22/06/2022

Das Land wird hässlich

Die scheußlichen Gewerbezonen vor Ortschaften werden immer mehr und immer größer.

Dieser Artikel ist am 14.10.2020 in der Kolumne von Barbara Coudenhove-Kalergi in derStandard erschienen und wurde uns freundlicher Weise für GAT zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt.

22/06/2022

ShoppingCity Seiersberg 2022

©: Redaktion GAT

Schönheit ist ein Menschenrecht, verkündete vor Jahren der Autor und Journalist Günther Nenning. Nimmt man das wörtlich, stößt man heute bei jeder Autofahrt auf jede Menge Menschenrechtsverletzungen. Unser schönes Land wird von Jahr zu Jahr hässlicher.

Das sonnige Maiwetter lockt, Corona oder nicht, zu Fahrten übers Land. Und da zeigt sich, dass die scheußlichen Gewerbezonen vor den Ortschaften immer mehr und immer größer werden. Wie ein Krebsgeschwür breiten sie sich aus: Einkaufszentren, Lagerhallen, Produktionsstätten, scheinbar ohne Plan durcheinander aufgestellt. Hing’schissen, sagen die Einheimischen. Währenddessen veröden die historischen Ortskerne.

Muss das so sein? Gewiss, die Wirtschaft braucht Platz. Ein Autohaus kann nicht im Zentrum errichtet werden. Außerhalb der Ortskerne ist der Platz billig, und jeder Bürgermeister freut sich, wenn sich ein zahlungskräftiges Unternehmen in seiner Gemeinde ansiedelt. So weit, so gut. Aber warum ist das alles so gnadenlos hässlich?

Gewerbegebäude müssen nicht schön sein, erwidern darauf manche. Sie sollen praktisch und zweckmäßig sein und nicht zu teuer, sie sind keine Architekturdenkmäler, sondern Orte, wo gearbeitet wird. Sie sind Maschinen, keine Kunstwerke. Einverstanden. Aber auch in der Vergangenheit gab es Fabriken und Arbeitsräume, Wirtschaftsgebäude und Produktionsstätten. Sie hatten und haben ihre eigene Schönheit. Viele stehen heute unter Denkmalschutz. Die Backsteinbauten, wo einst geschuftet wurde, dienen jetzt nicht selten als Museen und finden in Architekturführern Erwähnung.

Orte mit "Gesicht"

Bei den Betonklötzen und Containerbauten in den Gewerbeparks von heute kann man sich das nicht vorstellen. Ja, diese Bauwerke dienen nicht der Kunst, sondern der Arbeit. Aber wie kommen eigentlich die Menschen, die hier arbeiten, dazu, den ganzen Tag in einer hässlichen Umgebung zu verbringen? Welche Wirkung hat diese Umgebung auf ihre Lebensqualität, ihre Zufriedenheit, ihre Gesundheit? Und warum wird aus den Ansammlungen von Hallen und Verkaufsräumen eigentlich nie so etwas wie ein Grätzel, ein Dorf, eine Vorstadt? Warum kann man sich nicht vorstellen, dass sich hier irgendjemand zu Hause fühlen kann, und nicht, dass er froh ist, diesen Ort nach getaner Arbeit oder getanem Einkauf so schnell wie möglich wieder zu verlassen?

Es gibt heutzutage mehr Stadtplaner, Urbanisten, Architekturtheoretiker als je zuvor. Wieso, fragt sich der Besucher, ist es all diesen begabten Leuten bisher nicht gelungen, aus all den Agglomerationen Orte mit einem "Gesicht" zu machen, Räume, in denen es sich leben lässt? Österreich ist überreich an schönen Dörfern, Städtchen und Märkten. Es ist eine Freude, über den Hauptplatz zu gehen, mit der Kirche, dem Rathaus, den Geschäften. Viele von diesen haben freilich in letzter Zeit zugesperrt. Mehr werden ihnen folgen. Aber um diese Pracht legt sich wie eine erstickende Klammer die sogenannte Wirtschaftszone.

Lässt sie sich sanieren? Höchste Zeit, dass irgendjemand hier das Menschenrecht auf Schönheit einfordert. 

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Quelle:
Coudenhove-Kalergi, Barbara (14. Mai 2020): Das Land wird hässlich. derStandard.

https://www.derstandard.at/story/2000117471513/das-land-wird-haesslich (Stand: 29. Mai 2022)

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