16/05/2013

Am 11. und 12. Oktober 2012 wurde die Ausstellung Berg der Erfahrungen von Studierenden des Instituts für Stadt und Baugeschichte der TU Graz im Rahmen der Zweiten Leerstandskonferenz von nonconform architektur vor ort in Eisenerz gezeigt.
Ausstellungsteam:
Nino Bijelic, Petra Bachner, Martina Thaller, Nadia Degasperi, Bernhard Schabbauer, Oliver Jungwirth

16/05/2013

Plakat der Ausstellung mit Diagramm

©: TU Graz - Institut für Entwerfen im Bestand und Denkmalpflege

Ausschnitt aus dem Diagramm

Abwanderungsströme von Eisenerz, Voitsberg und Judenburg; Grafik

©: TU Graz - Institut für Entwerfen im Bestand und Denkmalpflege

Besichtigung der Ausstellung "Berg der Erfahrungen"

©: Oliver Jungwirth

Workshop zum Thema Schrumpfung mit Univ.-Prof. DI Dr.Gerlind Weber im Ausstellungsetting.

©: Oliver Jungwirth

Resümee zur Ausstellung von Studierenden der TU Graz im Rahmen der Zweiten Leerstandskonferenz 2012 (11./12.10.2012) in Eisenerz.

Das Phänomen der Schrumpfung stellt seit 2006 einen thematischen Schwerpunkt des Instituts für Stadt- und Baugeschichte der TU Graz, unter der Leitung von Simone Hain, dar. Schrumpfung ist zwar als globales Phänomen zu verstehen, der Fokus wird aber immer auf einen unmittelbar regionalen Kontext gelegt. Aufgrund des auch in der Steiermark spürbaren Strukturwandels, der für den ländlichen Raum mittlerweile zu einem massiven Problem geworden ist, standen zu Beginn Untersuchungen im Raum Köflach und Voitsberg. Danach konzentrierte man sich auf die Stadt Eisenerz, die im östlichen Alpenraum das signifikanteste Beispiel einer „schrumpfenden Stadt“ darstellt. Die 2012 von „nonconform architektur vor ort“ schon zum zweiten Mal abgehaltene Leerstandskonferenz stand unter dem Titel „Der Berg schrumpft – Leerstand im Alpenraum“ (GAT berichtete). Sie bot einen idealen Rahmen, die Ergebnisse von zwei Masterprojektübungen in Eisenerz einem breiten Fachpublikum zu präsentieren. Theoretische Auseinandersetzungen zum Thema Schrumpfung und die Erfahrungen in den Projekten in Eisenerz dienten als Grundlage für ein dreidimensionales Diagramm, das sich Baustein für Baustein zu einem „Berg der Erfahrungen“ fügen ließ. Der Name der Ausstellung stand exemplarisch für die Lernprozesse, die die Studierenden in den beiden Lehrveranstaltungen gemacht hatten.

In den bearbeiteten steirischen Regionen liegt der Ursprung der Schrumpfung in erster Linie in der Zeit der Industrialisierung, als Produktionsprozesse automatisiert und zentralisiert wurden. Die Folge dieser Entwicklung ist eine starke Abwanderung der vorwiegend jungen Bevölkerung. Dieser Prozess wurde anhand einer Grafik, die die Abwanderungsströme von Eisenerz, Voitsberg und Judenburg zeigte, beschrieben. Gegenwärtig stellt Schrumpfung längst keine gesellschaftliche Anomalie dar, sondern ist vielmehr zur Normalität geworden. Seit Jahrzehnten sind Wachstum, Fortschritt und Leistungssteigerung die Prämissen der gesellschaftlichen Entwicklung. Dieser Umstand erklärt auch, warum Schrumpfung aktuell noch tabuisiert wird. Wir stehen aber, wie uns die seit 2008 andauernde Finanzkrise zeigt, am Ende einer ökonomischen Wachstumsperiode. Der Strukturwandel hat Leerstand von Wohnungen, Büros und Gewerbeflächen und einen dramatischen Rückgang der Bevölkerung zur Folge. Der Überschuss an frei gewordenen Räumen erlaubt es aber, neue Sichtweisen für die Nachnutzung zu eröffnen.

