03/02/2009
03/02/2009

Die Bürgerinitiative „5 vor Graz“ lud am 27. Jänner 2009 zu einer BürgerInnenversammlung in den Volksgarten-Pavillon in Graz.

Existenzängste der Annenstraßenkaufleute waren für Gerald Sattler, Sprecher von „5 vor Graz“, der Hauptgrund für die Gründung der BürgerInneninitiative.
Peter Weixelberger und Klaus Strobl vom Institut für Urban Management präsentierten eine neue Studie zur Annenstraße mit dem Titel „Chronischer Patient, Krankheitsgeschichte und Therapiemöglichkeiten“. Daraus geht hervor, dass Graz derzeit bereits eine Versorgungsdichte mit Einkaufszentren von 73 m² pro EinwohnerIn hat. Im Vergleich dazu kommt Wien auf 34 m² pro EinwohnerIn. Mit den Erweiterungsplänen der bestehenden Einkaufszentren und des ECE Annenstraße erhöht sich die Dichte auf 146 m² pro EinwohnerIn. Wien kommt mit Erweiterungsprojekten auf lediglich 45 m² pro EinwohnerIn. Weixelberger und Strobl untersuchten verschiedene Therapiemöglichkeiten für die Annenstraße und kamen zum Schluss, dass die geplante Lösung mit dem Bau des Einkaufszentrums ECE als reine Symptombekämpfung zu verstehen sei. Sie setzen daher auf einen integrativen Ansatz mit Ursachenbehandlung und Neuausrichtung. So könnten in der Annenstraße ein Verwaltungsbezirk entstehen, die Annenstraße zu einer Veranstaltungsstraße mit mehr Gastronomiebetrieben entwickelt und die City of Design eingebunden werden. Als Vergleichsprojekt mit integrativem Ansatz wird Lienz angeführt (siehe LINK am Ende dieser Seite).

Der ehemalige Kulturstadtrat Werner Miedl war als Mitglied von „5 vor Graz“ ebenfalls anwesend. Er betonte bei der BürgerInnenversammlung, dass es ihm nicht um eine Abrechnung mit dem Grazer Bürgermeister Siegfried Nagl gehe, sondern um die Erarbeitung einer Alternative zum Projekt ECE. Er wisse, dass das Land Steiermark den Bebauungsplan kippen werde und sieht darin ein großes Versäumnis vonseiten der Stadt, da der Bebauungsplan über die BürgerInnen hinweg beschlossen wurde. Man habe sich damit alle Optionen vergeben. Miedl befürchtet, dass, wie bei der SCS Seiersberg, das Projekt filetiert und in kleinere Bauabschnitte zerlegt werden könnte, um die UVP (Umweltverträglichkeitsprüfung) zu umgehen. Genau das will die BürgerInneninitiative verhindern. Für eine Redimensionierung des Megaprojektes ECE zeigte man sich gesprächsbereit.

Die anwesenden VertreterInnen der ECE verteidigten naturgemäß ihr Projekt. Der Standort Graz sei durch die aktuelle Wirtschaftskrise nicht gefährdet, obwohl man anderswo Projekte eingestellt habe. Mit der neuen Verkehrslösung (Rampe für die Straßenbahnunterführung) sei man zwar nicht glücklich, man werde aber den vereinbarten Beitrag von 9 Mio Euro auch für diese Verkehrslösung zahlen. (In dieser Summe sind sämtliche Abgaben und Gebühren, die ohnehin bezahlt werden müssten, enthalten; Anm.) Mit dem Hervorheben ihrer Sponsortätigkeiten (Platzgestaltung Metahofplatz, Leerstandsmanagement, Grazer Design Festival) stellte sich die ECE den Anwesenden des Abends als „merkwürdige Wohltäterin“ dar.

