Elektroheizungen 300 Gigawattstunden Energie pro Jahr einsparen. Auch die Nachhaltigkeit des Kraftwerkes ist nicht gegeben. Es deckt gerade den Energiezuwachs der Steiermark für 3 Monate. Dann stehen wir wieder vor der gleichen Situation wie jetzt. Dafür lässt sich ein derart massiver Eingriff in den Naturraum nicht rechtfertigen.

GAT: Hätte es dennoch nicht auch seinen Reiz, den Fluss durch die Staustufe in der Stadt erlebbarer und als Freizeitfläche nutzbarer zu machen?

Rücker: Der Traum von smaragdfarbenem Wasser und einer schönen Freizeitlandschaft wie in den Isarauen wird sich mit der Mur in Graz nicht realisieren lassen. Es wird eher eine braune, aufgestaute Wassermasse mit der Gefahr einer verstärkten Algenbildung sein.Ein schönes Naturerlebnis ist ja auch derzeit mit der vorhandenen Aulandschaft gegeben. Der Fluss wird auch jetzt ‚erlebt’, die Rad- und Fußwege am Flussufer sind stark frequentiert. Man darf bei der gesamten Thematik die Ökobilanz nicht außer Acht lassen. Es werden große Flächen gerodet und auf den neuen Uferböschungen wachsen kaum Bäume oder andere Pflanzen an.

GAT: Die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Kraftwerk gebaut wird, ist allerdings sehr hoch?

Rücker: Ja, denn die ESTAG hat sehr großes Interesse daran. Aber man darf bei der ganzen Energiebeschaffung nicht vergessen, dass man von zwei Seiten arbeiten muss. Es geht nicht nur darum, alternative und neue Formen der Energiegewinnung zu finden. Man muss auf der anderen Seite auch umdenken und lernen, den eigenen Lebensstil so zu verändern, dass auch Energie eingespart werden kann.

GAT: Bei einer konkreten Umsetzung des Projektes wird wie vorgegangen?

Rücker: Nun, zu den ersten Schritten gehört eine Umweltverträglichkeitsprüfung, im Gemeinderat wird dann auch über eine sogenannte Ausgleichsfläche für die Rodungen entschieden, außerdem muss es eine sachlich begründete Auflistung aller Gründe für das Kraftwerk geben. Was die Rodungen betrifft, so war die ESTAG beim derzeitigen Bau des Kraftwerkes in Gössendorf bereits voreilig und ließ mehr Fläche roden als an sich notwendig, darüber muss gesprochen werden.Und es muss eine exakte Definition der Auflagen geben. Im Zusammenhang mit diesem Projekt ist es mir sehr wichtig, einmal alle Interessensvertreter zur Sprache kommen zu lassen. Zu diesem Zweck wird es Ende Mai eine Enquete zum Thema Murkraftwerk geben, im Rahmen derer alle Seiten beleuchtet werden können. ("Murenquete", 20.05.2011, 14.00-18.00 Uhr, Minoritensaal Graz; Anm. d. Red.)

GAT: Und das vieldiskutierte Gondelprojekt?

Rücker: Es ist kein Geheimnis, dass ich der Meinung bin, die Stadt hat wesentlich dringendere Projekte auf der Tagesordnung. Bis heute konnte mir auch niemand einen plausiblen und sinnvollen Einsatz dieses Megaprojektes darlegen, der eine 60 Millionen Euro Investition rechtfertigen könnte.

GAT: Wie sehen Sie Ihre eigene Zukunft? Ist Bundespolitik ein Thema?

Rücker: Nein, die Bundespolitik ist kein Thema, dazu bin ich viel zu gerne in der Steiermark. Es sind auch noch zu viele Projekte offen, die mir am Herzen liegen. Und für die man, wenn man wie ich ‚grün’ und ungeduldig ist, einen längeren Atem braucht, denn einiges dauert länger als einem lieb ist, vor allem, wenn man einen etwas ängstlichen Koalitionspartner hat. Aber diese Dinge möchte ich weiter vorantreiben. Ich freue mich allerdings auch, dass einige Ziele erreicht wurden und es positive Beispiele wie die erfolgreiche Umsetzung des Annenstraßenprojektes gibt. Ich bin der Meinung, dass diese Form der Bürgerbeteiligung für eine gute Stadtentwicklung enorm wichtig ist. Somit kann ich hier in Graz durch die grüne Politik dafür sorgen, dass es nicht nur bei Plänen bleibt, sondern dass man sie auch leben und erleben kann.
Aus diesem Grund werde ich bei den nächsten Wahlen auch wieder kandidieren.

GAT: Vielen Dank für das Gespräch.

KONTAKT:
Bürgermeister-Stellvertreterin Lisa Rücker (Grüne)
Rathaus, 2. Stock, Zimmer 242
Hauptplatz 1, 8010 Graz
T +43 (0)316/872-2020
F +43 (0)316/872-2029
buergermeisterstellvertreterin.ruecker@stadt.graz.at> > VERANSTALTUNGSHINWEIS:

"Murenquete"
Bürgermeister Mag. Siegfried Nagl und Vizebürgermeisterin Lisa Rücker laden die Grazer Bürgerinnen und Bürger zu einer Informationsveranstaltung ein, bei der
ExpertInnen über die Pros und Contras der Nutzung der Mur für Stromerzeugung im Stadtgebiet und die Möglichkeiten der Gestaltung des Murufers referieren.

WANN: Freitag, 20. Mai 2011, 14.00-18.00 Uhr
WO? Kulturzentrum bei den Minoriten
Großer Minoritensaal
Mariahilferplatz 3, 8020 Graz

Verfasser/in:
Susanne Baumann-Cox, Gespräch
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
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