Bei näherer Betrachtung schrumpfender Gebiete kann man erkennen, dass gerade in der Schrumpfung Wachstum liegt. Es handelt sich dabei nicht um Wachstum im ökonomischen Sinn, sondern um die Möglichkeit der Stärkung sozialer Strukturen in diesen Regionen. Oft wird das Reduzieren auf autarke Einheiten erkennbar. Somit wird auch die Entscheidungsgewalt über Ressourcen dezentralisiert. Gewinnorientierte Entwürfe weichen temporären Nutzungen. Das kann den Ausgangspunkt für alternative Entwicklungen darstellen. Man schafft soziale Interaktionen, die über den Ort selbst weit hinausreichen können, und wertet damit das Vorhandene kulturell um. Aus diesen Betrachtungen heraus ergibt sich eine neue Rolle des Architekten. Anstatt neu zu bauen und konkurrierende Nutzungsansprüche zu koordinieren, ist es nun seine Aufgabe, räumliche und soziale Potentiale zu erkennen und diese auch zu vermitteln. Dies führt wiederum zur Stärkung des Regionalen. In diesen „Entwurfsprozessen“ ist es notwendig, dass Fachdisziplinen wie Raumplanung, Kulturanthropologie oder Soziologie eng miteinander kooperieren. Der Architekt kann sozusagen als Bindeglied zwischen den einzelnen Disziplinen gesehen werden. Somit stellt er eine Schlüsselrolle innerhalb der Autonomisierung von Schrumpfungsregionen dar.

Der nächste Baustein in unserem Erfahrungsprozess war das Forschen in Eisenerz selbst. Die zentrale Aufgabe der Masterprojektübung im Sommersemester 2010 war die Suche nach guten Gründen, Mitteln und Wegen, Eisenerz als Weltkulturerbe der Menschheit zu erhalten. Es ging bei dieser Aufgabenstellung nicht nur um die rein kunstgeschichtliche Erforschung einzelner denkmalgeschützter Objekte der Altstadt, sondern vielmehr um den direkten Kontakt mit der Eisenerzer Bevölkerung. Beispielsweise wurden in dieser ersten Phase alle Studien, die in den letzten 40 Jahren erstellt worden waren und zum größten Teil ohne Umsetzung geblieben sind, gesichtet und ausgewertet. Den Schluss- und Höhepunkt der Übung stellte eine Präsentation der Arbeiten dar, die die einzelnen leer stehenden Objekte bespielten und den BewonhnerInnen die Möglichkeit bot, die Gebäude zu besichtigen. Damit wurde versucht, das Bewusstsein „So schön ist Eisenerz“ zu schaffen und ihnen somit ein Stück Identifikation mit Eisenerz zurückzugeben.

Aufgrund der durchgeführten Feldforschung im Sommersemester 2010 war es möglich, die Jugendlichen als die Gruppe herauszufiltern, die von der Schrumpfungssituation am stärksten betroffen ist. Es lag daher nahe, sich dieser Gruppe in einer zweiten Masterprojektübung im Wintersemester 2010/11 zu widmen. Die leittragende Intention in der zweiten Projektübung war die eines transdisziplinären Austausches von Architektur und Kulturanthropologie. Schnell kristallisierte sich der Wunsch heraus, eines der leer stehenden Objekte der Stadt zu nutzen. Die Nutzung stand zu Beginn der Arbeiten in Eisenerz noch nicht fest. Erst nach einem Ideenwettbewerb der projektbeteiligten Studierenden wurde das realisierbare Ziel definiert, eine Musikband dabei zu unterstützen, einen Proberaum in einem der leer stehenden Objekte einzurichten. Dieser Raum sollte allen Jugendlichen offen stehen und damit einen neuen Umgang mit Leerstand exemplarisch vorführen. Die weitere Projektphase hat aber gezeigt, dass dieses Ziel nicht so einfach zu verfolgen war. Es lässt sich in Eisenerz noch immer der Wunsch erkennen, einen großen Teil des vor allem denkmalgeschützten Leerstandes durch Nachnutzung einem wirtschaftlichen Gewinn zuführen zu können. Dieser Umstand zeigte sich auch in zahlreichen Diskussionen mit Verantwortlichen vor Ort.
Die Conclusio unserer bisherigen Erfahrungen lässt sich demnach wie folgt zusammenfassen: Ungeachtet jeglicher ideologischer Theorien wird deutlich, dass die den Schrumpfungsprozessen zugrundeliegenden Ursachen hohe Komplexität besitzen und sich nicht zu allgemeingültigen Lösungen vereinen lassen. Jeder Ort muss gesondert betrachtet und verstanden werden.

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