Bezirksvorsteher Otto Trafella und BewohnerInnen verwiesen auf das ungelöste Verkehrsproblem - das Verschwinden der Traungauergasse. Diese Verbindungsstraße zwischen Annenstraße und Niesenbergergasse müsste zugunsten des ECE-Projektes als öffentliche Verbindung weichen. Drohende Megastaus durch die zusätzliche Linksabbiegespur am Gürtel und der nicht vorhandene Schutz der Nachbarn vor einer zusätzlichen Lärmbelastung wären die Folge. Trafella bezweifelt den Aufschwung für die Annenstraße durch die ECE. „Wieso sollte jemand in der Annenstraße einkaufen, wenn es in der ECE 130 Geschäfte mit 1200 Parkplätzen gibt?“ Peter Kaiser von der BügerInneninitiative „ECE – nein danke!“ bedauert außerdem, dass es bei der Diskussion um die ECE vorrangig um die wirtschaftliche Interessen gehe und nicht um den Lebensraum Annenstraße.
Miedl kündigte schließlich für Ende Februar eine weitere Veranstaltung mit ExpertInnen aus Deutschland an.

Verfasser/in:
Elisabeth Lechner, Bericht
Peter Kaiser

Herr Bürgermeister Nagl hatte sich vor einiger Zeit für ein Bettelverbot stark gemacht, da ihm die bettelnden Menschen eine optische Störung im schönen Stadtbild von Graz darstellten.
Ebenso will er Punker und andere Randfiguren der Gesellschaft aus dem (Innen-)Stadtbild verbannen.
Dabei ist den zu eliminierenden Mitmenschen kein kriminelles Verhalten vorzuwerfen. Sie passen bloß nicht in das "City-Styling" Herrn Nagls (er gehört nämlich zu der Partei mit den christl. Grundwerten).
Was das alles mit dem ECE zu tun hat?
Nun, er ist gerade dabei, öffentlichen Grund, der ihm gar nicht gehört, einfach so zu verscherbeln.
Öffentlicher Raum wie die Niesenbergergasse und Traungauergasse sollen vom ECE verschluckt werden - wir GrazerInnen wurden nicht einmal gefragt.
Hier stellt sich nun berechtigt die Frage nach Herrn Nagls grundsätzlichem Demokratieverständnis.
Die Unbekümmertheit, mit der hier Entscheidungen von großer Tragweite getroffen werden, ohne daß die Betroffenen in den Entscheidungsprozess einbezogen werden erinnert an Gutsherrenart.
Klar: Herr Nagl wurde gewählt und muß Entscheidungen selber treffen. Aber was, wenn er unsere Stadt - unseren Lebensraum - so gravierend verändert und es "in die Hose geht" ? Alles dann schnell mal rückgängig machen? Hmm... dazu wird es dann zu spät sein.
An den genannten Punkten kommt mir immer wieder die Frage auf, was das für Leute sind, die da im Rathaus sitzen und das Geschick der Stadt lenken. Unter Demokratie verstehe ich etwas anderes; da verwaltet einer die Stadt wie einen Familienbetrieb...
Eigentlich hat unsere Stadt solch eine Stadtregierung nicht verdient.

Mi. 04/02/2009 11:47 Permalink
Manfred W.

trotz aller Bemühungen der BürgerInnen wird die Stadt Graz das Projekt ECE Annenstraße durchziehen, um jeden Preis. Und das - oft wurde darauf hingewiesen und man kann es eigentlich gar nicht mehr hören - obwohl es zahlreiche Beispiele (in Deutschland)der negativen Auswirkungen von Einkaufszentren in der Größenordnung einer ECE Annenstraße auf die innerstädtische Entwicklung gibt, man beachte auch das Beispiel Klagenfurt. In politisch korrekter Art wird der/dem nicht so eloquenten Bürger/in immer wieder dargelegt, warum Graz unbedingt ein weiteres Einkaufszentrum braucht. Pseudo-BürgerInnenbeteiligungsprojekte dienen der Beschwichtigung, den in Wirklichkeit haben die EntscheidungsträgerInnen der Stadt Graz alles längst entschieden. Die Grünen sind zum Thema ECE übrigens komplett verstummt.

