02/11/2015

Friedrich Achleitners Blick auf Österreichs Architektur nach 1945

Linzer Vorlesungen, Herausgegeben von der Kunstuniversität Linz, Roland Gnaiger | die architektur

  • Fotos und Texte von Friedrich Achleitner, dem Nestor der österreichischen Architekturgeschichte
  • Historische Darstellung der österreichischen Nachkriegsmoderne
  • Die legendäre Vorlesung in kompakter Buchform

Rezension von Marion Starzacher, seit 2015 als Professorin an der Kunstuniversität Linz tätig.

02/11/2015

Friedrich Achleitners Blick auf Österreichs Architektur nach 1945.

©: Birkhäuser Verlag

Friedrich Achleitner wiederholte in den Jahren 2010–2012 an der Kunstuniversität Linz seine legendäre, über 40 Jahre entwickelte und vielfach vorgetragene Vorlesungsreihe zur Architektur Österreichs nach 1945. Diese Vorlesung wurde nunmehr von der Kunstuniversität Linz durch Roland Gnaiger bei Birkhäuser herausgegeben.

Mit einiger Aufregung und Freude habe ich dieses Werk aufgeschlagen:
Ein weißer Umschlag versehen mit schwarzen, grauen und weißen Buchstaben, umhüllt ein ebenso gestaltetes weißes Buch. In diesem Buch befinden sich – ausgesucht, besucht, dokumentiert und kommentiert – 162 Architekturprojekte Österreichs seit 1945 bis 2000. In 10-Jahresschritten, beginnend mit 1950 und mit einem einleitenden Vorwort versehen, zeigt uns Achleitner ausgewählte Projekte des jeweiligen Dezenniums, eingeteilt in Gebäudetypologien, sodass ein direkter Vergleich zwischen den Projekten möglich ist.

Es gibt eine kurze theoretische Einführung mit Querverweisen zu historischen Bezügen aber auch mit Verweisen zu architektonischen, technischen Entwicklungen, Ähnlichkeiten und Architekten. Die Architekturprojekte werden auf mindestens zwei Doppelseiten mittels Foto, Plan und Kurztext präsentiert; es kann eine Hierarchie der Projekte herausgelesen werden, in der Art und Weise, wieviel von einem Projekt gezeigt wird. Ein großes Thema bei der Bearbeitung der Inhalte war die Transkription des gesprochenen Wortes in eine verschriftliche aber einfache Sprache. Kompakt und informativ, so war die Vorgabe der Projekttexte, was natürlich eine Herausforderung darstellte. Die Auswahl der Projekte erfolgte nach eigenen Kriterien, es wurde jedes von Achleitner besucht, fotografiert, oftmals vermessen, um neue Pläne herstellen zu können. Diese persönliche individuelle Selektion der Objekte wurde anschließend mit pointierten Erklärungen versehen, illustriert mittels Grafiken, Plänen und Fotografien.

In der Beschreibung der einzelnen Projekte gibt es neben den Projektdetails auch eine theoretische Einbettung in das aktuelle Denken und Architekturschaffen oder eine Nennung von beispielhaften Namen und Projekten, Nennen des Bedarfs oder der vorherrschenden Bedürfnisse, wie zum Beispiel das Thema Wohnen/ neue Wohnkonzepte in den 1950er Jahren. Achleitner verweist auch auf vergangende Perioden und reflektiert Entwicklungen, wie zum Beispiel die flexible Nutzung von Wohnungen, die Franz Schuster im Rahmen des sozialen Wohn- und Siedlungsbaus in seinem Wiener Schnellbauprogramm geschaffen hat. Es wird weiters ein Bezug zu internationalen Projekten, Namen und Diskursen hergestellt, Lehrer und Schüler werden ebenfalls in ihrer Beziehung zueinander betrachtet.

Achleitner thematisiert in den Beschreibungen Änderungen in der Gesellschaft, in den Sitten und Gebräuchen, sehr interessant und informativ sind seine eigenen Anmerkungen, Erfahrungen, die er gesammelt hat und die er sehr freigiebig mit der Leserschaft teilt. Dies ist ein sehr wesentlicher und wichtiger Teil seiner Vorlesungen, da somit auch die jüngere Generation die Weiterentwicklungen und Innovationen in der Architektur erkennen, verstehen und die Art von Bewertungen kennenlernen kann. Die Beschreibungen sind kurz und prägnant, trotz oder ob dieser Kürze von unglaublicher literarischer Qualität und sind ein Lesegenuss (nicht nur für Architektinnen und Architekten).

Achleitners Überblick – so wird auch seine Art, Objekte für seine Bücher auszusuchen, genannt. Einzigartig, subjektiv und qualitätsvoll ist die Auswahl, mit oft nur einem Einzeiler beschrieben, das Objekt. Er wählt Dinge, Architektur aus, die vermittelbar ist, dies ist wahrscheinlich nicht immer rational begründbar, doch darum geht es nicht. Seine Art, Anektoten in eine Beschreibung einfließen zu lassen, ist einzigartig, wurde über die Jahre hin perfektioniert und macht seine Bücher lebendig.

“Zeit ist ein merkwürdiges Phänomen in der Wahrnehmung”, so beschreibt Achleitner seine oftmals veränderte Sicht von Objekten, die er zu Beginn seiner Arbeit an den Architekturführern (nicht) ausgesucht und (nicht) beschrieben hat. Denn oftmals “Grausliches” wird schlussendlich zum Schmetterling. Die langjährige Erfahrung, das immer größere Wissen sind Parameter, die den Blick schärfen, verändern können. Sein Archiv, das nun im Architekturzentrum Wien (Az W) verwahrt wird, wird im Zuge des Gesprächs anlässlich der Buchpräsentation im Juni 2015 an der Kunstuniversität Linz  als “qualitativ, selektiv und wertend” beschrieben. Doch es ist ein einzigartiger Bestand, der die Architektur Österreichs des 20. Jahrhunderts dokumentiert, daher nachvollziehbar macht.

Eine klare Empfehlung als Standardwerk, es stellt mehr als ein simples Nachschlagewerk zur Architektur dar. Durch Achleitners pointierte, kritische und fachlich fundierte Aussagen, durch seine persönlichen und durchaus subjektiv wertenden Kommentare wird Neugierde geweckt und die Leserschaft zu weiterer Beschäftigung angeregt.

Friedrich Achleitners Blick auf Österreichs Architektur nach 1945
Gebundene Ausgabe: 560 Seiten
Verlag: Birkhäuser, 17. April 2015
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3035602808
ISBN-13: 978-3035602807
Größe: 16,4 x 4,3 x 24,4 cm

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