Bilanz einer Altstadthüterin
Ad ASVK
1975 wird eine Europäische Kampagne für Denkmalschutz unter Unser Lebensraum braucht Schutz ins Leben gerufen, die gegen verödete Stadtzentren und kahle Siedlungsblöcke mit Abstandsgrün den historischen Formenreichtum der (Innen-)Stadt entgegensetzen möchte. In der Deklaration, die dem Bauerbe-Kongress von Amsterdam 1975 folgt, heißt es: „The conservation of the architectural heritage should become an integral part of urban and regional planning, instead of being treated as a secondary consideration or one requiring action here and there as has so often been the case in the recent past. A permanent dialogue between conservationists and those responsible for planning is thus indispensable.“ (1)
Auch die Grazer Altstadt hatte durch die Phase des Wiederaufbaus und Wirtschaftsbooms Ende der 60er Jahre und Anfang der 70er Jahre mit einschneidenden Veränderungen zu kämpfen. 1972 wurde, nachdem im Landhaushof Probebohrungen für eine Tiefgarage vorgenommen worden waren, von der Kleinen Zeitung, der Südost-Tagespost, der Neuen Zeit und dem ORF -Landesstudio Steiermark eine Unterschriftensammlung Rettet die Grazer Altstadt ins Leben gerufen; die massive mediale Unterstützung mündete in einem verstärkten Problembewusstsein über den Umgang mit der Altstadt. Der massive Druck der Öffentlichkeit führte zum Grazer Altstadterhaltungsgesetz 1974, das über das Vorbild des Salzburger Altstadterhaltungsgesetz 1967 insofern hinausgeht, als in Graz nicht nur das Erscheinungsbild für wesentlich erachtet wird, sondern auch Baustruktur und urbane Funktion: Eine zweiteilige Schutzzone wird bestimmt, in deren Kernzone (entspricht in etwa der Inneren Stadt sowie der Murvorstadt) neben der Erhaltung der äußeren Gestalt auch der Schutz der Baustruktur sowie die Funktion vorgeschrieben sind.
Beim Amt der Landesregierung wird eine unabhängige Sachverständigenkommission (ASVK) eingesetzt; zu ihren Aufgaben zählt die Erstellung von Gutachten und Stellungnahmen, die dem Vollzug des Altstadterhaltungsgesetzes durch die Baubehörde der Stadt Graz dienen. Diese Gutachten sind für die Baubehörde, die letztlich entscheidet, rechtlich zwar nicht bindend; doch seit der Einführung des Altstadtanwaltes, der vor dem Landesverwaltungsgericht für die ASVK Position berufen kann, übernimmt die Behörde „in ca. 90 % der Fälle die ASVK Entscheidung als Grundlage für die behördliche Entscheidung“.
1979 wird das Schutzgebiet um die Zone III (Biedermeier und Gründerzeitquartiere aus dem 19. Jahrhundert) erweitert; 1982 werden die dörflichen Ensembles der Vorstädte unter Schutz gestellt. Als 5. Schutzzone wird 1991 das Gebiet um den Kalvarienberg einbezogen. Ab Jänner 2020 gibt es zwei neue Schutzzonen, VI/1 umfasst das Villenviertel Waltendorf und VI/ 2 die Gartenstadt St. Peter.
Außerhalb dieser Schutzzonen ist der 2011 gegründete Fachbeirat für Bauprojekte zuständig, dessen Handlungsspielraum allerdings auf Projekte einer Größe von mindestens 2000 m2 Bruttogeschossfläche außerhalb der Gewerbezone beschränkt wurde.
Im Herbst 2003 wurde das denkmalgeschützte Kommod-Haus Ecke Einspinnergasse/Burggasse (Schutzzone I) trotz negativem Gutachten der Altstadtkommission und nach heftigen Bürgerprotesten mit der Begründung der „wirtschaftlichen Unzumutbarkeit der Erhaltung“ abgerissen – damals gab es die Position des Altstadtanwaltes noch nicht; eine kritische Debatte um Innenstadtbauspekulation, hörige Politiker und die Machtlosigkeit des bestehenden Altstadtschutzes setzen ein.
Die im Mai 2005 unter der Schirmherrschaft der UNESCO in Wien stattfindende internationale Konferenz Weltkulturerbe und zeitgenössische Kultur weist wiederum auf die Problematik der Musealisierung der Stadt hin: Stadt als lebendiger Organismus sollte zwar dem Ensembleschutz verpflichtet sein, aber gleichzeitig auch das Einfügen neuer, qualitativ hochwertiger Architektur zulassen. Eine Koexistenz von historischer und zeitgemäßer Architektur wird als neues Ziel der Stadtplanung Graz definiert.
Die Aktualisierung und gesetzliche Anpassung der Bestimmungen führte zum erneuerten Grazer Altstadterhaltungsgesetz, das ab 1. Dezember 2008 rechtswirksam wurde. Auch stadteigene Baumaßnahmen sind diesem Gesetz und somit dem Gutachten der ASVK unterworfen, zu Flächenwidmungs- und Bebauungsplänen im Schutzgebiet muss eine Stellungnahme der ASVK eingeholt werden. Gegen vom ASVK-Gutachten abweichende Entscheidungen der Baubehörde hat der Altstadtanwalt ein Einspruchsrecht.
Die ASVK setzt sich aus acht Mitgliedern, acht Ersatzmitgliedern und zwei beratenden JuristInnen zusammen, die von der Steiermärkischen Landesregierung für die Dauer von fünf Jahren bestellt werden, wobei eine einmalige Wiederbestellung möglich ist. Dabei werden je sechs Mitglieder vom Land Steiermark nominiert (inklusive der beratenden JuristInnen), vier von der Stadt Graz, zwei von der Architekturfakultät der TU Graz, zwei von der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der KFU Graz, zwei von der Wirtschaftskammer Steiermark und zwei von der Kammer der ZTInnen für Steiermark und Kärnten. Vorsitzende oder Vorsitzender und Stellvertreter der ASVK werden seit 2015 von den Kommissionsmitgliedern gewählt.
(1) Online unter dem Link
https://www.icomos.org/en/and/169-the-declaration-of-amsterdam
Dankeschön
liebe Gertraud, für Dein Engagement, die offenen Worte in diesem Interview und das klare Aufzeigen der Probleme des Altstadtschutzes. Es ist schade, dass die österreichische Bundesverfassung noch immer verlangt, dass die Arbeit einer so wichtigen Institution meist im Dunkeln bleiben muss. Dadurch wird bei den Bürgern oft ein falscher Eindruck erweckt und eine Identifikation mit dem Sinn des Altstadtschutzes erschwert. Ich hoffe wie Du sehr auf einen bald transparenteren Staat.
Viel Erfolg mit den neuen Aufgaben, auch hier ist Dein Wissen sehr gefragt.