Di. 03/02/2009 4:27 Permalink
Karin Tschavgova

Was passieren wird, wenn das ECE nicht den gewünschten Geschäftserfolg bringt und/oder seine Betreiber-Gesellschaft das Interesse am Standort Graz verliert (siehe aktuell der durchaus florierende Otto Versand) das lässt sich mit dem ebenfalls derzeit aktuellen Szenario der Thalia vergleichen. Der Investor Acaton will sich das Baurecht, das ihm die Stadt für, wenn ich mich richtig erinnere, 45 Jahre gewährt hat, versilbern lassen, indem er es der Stadt zum Rückkauf anbietet. Ein privater Investor erkennt, dass seine Kalkulation falsch war und will das Beste daraus machen. (hier trifft wie bei der sogenannten Bankenkrise - eine Bezeichnung, die ich in ihrer Verfälschung der kriminellen Machenschaften nicht mehr hören kann - zu: Gewinne werden privatisiert, Verluste trägt die Gesellschaft). Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen ...! Hätte die Stadt seinerzeit selbst mutig die Kosten für die Probebühne der Oper und die Renovierung der Thalia in die Hand genommen oder sie über eine BIG, LIG oder GBG-ähnliche Gesellschaft errichten lassen und sie über ein Leasingverfahren zurückgekauft, so hätte man die Gestaltungshoheit nicht aus der Hand gegeben und - unter der Voraussetzung, es gäbe in der städtischen Politik/Verwaltung eine Persönlichkeit mit Visionen, Kompetenz, Mut, Durchsetzungsvermögen und der Fähigkeit realistischer Einschätzungen - man hätte sich damit beschieden, die Potenziale des 50er-Jahre Baues der Thalia hervorzuheben und das Cafè wieder in alter Pracht aufleben zu lassen. Das wäre gut gegangen, ein Pachtertrag sicher gewesen, behaupte ich, und die Belastung durch die Leasingraten nicht höher als das, was man Acaton jetzt dafür zahlen wird, um eine städtebauliche Katastrophe mit einem zerstörten Baujuwel samt vernichtetem Gastgarten teuer zurückzukaufen. Na dann, Herr Finanzstadtrat (früher fürs Bauen in dieser Stadt politisch verantwortlich) denken Sie weiter nach über diese Option. Verbessern wird es nichts, denn der Murks lässt sich nicht mehr rückgängig machen, nicht einmal das Sprengen des Bunkers/Probebühne im engen städtischen Verband wäre eine Option. Schon traurig, dass in dieser Stadt immer alles nur, mehr schlecht als recht, verwaltet wird und weit und breit kein vorausschauendes politisches Schwergewicht auszumachen ist. 1929 hat die Stadt Graz sich (sagt man) die städtische Kanalisation von einer amerikanischen Gesellschaft finanzieren lassen und diese Investition bis in die 1960er Jahre zurückgezahlt. Wer weiß, ob wir andernfalls schon eine umfassende städtische Kanalisation hätten.......

So. 08/02/2009 12:29 Permalink
DI Petra Kickenweitz

Warum wird die Annenstrasse ständig negativ stigmatisiert? Warum sollte die Annenstrasse zu einer hochglanz Einkaufsstrasse werden - nur weil sie das mal war - aber nicht mehr ist? Die Zeiten wandeln sich - eine Einkaufsstrasse ist eben nicht mehr das was es mal war - sie wurde weitgehend durch Einkaufszentren ersetzt. Abgesehen davon ist die Annenstrasse nicht so tot, wie jeder sie gerne hätte - sie lebt: Meiner Meinung nach ist sie bereits Zeichen des funktionierens von Migration (bzw. Integration) und Urbanistik. Urbanes Leben findet immer dort statt wo sich etwas bewegt - fluktuiert und reglementiert wird.
Dazu gibt es unzähliche Beispiele die gerade in einem Buch - das ich sehr empfehlen kann - erschienen ist:
Urban Recycling, Migration als Großstadt-Ressource, Reihe: Bauwelt Fundamente , Band 140, 2009.

Di. 03/02/2009 9:36 Permalink

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