01/12/2020

Jeden ersten Dienstag im Monat veröffentlicht GAT in der Kolumne Aber Hallo! Anmerkungen von Karin Tschavgova zu aktuellen Themen von Architektur und gebauter Umwelt.

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01/12/2020
©: Karin Tschavgova

Geheimstufe Eins für den Fachbeirat?

Ich halte ein BIG spezial in Händen. Zur Erklärung für alle Nicht-Grazer: das sind die offiziellen Seiten der Stadt Graz. Schon die Titelseite verrät uns mit den Schlagworten Geplant, Begrünt, Verschönert, worum es in diesem Heft geht: um Planung. Der Anspruch scheint hoch, liest man schon auf Seite drei vom Wohnen als Menschenrecht, von sozialer Gerechtigkeit, von Lebensqualität, aber auch von „gutem Bauen“, was immer man am Rathaustisch damit meint. Im Beitrag Die vielen Ebenen der Stadtentwicklung wird uns anschaulich erklärt, wie „komplex und durchdacht“, mit einer „Vielzahl an Gesetzen und Kräften“ Stadtplanung funktioniert. Klar, denke ich mir, wenn der Anspruch auf Baukultur hoch ist, beginnt die Umsetzung mit hoher Planungskultur. Ich vertiefe mich also in die Grafiken zu den 10 Grundsätzen der Grazer Stadtentwicklung und in die Erklärung der komplexen Prozesse von Bauverfahren. Es findet sich alles in diesen Ebenen und Verfahrensschritten – vom Räumlichen Leitbild bis zur BürgerInnen-Beteiligung in Ersterer und von der Idee für ein Projekt bis zur Vorschrift der Behörde, die Bauplakette sichtbar auf der Baustelle anzubringen, in Zweiterer.
Was ich nicht entdecken kann, ist eine Information über den Fachbeirat für Baukultur, der 2011 in Graz installiert wurde. Gibt es diesen nicht mehr? Das kann nicht sein. Ich blättere weiter, denn beim ersten schnellen Überblick konnte ich, in Großbuchstaben fett gedruckt und farbig unterlegt, eine Spalte zur BAUKULTUR entdecken. Instrumente wie ein räumliches Leitbild und ein lebendiges Wettbewerbswesen sichern die Einhaltung städtebaulicher und architektonischer Qualitätskriterien, macht man mir dort wörtlich weis. Mehr nicht. Will man mich für blöd verkaufen? Das räumliche Leitbild sichert architektonische Qualität? Und Wettbewerbe können selbst mit dem vielgepriesenen Grazer Modell nicht verordnet, sondern nur empfohlen werden.
Man überzeuge sich selbst: Über den Grazer Fachbeirat findet sich im ganzen Heft kein Wort.
Dazu ein kurzer Exkurs zur Entstehung derartiger Beiräte. In Salzburg wird 1983 (vor 37 Jahren!) im Rahmen einer geplanten Architekturreform ein erster Gestaltungsbeirat eingeführt, unter der Federführung des damaligen Stadtrats Johannes Voggenhuber. Projekte mit einer Größe ab 2000 m² Bruttogeschoßfläche müssen dem Beirat vorgelegt werden, außer sie befinden sich in der Altstadtzone. Das ist auch in Graz so. Ausgenommen sind hierorts allerdings auch Bauvorhaben in reinen Industrie- und Gewerbegebieten und solche, die aus einem Architekturwettbewerb als Sieger hervorgegangen sind, wenn die entsandten Juroren der Stadt und des Fachbeirats dafür gestimmt hatten.
Kurz gesagt, das Salzburger Modell wurde eine Erfolgsgeschichte, die bis heute andauert und unzählige Nachahmer, nicht nur in Österreich, fand. Was ursprünglich als Beratungsgremium für die Politik gedacht war, entwickelte sich zur Hilfe und Qualitätssicherung für die Bauwerber und die Stadt. Maxime: Erreichen von hoher Bauqualität. In Salzburg hat die Expertise des Beirats inzwischen rechtsverbindlichen Charakter, die Geschäftsordnung des Grazer Fachbeirats hingegen hält fest: Der Fachbeirat für Baukultur kann bei Bedarf Empfehlungen hinsichtlich baukultureller und bauökologischer sowie sozialer und soziologischer Faktoren abgeben. Während der Salzburger Gestaltungsbeirat öffentliche Sitzungen abhält, hat in Graz „das gesamte Protokoll nicht öffentlich“ zu sein, sind die Mitglieder des Beirats zur Geheimhaltung verpflichtet!
Die Geheimhaltung oder sollte man besser das altmodische „Geheimniskrämerei“ verwenden, wird auf die Spitze getrieben, wenn man glaubt, in einem Sonderheft über die vielen Ebenen der Stadtentwicklung einen Fachbeirat für Bauqualität verschweigen zu müssen. Ist es Kalkül, weil man glaubt, dass man dieses Gremium den Grazern und GrazerInnen nicht verständlich machen kann? Dass es nicht mehrheitsfähig ist? Ist es die Angst der Stadtväter, damit als investorenfeindlich zu gelten und potenzielle Bauwerber, die das Heft lesen, zu vergrämen, wenn man ihnen das Regulativ eines Fachbeirats von vornherein zumutet? Noch 2002 forderte die FPÖ in Salzburg eine Abschaffung des „Verunstaltungsbeirats“.
Absurd, finden Sie nicht? Wurde der Fachbeirat als regulatives Instrument der Stadtplanung nur vergessen oder als nicht erwähnenswert befunden in diesem Spezialheft, sozusagen absichtslos, wäre das weniger blamabel?
Sichtbarkeit, Transparenz, BürgerInnennähe und Partizipation sind Attribute eines Service, wie es sich in den Präambeln zur Stadtplanung von Städten findet, deren zeitgemäße Entwicklung europaweit aufmerksam registriert wird. Nachzulesen auf den Websites von Aarhus über Basel, der Hafencity Hamburg bis nach Zürich. Hierorts erfahren wir nicht einmal, ob der Fachbeirat noch tätig ist und wieviel er zu tun hat.
Daher einige Fragen an den derzeitigen Grazer Fachbeirat, besetzt mit Ernst Beneder, Rudolf Scheuvens, Maria Flöckner (Hauptmitglieder) und  Much Untertrifaller und Andreas Heidl als Ersatzmitglieder:
Fühlen Sie sich und Ihre Arbeit in Graz sichtbar und würdigend (re-)präsentiert? Spricht etwas gegen eine jährlich zu veröffentliche Bilanz Ihrer fachlichen Expertise? Spricht etwas gegen eine periodische Evaluierung der Durchsetzungskraft jenes Gremiums, das dazu beitragen sollte, Graz besser zu entwickeln – auch durch „Gutes Bauen“?

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