27/12/2007
27/12/2007

Blick in die Ausstellung Modell Martin Kippenberger. Utopien für alle.

Martin Kippenberger, Palettenskulpturen, 1985 (vorne);

Martin Kippenberger, Worktimer, 1987

Martin Kippenberger, Sozialkistentransporter, 1989

Die Ausstellung „Modell Martin Kippenberger. Utopien für alle“ läuft noch bis 6. Jänner im Kunsthaus Graz. Das Kunsthaus vergibt sich dabei unverständlicherweise etliches an Chancen, die Bedeutung von Graz für Kippenbergers künstlerische Ausnahmekarriere darzustellen. Immerhin wird aber ein ansonsten guter Überblick auf die Vielseitigkeit des Gesamtkunstwerks Kippenberger geboten.

Wir alle bastelten doch voll Eifer und unerschütterlichem Selbstvertrauen an folglich wenig heiß geliebten Muttertagsgeschenken. Eierwärmer, Klebebilder und so weiter. Relativ rasch fand man sie im Keller wieder, bevor sie endlich, also nach Abklingen der sentimentalsten Bezüge, den Weg aller grausam unbeholfenen Herzigkeiten nehmen durften. Danach war Pause bis nun die nächste Generation, gleich unbeirrt wie wir und fachkundig angeleitet durch ihre Kindergartentante, zu Werke schreitet.

Wir alle waren damals Künstler. Denn mit der eigentlichen, echten Kunst ist es nicht um vieles anders. Zumindest aus der Sicht desjenigen, der für sich in Anspruch nimmt, das sogenannte Kunstsystem durchschaut zu haben. Der wird genügend Anhaltspunkte dafür finden, die markttypische Flachware in Analogie zum wohlbestallten Muttertagsgeschenk zu bringen. Auch wenn der Keller dann Depot heißt.

Martin Kippenberger war so ein Systemdurchschauer. Der wusste, wie mit Flachware kunstunsinnig, also besser, umzugehen wäre. „Modell Interconti“ heißt der Tisch, in dessen Platte er ein monochrom graues Bild von Gerhard Richter eingelassen hat. Womit, was Kunst zur Kunst macht, ex negativo deutlich werden kann. Realphilosophie zum Schrecken Arthur C. Dantos, der im Gefolge surrealistischer Gedankenspiele ja darüber nachdachte, was wohl passieren würde, wenn man ein Rubensölbild als Bügelbrett verwendete. Oder ganz in Dantos Argumentationslinie, Kunst als Verklärung des Gewöhnlichen zu sehen, wenn ein ebenso grau gestrichenes Pressspanplattenobjekt der Form nach an den 0815-Billigkleiderschrank, dem Titel nach an „Wittgenstein“ erinnern soll.

Wenn Kippenberger selbst Flachware produzierte, dann selten ohne Selbstironie. Zumindest nachdem der bei ihm anfänglich leicht diagnostizierbare, weil wild fuhrwerkende Hunger nach noch mehr Bildern einigermaßen gestillt war. Noch ganz im Stil der Neuen Wilden trug er dann in den 80er Jahren „Ertragsgebirge“ auf die Leinwand auf. Eines etwa zu den Wirtschaftswerten von Joseph Beuys, ergänzt durch auf die Öllandschaft geklebte Multiples des künstlerischen Sozialreformers, der als erster unser aller Künstlertum erkannte und so auch eine der wichtigsten Referenzfiguren für Kippenberger war. Oder er dachte sich das Guggenheim dekonstruktivistisch erweitert: „The Modern House of Believing or Not“ heißt das dazugehörige, mit Silikon verstärkte Ölbild aus 1985, das überraschende, visionär scheinende Ähnlichkeiten mit der Guggenheim-Filiale in Bilbao aufweist. Spätestens hier wird deutlich, wie architektonisch, ortsbezogen Kippenberger sich das System „Kunst“ zunächst vorstellte, um es anschließend aufzusprengen. Am konkretesten in seinem weltumspannend ausgelegten Metronetz, dessen ersten Eingang er 1993 auf Syros errichten konnte, wo er auch ein so deprimierend wie malerisch auf einem Hügel situiertes, in seiner Grundstruktur Erinnerungen an die Athener Akropolis wachrufendes Betonskelett kurzerhand zum „MOMAS (Museum of Modern Art Syros)“ erklärte. Kunst und Sozietät sind hier, architektonisch vermittelt, in eins gedacht. Die architektonische Form wird zum ikonografisch genutzten Paradigma. Genauso genial treffen Vorstellungen von auswechselbarer Moderne und sozialem Anspruch aufeinander, wenn Kippenberger seinen mehrmals variierten „Entwurf Verwaltungsgebäude für Müttergenesungswerk“ aus Europaletten der Deutschen Bahn schneidet, um sich damit einmal mehr auch am mütterlichen Über-Ich abzuarbeiten.

So wie die Ausstellung im Kunsthaus konzipiert wurde, könnte sie überall auf dieser Welt (gewissermaßen an jedem Kippenbergerschen U-Bahneingang) stattfinden. Die gemeinsam mit Albert Oehlen, Jörg Schlick und Wolfgang Bauer initiierte Geheimclubpersiflage „Lord Jim Loge“ wird ebenso an den Rand bzw. in den Katalog verdrängt wie Kippenbergers mit dem Forum Stadtpark oder der Galerie Bleich Rossi durchgeführten Projekte, die Kippenberger erst international bekannt machten. Hier hätte die Ausstellung einiges plausibler machen können.

Aber Müttergenesungswerke sind schon auch wichtig. Gerade im Hinblick auf den nächsten Muttertag.
Modell Martin Kippenberger
Utopien für alle
Bis 06.01.2008
Kuratoren: Peter Pakesch, Daniel Baumann

Kunsthaus Graz, Space01
Lendkai 1, 8020 Graz

Di-So 10.00-18.00 Uhr

Information:
T +43 (0)316/8017-9200
info@kunsthausgraz.at

Verfasser/in:
Ulrich Tragatschnig, Empfehlung
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